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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
Julianillo.

Von einem Ereigniss, welches dem Sturz des Ministers vor-
herging und ihn vielleicht beschleunigte, ist auch in dem Werk
des Velazquez ein Andenken zurückgeblieben. Es ist das Bild-
niss eines etwa dreissigjährigen Cavaliers -- seines natürlichen
Sohnes. Noch in diesem Jahrhundert sah es Lord Francis Egerton
in der Sammlung Altamira, der es später (1827) in London für
den Spottpreiss von 37 £ 16 sh. erstanden hat. Jetzt ist es in
Bridgewater House.

Don Gaspar hatte in seinen leichtsinnigen Jahren mit einer
berühmten Schönheit Donna Isabel de Anversa verkehrt, einer
damals von Francisco de Valcarcel unterhaltenen (amancebada)
Dame von Stand, und besagten Edelmann bestimmt, die Frucht
des Verhältnisses, die dieser sich zuschrieb, anzuerkennen. Er
war Alcalde de casa y corte, also einer der höchsten Justizbe-
amten am Hofe, und verheirathet. Den Sohn Julian aber
hatte er dann seinem Schicksal überlassen. Dessen Laufbahn
war ein erlebter Schelmenroman. Er hatte in Madrid auf der
Strasse gesungen, war Page beim Erzbischof von Sevilla ge-
wesen, mit der Flotte nach Mexico gekommen, hatte dort ge-
bettelt, als Bauernknecht gedient, war knapp dem Galgen ent-
wischt, als Soldat in den Feldzügen Flanderns und Italiens
mitgewesen. Jetzt war er zurückgekommen und hatte sich mit
einer Dama publica de la corte, Leonor de Unzueta verheirathet.

Olivares, der im Jahre 1626 seine einzige Tochter, die
Herzogin Medina de las Torres verloren hatte, verfiel im Sommer
1640 plötzlich auf die Idee, dieses Hurensöhnchen könne ihm
doch noch zur Erfüllung seines heissesten schon aufgegebenen
Wunsches verhelfen, nämlich seine Titel und sein grosses Ver-
mögen einem Erben seines Namens zu hinterlassen. Anwand-
lungen väterlichen Instinkts mögen auch dabei im Spiel gewesen
sein; manche wollten eine gewisse Aehnlichkeit entdecken. Er
adoptirte ihn und meldete den Akt den Höfen. Er beschloss
ihm das Majorat von Olivares und das Herzogthum von S. Lucar
zu vermachen; er wollte in dieser prenda de yerros pasados, wie
er ihn nannte, nach den Worten des Venezianers N. Sagredo
"ein Zeugniss seiner eignen Grösse hinterlassen". Seine alte
Herzogin war ganz damit einverstanden; der König um so leichter
zu überreden, da er damals selbst mit der Anerkennung seines

Fünftes Buch.
Julianillo.

Von einem Ereigniss, welches dem Sturz des Ministers vor-
herging und ihn vielleicht beschleunigte, ist auch in dem Werk
des Velazquez ein Andenken zurückgeblieben. Es ist das Bild-
niss eines etwa dreissigjährigen Cavaliers — seines natürlichen
Sohnes. Noch in diesem Jahrhundert sah es Lord Francis Egerton
in der Sammlung Altamira, der es später (1827) in London für
den Spottpreiss von 37 £ 16 sh. erstanden hat. Jetzt ist es in
Bridgewater House.

Don Gaspar hatte in seinen leichtsinnigen Jahren mit einer
berühmten Schönheit Doña Isabel de Anversa verkehrt, einer
damals von Francisco de Valcarcel unterhaltenen (amancebada)
Dame von Stand, und besagten Edelmann bestimmt, die Frucht
des Verhältnisses, die dieser sich zuschrieb, anzuerkennen. Er
war Alcalde de casa y corte, also einer der höchsten Justizbe-
amten am Hofe, und verheirathet. Den Sohn Julian aber
hatte er dann seinem Schicksal überlassen. Dessen Laufbahn
war ein erlebter Schelmenroman. Er hatte in Madrid auf der
Strasse gesungen, war Page beim Erzbischof von Sevilla ge-
wesen, mit der Flotte nach Mexico gekommen, hatte dort ge-
bettelt, als Bauernknecht gedient, war knapp dem Galgen ent-
wischt, als Soldat in den Feldzügen Flanderns und Italiens
mitgewesen. Jetzt war er zurückgekommen und hatte sich mit
einer Dama publica de la corte, Leonor de Unzueta verheirathet.

