Dass ein Maler wie der eben geschilderte ein Buch schreiben werde, hätte der mit dem Personal dieses Literaturzweigs be- kannte voraussagen können. Wie alles was er unternahm lang- athmig ist, so war auch dieses Buch ein Lebenswerk, das ihm aber glücklicherweise noch im höchsten Alter zu drucken ge- lungen ist1). Für den Abschnitt über die heiligen Bilder z. B. hat er seit 1605 Aufzeichnungen gemacht. Verschiedene Schichten sind zu unterscheiden; während der Kern den strengen Tendenzen des vorigen Jahrhunderts folgt, haben sich später Ansichten und Maximen des Naturalismus wie Schlingpflanzen jenem Stamm an- gerankt.
Die Arte Pacheco's war eine Arbeit nicht bloss des Malers, des Technikers, sondern auch des Gelehrten. Vom letztern hat sie die Gründlichkeit, den Geschmack am Quellenmässigen. Für jeden Punkt wird auf die kompetenste Autorität zurückgegangen, Fachmännern jeder Art das Wort ertheilt. Die Fragen kirch- licher Archäologie sind mit den Freunden in der Kutte berathen worden; der Abschnitt über die Bilderverehrung ist ein theolo- gischer Traktat. Die scholastische Ideenlehre entnimmt er dem Jesuiten Diego Melendez (I, 224). Bei der Rangfrage der Malerei werden die juristischen Definitionen der Ehre angezogen; für keine Sache haben die spanischen Maler öfter zur Feder gegriffen als für die ihnen so widerwärtige Gleichstellung mit dem Hand- werk bei Gelegenheit der Besteuerung ihrer Honorare (alcabala). Für ästhetische Begriffe werden die alten Rhetoren (Cicero vom decorum und honestum) angezogen. Aber selbst in seinem eigen- sten Fach hat er lieber die lehrreichsten Stellen, "die Auktorität" der Italiener eingerückt, von Alberti und Leonardo, bis auf L. Dolce, Paolo Pini u. a. Dürer und van Mander werden über- setzt. Die Trockenheit des Lehrvortrags wird, dem Stoffe ge- ziemend, unterbrochen durch Einschaltung von Poesien, didakti- scher und beschreibender Art, die uns zum Theil schätzbare Stücke andalusischer Dichter erhalten haben. Dass uns der Paragone nicht geschenkt wird, versteht sich von selbst.
1) Arte de la Pintura, su antigüedad y grandezas. Sevilla 1649. Neu heraus- gegeben von G. Cruzada Villaamil. Madrid 1886. 2 Bände. Nach dieser Ausgabe habe ich citirt.
Die Kunst der Malerei.
Die „Kunst der Malerei“.
Dass ein Maler wie der eben geschilderte ein Buch schreiben werde, hätte der mit dem Personal dieses Literaturzweigs be- kannte voraussagen können. Wie alles was er unternahm lang- athmig ist, so war auch dieses Buch ein Lebenswerk, das ihm aber glücklicherweise noch im höchsten Alter zu drucken ge- lungen ist1). Für den Abschnitt über die heiligen Bilder z. B. hat er seit 1605 Aufzeichnungen gemacht. Verschiedene Schichten sind zu unterscheiden; während der Kern den strengen Tendenzen des vorigen Jahrhunderts folgt, haben sich später Ansichten und Maximen des Naturalismus wie Schlingpflanzen jenem Stamm an- gerankt.
