Gegensatz des folgenden Abschnittes zum vorhergehenden -- Die specifisch-juristische Kunst -- ihr Antheil an der ursprünglichen Bildung des Rechts -- ihr Charakter.
XLVIII. Schon eine geraume Zeit verweilt unsere Darstel- lung auf dem Gebiete der älteren Jurisprudenz, und wäre es wahr, was Manche lehren, daß der Beruf der Jurisprudenz in dem Interpretiren der Gesetze bestehe, so könnte unseres Bleibens hier nicht lange mehr sein, denn diesen Zweig der juristischen Thätigkeit haben wir bereits (§. 44) kennen lernen, und was wäre sonst noch viel übrig? Allein so paradox es klingt: der Haupttheil unserer Aufgabe, das Schwierigste ist noch zurück, und erst von jetzt an können wir behaupten uns im Centrum der römischen Jurisprudenz zu befinden, während wir uns bisher bloß in den Außenwerken umher getrieben haben. Zwar eine Reihe interessanter Erscheinungen haben wir auch dort angetrof- fen, Züge, die namentlich für den physiognomischen Ausdruck des ältern Rechts im Gegensatz des neuern höchst charakteristisch sind, allein dieselben gehören nicht sowohl der Jurisprudenz, als der Zeit an, sie waren nichts als die Reflexe, in denen die damalige Culturstufe innerhalb der Jurisprudenz sich abspie- gelte, und sie wiederholen sich darum auch auf den andern Ge- bieten des geistigen Lebens.
Interpretiren und Formeln aufsetzen mußte der Pontifex auch außerhalb des eigentlich juristischen Gebietes, eine specifisch- juristische Kunst übte er damit nicht aus, und der Geist, in dem er es that, jene früher nachgewiesene Abhängigkeit vom Wort,
Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 1
Die juriſtiſche Kunſt.
Gegenſatz des folgenden Abſchnittes zum vorhergehenden — Die ſpecifiſch-juriſtiſche Kunſt — ihr Antheil an der urſprünglichen Bildung des Rechts — ihr Charakter.
XLVIII. Schon eine geraume Zeit verweilt unſere Darſtel- lung auf dem Gebiete der älteren Jurisprudenz, und wäre es wahr, was Manche lehren, daß der Beruf der Jurisprudenz in dem Interpretiren der Geſetze beſtehe, ſo könnte unſeres Bleibens hier nicht lange mehr ſein, denn dieſen Zweig der juriſtiſchen Thätigkeit haben wir bereits (§. 44) kennen lernen, und was wäre ſonſt noch viel übrig? Allein ſo paradox es klingt: der Haupttheil unſerer Aufgabe, das Schwierigſte iſt noch zurück, und erſt von jetzt an können wir behaupten uns im Centrum der römiſchen Jurisprudenz zu befinden, während wir uns bisher bloß in den Außenwerken umher getrieben haben. Zwar eine Reihe intereſſanter Erſcheinungen haben wir auch dort angetrof- fen, Züge, die namentlich für den phyſiognomiſchen Ausdruck des ältern Rechts im Gegenſatz des neuern höchſt charakteriſtiſch ſind, allein dieſelben gehören nicht ſowohl der Jurisprudenz, als der Zeit an, ſie waren nichts als die Reflexe, in denen die damalige Culturſtufe innerhalb der Jurisprudenz ſich abſpie- gelte, und ſie wiederholen ſich darum auch auf den andern Ge- bieten des geiſtigen Lebens.
Interpretiren und Formeln aufſetzen mußte der Pontifex auch außerhalb des eigentlich juriſtiſchen Gebietes, eine ſpecifiſch- juriſtiſche Kunſt übte er damit nicht aus, und der Geiſt, in dem er es that, jene früher nachgewieſene Abhängigkeit vom Wort,
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 1
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[[1]/0017]
Die juriſtiſche Kunſt.
Gegenſatz des folgenden Abſchnittes zum vorhergehenden — Die
ſpecifiſch-juriſtiſche Kunſt — ihr Antheil an der urſprünglichen
Bildung des Rechts — ihr Charakter.
XLVIII. Schon eine geraume Zeit verweilt unſere Darſtel-
lung auf dem Gebiete der älteren Jurisprudenz, und wäre es
wahr, was Manche lehren, daß der Beruf der Jurisprudenz in
dem Interpretiren der Geſetze beſtehe, ſo könnte unſeres Bleibens
hier nicht lange mehr ſein, denn dieſen Zweig der juriſtiſchen
Thätigkeit haben wir bereits (§. 44) kennen lernen, und was
wäre ſonſt noch viel übrig? Allein ſo paradox es klingt: der
Haupttheil unſerer Aufgabe, das Schwierigſte iſt noch zurück,
und erſt von jetzt an können wir behaupten uns im Centrum der
römiſchen Jurisprudenz zu befinden, während wir uns bisher
bloß in den Außenwerken umher getrieben haben. Zwar eine
Reihe intereſſanter Erſcheinungen haben wir auch dort angetrof-
fen, Züge, die namentlich für den phyſiognomiſchen Ausdruck
des ältern Rechts im Gegenſatz des neuern höchſt charakteriſtiſch
ſind, allein dieſelben gehören nicht ſowohl der Jurisprudenz,
als der Zeit an, ſie waren nichts als die Reflexe, in denen
die damalige Culturſtufe innerhalb der Jurisprudenz ſich abſpie-
gelte, und ſie wiederholen ſich darum auch auf den andern Ge-
bieten des geiſtigen Lebens.
Interpretiren und Formeln aufſetzen mußte der Pontifex auch
außerhalb des eigentlich juriſtiſchen Gebietes, eine ſpecifiſch-
juriſtiſche Kunſt übte er damit nicht aus, und der Geiſt, in dem
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Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 1
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/17>, abgerufen am 03.03.2025.
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