Olivares, der im Jahre 1626 seine einzige Tochter, die
Herzogin Medina de las Torres verloren hatte, verfiel im Sommer
1640 plötzlich auf die Idee, dieses Hurensöhnchen könne ihm
doch noch zur Erfüllung seines heissesten schon aufgegebenen
Wunsches verhelfen, nämlich seine Titel und sein grosses Ver-
mögen einem Erben seines Namens zu hinterlassen. Anwand-
lungen väterlichen Instinkts mögen auch dabei im Spiel gewesen
sein; manche wollten eine gewisse Aehnlichkeit entdecken. Er
adoptirte ihn und meldete den Akt den Höfen. Er beschloss
ihm das Majorat von Olivares und das Herzogthum von S. Lucar
zu vermachen; er wollte in dieser prenda de yerros pasados, wie
er ihn nannte, nach den Worten des Venezianers N. Sagredo
„ein Zeugniss seiner eignen Grösse hinterlassen“. Seine alte
Herzogin war ganz damit einverstanden; der König um so leichter
zu überreden, da er damals selbst mit der Anerkennung seines

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[122/0142] Fünftes Buch. Julianillo. Von einem Ereigniss, welches dem Sturz des Ministers vor- herging und ihn vielleicht beschleunigte, ist auch in dem Werk des Velazquez ein Andenken zurückgeblieben. Es ist das Bild- niss eines etwa dreissigjährigen Cavaliers — seines natürlichen Sohnes. Noch in diesem Jahrhundert sah es Lord Francis Egerton in der Sammlung Altamira, der es später (1827) in London für den Spottpreiss von 37 £ 16 sh. erstanden hat. Jetzt ist es in Bridgewater House. Don Gaspar hatte in seinen leichtsinnigen Jahren mit einer berühmten Schönheit Doña Isabel de Anversa verkehrt, einer damals von Francisco de Valcarcel unterhaltenen (amancebada) Dame von Stand, und besagten Edelmann bestimmt, die Frucht des Verhältnisses, die dieser sich zuschrieb, anzuerkennen. Er war Alcalde de casa y corte, also einer der höchsten Justizbe- amten am Hofe, und verheirathet. Den Sohn Julian aber hatte er dann seinem Schicksal überlassen. Dessen Laufbahn war ein erlebter Schelmenroman. Er hatte in Madrid auf der Strasse gesungen, war Page beim Erzbischof von Sevilla ge- wesen, mit der Flotte nach Mexico gekommen, hatte dort ge- bettelt, als Bauernknecht gedient, war knapp dem Galgen ent- wischt, als Soldat in den Feldzügen Flanderns und Italiens mitgewesen. Jetzt war er zurückgekommen und hatte sich mit einer Dama publica de la corte, Leonor de Unzueta verheirathet. Olivares, der im Jahre 1626 seine einzige Tochter, die Herzogin Medina de las Torres verloren hatte, verfiel im Sommer 1640 plötzlich auf die Idee, dieses Hurensöhnchen könne ihm doch noch zur Erfüllung seines heissesten schon aufgegebenen Wunsches verhelfen, nämlich seine Titel und sein grosses Ver- mögen einem Erben seines Namens zu hinterlassen. Anwand- lungen väterlichen Instinkts mögen auch dabei im Spiel gewesen sein; manche wollten eine gewisse Aehnlichkeit entdecken. Er adoptirte ihn und meldete den Akt den Höfen. Er beschloss ihm das Majorat von Olivares und das Herzogthum von S. Lucar zu vermachen; er wollte in dieser prenda de yerros pasados, wie er ihn nannte, nach den Worten des Venezianers N. Sagredo „ein Zeugniss seiner eignen Grösse hinterlassen“. Seine alte Herzogin war ganz damit einverstanden; der König um so leichter zu überreden, da er damals selbst mit der Anerkennung seines

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/142>, abgerufen am 21.11.2024.