Die Arte Pacheco’s war eine Arbeit nicht bloss des Malers, des Technikers, sondern auch des Gelehrten. Vom letztern hat sie die Gründlichkeit, den Geschmack am Quellenmässigen. Für jeden Punkt wird auf die kompetenste Autorität zurückgegangen, Fachmännern jeder Art das Wort ertheilt. Die Fragen kirch- licher Archäologie sind mit den Freunden in der Kutte berathen worden; der Abschnitt über die Bilderverehrung ist ein theolo- gischer Traktat. Die scholastische Ideenlehre entnimmt er dem Jesuiten Diego Meléndez (I, 224). Bei der Rangfrage der Malerei werden die juristischen Definitionen der Ehre angezogen; für keine Sache haben die spanischen Maler öfter zur Feder gegriffen als für die ihnen so widerwärtige Gleichstellung mit dem Hand- werk bei Gelegenheit der Besteuerung ihrer Honorare (alcabala). Für ästhetische Begriffe werden die alten Rhetoren (Cicero vom decorum und honestum) angezogen. Aber selbst in seinem eigen- sten Fach hat er lieber die lehrreichsten Stellen, „die Auktorität“ der Italiener eingerückt, von Alberti und Leonardo, bis auf L. Dolce, Paolo Pini u. a. Dürer und van Mander werden über- setzt. Die Trockenheit des Lehrvortrags wird, dem Stoffe ge- ziemend, unterbrochen durch Einschaltung von Poesien, didakti- scher und beschreibender Art, die uns zum Theil schätzbare Stücke andalusischer Dichter erhalten haben. Dass uns der Paragone nicht geschenkt wird, versteht sich von selbst.
1) Arte de la Pintura, su antigüedad y grandezas. Sevilla 1649. Neu heraus- gegeben von G. Cruzada Villaamil. Madrid 1886. 2 Bände. Nach dieser Ausgabe habe ich citirt.
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Die Kunst der Malerei.
Die „Kunst der Malerei“.
Dass ein Maler wie der eben geschilderte ein Buch schreiben
werde, hätte der mit dem Personal dieses Literaturzweigs be-
kannte voraussagen können. Wie alles was er unternahm lang-
athmig ist, so war auch dieses Buch ein Lebenswerk, das ihm
aber glücklicherweise noch im höchsten Alter zu drucken ge-
lungen ist 1). Für den Abschnitt über die heiligen Bilder z. B.
hat er seit 1605 Aufzeichnungen gemacht. Verschiedene Schichten
sind zu unterscheiden; während der Kern den strengen Tendenzen
des vorigen Jahrhunderts folgt, haben sich später Ansichten und
Maximen des Naturalismus wie Schlingpflanzen jenem Stamm an-
gerankt.
Die Arte Pacheco’s war eine Arbeit nicht bloss des Malers,
des Technikers, sondern auch des Gelehrten. Vom letztern hat
sie die Gründlichkeit, den Geschmack am Quellenmässigen. Für
jeden Punkt wird auf die kompetenste Autorität zurückgegangen,
Fachmännern jeder Art das Wort ertheilt. Die Fragen kirch-
licher Archäologie sind mit den Freunden in der Kutte berathen
worden; der Abschnitt über die Bilderverehrung ist ein theolo-
gischer Traktat. Die scholastische Ideenlehre entnimmt er dem
Jesuiten Diego Meléndez (I, 224). Bei der Rangfrage der Malerei
werden die juristischen Definitionen der Ehre angezogen; für
keine Sache haben die spanischen Maler öfter zur Feder gegriffen
als für die ihnen so widerwärtige Gleichstellung mit dem Hand-
werk bei Gelegenheit der Besteuerung ihrer Honorare (alcabala).
Für ästhetische Begriffe werden die alten Rhetoren (Cicero vom
decorum und honestum) angezogen. Aber selbst in seinem eigen-
sten Fach hat er lieber die lehrreichsten Stellen, „die Auktorität“
der Italiener eingerückt, von Alberti und Leonardo, bis auf
L. Dolce, Paolo Pini u. a. Dürer und van Mander werden über-
setzt. Die Trockenheit des Lehrvortrags wird, dem Stoffe ge-
ziemend, unterbrochen durch Einschaltung von Poesien, didakti-
scher und beschreibender Art, die uns zum Theil schätzbare Stücke
andalusischer Dichter erhalten haben. Dass uns der Paragone nicht
geschenkt wird, versteht sich von selbst.
1) Arte de la Pintura, su antigüedad y grandezas. Sevilla 1649. Neu heraus-
gegeben von G. Cruzada Villaamil. Madrid 1886. 2 Bände. Nach dieser Ausgabe
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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