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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
aufgeworfen werden, wenn die nach dem Erben erledigt ist; es
muß also im Testament die Erbeseinsetzung den Legaten und
allen übrigen Dispositionen vorausgehen.860) Die Ansicht der
Proculejaner,861) daß die tutoris datio ihren Platz vor der
Erbeseinsetzung finden könne, war daher im Geist des ältern
Rechts entschieden zu verwerfen, sie wurzelte in der einseitigen
Geltendmachung des oben (S. 641 unter 1) angegebenen Ge-
sichtspunktes.

Wenn ein Testator seinen Sklaven im Testament zugleich
freilassen und zum alleinigen Erben einsetzen wollte, welche von
beiden Dispositionen hatte er zuerst zu treffen?

Um Erbe zu werden, mußte der Sklav vorher frei sein; um
frei zu werden, mußte die Erbschaft angetreten sein. Es war
ein Cirkel, aus dem es keinen Ausweg gab, eine logische Sack-
gasse, und wäre nicht am Ende die Rücksicht auf das praktische
Interesse in den alten Juristen doch noch mächtiger gewesen, als
alle Macht der Sophistik, sie würden jene Disposition für un-
möglich haben erklären müssen. In unsern Quellen ist dies Be-
denken nirgends berührt.

3. Das Gesetz der Correspondenz der Form.

Zu den bisher erörterten Gesichtspunkten und Regeln, die
das Rechtsgeschäft in seiner Isolirung auf sich selbst, als einzel-
nen für sich selbständigen Willensact zum Gegenstand haben,
gesellt sich als ein die Form bestimmendes Motiv noch die
innere Beziehung hinzu, in der dasselbe zu andern
rechtlichen Thatsachen steht
:

Wenn der Gläubiger dem Schuldner die Schuld erläßt, so
ist dieser Erlaß zwar ein einzelner, selbständiger Act, allein er

860) Gaj. Il, 229. -- Ante heredis institutionem inutiliter legatur,
quia testamenta vim ex institutione heredis accipiunt et ob id velut
caput et fundamentum intelligitur totius testamenti heredis institutio
§. 230 (libertas) §. 231 (tutoris datio).
861) Gaj. II, 231.
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
aufgeworfen werden, wenn die nach dem Erben erledigt iſt; es
muß alſo im Teſtament die Erbeseinſetzung den Legaten und
allen übrigen Dispoſitionen vorausgehen.860) Die Anſicht der
Proculejaner,861) daß die tutoris datio ihren Platz vor der
Erbeseinſetzung finden könne, war daher im Geiſt des ältern
Rechts entſchieden zu verwerfen, ſie wurzelte in der einſeitigen
Geltendmachung des oben (S. 641 unter 1) angegebenen Ge-
ſichtspunktes.

Wenn ein Teſtator ſeinen Sklaven im Teſtament zugleich
freilaſſen und zum alleinigen Erben einſetzen wollte, welche von
beiden Dispoſitionen hatte er zuerſt zu treffen?

Um Erbe zu werden, mußte der Sklav vorher frei ſein; um
frei zu werden, mußte die Erbſchaft angetreten ſein. Es war
ein Cirkel, aus dem es keinen Ausweg gab, eine logiſche Sack-
gaſſe, und wäre nicht am Ende die Rückſicht auf das praktiſche
Intereſſe in den alten Juriſten doch noch mächtiger geweſen, als
alle Macht der Sophiſtik, ſie würden jene Dispoſition für un-
möglich haben erklären müſſen. In unſern Quellen iſt dies Be-
denken nirgends berührt.

3. Das Geſetz der Correſpondenz der Form.

Zu den bisher erörterten Geſichtspunkten und Regeln, die
das Rechtsgeſchäft in ſeiner Iſolirung auf ſich ſelbſt, als einzel-
nen für ſich ſelbſtändigen Willensact zum Gegenſtand haben,
geſellt ſich als ein die Form beſtimmendes Motiv noch die
innere Beziehung hinzu, in der daſſelbe zu andern
rechtlichen Thatſachen ſteht
:

Wenn der Gläubiger dem Schuldner die Schuld erläßt, ſo
iſt dieſer Erlaß zwar ein einzelner, ſelbſtändiger Act, allein er

860) Gaj. Il, 229. — Ante heredis institutionem inutiliter legatur,
quia testamenta vim ex institutione heredis accipiunt et ob id velut
caput et fundamentum intelligitur totius testamenti heredis institutio
§. 230 (libertas) §. 231 (tutoris datio).
861) Gaj. II, 231.
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[643/0349] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. aufgeworfen werden, wenn die nach dem Erben erledigt iſt; es muß alſo im Teſtament die Erbeseinſetzung den Legaten und allen übrigen Dispoſitionen vorausgehen. 860) Die Anſicht der Proculejaner, 861) daß die tutoris datio ihren Platz vor der Erbeseinſetzung finden könne, war daher im Geiſt des ältern Rechts entſchieden zu verwerfen, ſie wurzelte in der einſeitigen Geltendmachung des oben (S. 641 unter 1) angegebenen Ge- ſichtspunktes. Wenn ein Teſtator ſeinen Sklaven im Teſtament zugleich freilaſſen und zum alleinigen Erben einſetzen wollte, welche von beiden Dispoſitionen hatte er zuerſt zu treffen? Um Erbe zu werden, mußte der Sklav vorher frei ſein; um frei zu werden, mußte die Erbſchaft angetreten ſein. Es war ein Cirkel, aus dem es keinen Ausweg gab, eine logiſche Sack- gaſſe, und wäre nicht am Ende die Rückſicht auf das praktiſche Intereſſe in den alten Juriſten doch noch mächtiger geweſen, als alle Macht der Sophiſtik, ſie würden jene Dispoſition für un- möglich haben erklären müſſen. In unſern Quellen iſt dies Be- denken nirgends berührt. 3. Das Geſetz der Correſpondenz der Form. Zu den bisher erörterten Geſichtspunkten und Regeln, die das Rechtsgeſchäft in ſeiner Iſolirung auf ſich ſelbſt, als einzel- nen für ſich ſelbſtändigen Willensact zum Gegenſtand haben, geſellt ſich als ein die Form beſtimmendes Motiv noch die innere Beziehung hinzu, in der daſſelbe zu andern rechtlichen Thatſachen ſteht: Wenn der Gläubiger dem Schuldner die Schuld erläßt, ſo iſt dieſer Erlaß zwar ein einzelner, ſelbſtändiger Act, allein er 860) Gaj. Il, 229. — Ante heredis institutionem inutiliter legatur, quia testamenta vim ex institutione heredis accipiunt et ob id velut caput et fundamentum intelligitur totius testamenti heredis institutio §. 230 (libertas) §. 231 (tutoris datio). 861) Gaj. II, 231. 41*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/349>, abgerufen am 21.11.2024.