I. Gegensatz der natürlichen und juristischen Auffassung.
Thatsächlichkeit und Nothwendigkeit dieses Gegensatzes -- Apo- logetik der Jurisprudenz -- die angebliche Natürlichkeit der Laien- Auffassung -- der gesunde Menschenverstand ohne die Erfahrung -- der Werth und der Einfluß der Erfahrung -- die Jurisprudenz ein Niederschlag des gesunden Menschenverstandes in Dingen des Rechts.
XXXVII. In dem vorhergehenden Abschnitt von den Grund- trieben haben wir die höchsten Ziele des älteren Rechts, die Ideale des römischen Rechtsgefühls, zu bestimmen versucht; der gegenwärtige soll uns mit der eigenthümlichen Kunst bekannt ma- chen, die dasselbe zum Zweck der Verwirklichung jener Gedanken in Anwendung gebracht hat. So eng demnach auch der gegenwär- tige Abschnitt mit dem vorherigen zusammenhängt, so bezeich- net er dennoch den Uebergang zu einer völlig neuen Seite des Rechts.
Diejenige, mit der wir uns bisher beschäftigten, ließe sich die ethische Seite des Rechts, diejenige, der wir uns jetzt zu- wenden, die specifisch juristische nennen. Dort handelte es sich um Ideen und Anforderungen, die objectiv in der sittlichen Bestimmung des Rechts und subjectiv in dem natürlichen Rechts- gefühl ihren letzten Grund haben, daher dem Laien nicht min- der zugänglich und geläufig sind, als dem Juristen. Ganz an- ders von jetzt an. Unsere Darstellung versetzt uns, so zu sagen, auf eine ganz andere Hemisphäre, auf der dem Laien Alles neu
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 21
III. Die juriſtiſche Technik des ältern Rechts.
A. Das Wesen der Technik im Allgemeinen.
I. Gegenſatz der natürlichen und juriſtiſchen Auffaſſung.
Thatſächlichkeit und Nothwendigkeit dieſes Gegenſatzes — Apo- logetik der Jurisprudenz — die angebliche Natürlichkeit der Laien- Auffaſſung — der geſunde Menſchenverſtand ohne die Erfahrung — der Werth und der Einfluß der Erfahrung — die Jurisprudenz ein Niederſchlag des geſunden Menſchenverſtandes in Dingen des Rechts.
XXXVII. In dem vorhergehenden Abſchnitt von den Grund- trieben haben wir die höchſten Ziele des älteren Rechts, die Ideale des römiſchen Rechtsgefühls, zu beſtimmen verſucht; der gegenwärtige ſoll uns mit der eigenthümlichen Kunſt bekannt ma- chen, die daſſelbe zum Zweck der Verwirklichung jener Gedanken in Anwendung gebracht hat. So eng demnach auch der gegenwär- tige Abſchnitt mit dem vorherigen zuſammenhängt, ſo bezeich- net er dennoch den Uebergang zu einer völlig neuen Seite des Rechts.
Diejenige, mit der wir uns bisher beſchäftigten, ließe ſich die ethiſche Seite des Rechts, diejenige, der wir uns jetzt zu- wenden, die ſpecifiſch juriſtiſche nennen. Dort handelte es ſich um Ideen und Anforderungen, die objectiv in der ſittlichen Beſtimmung des Rechts und ſubjectiv in dem natürlichen Rechts- gefühl ihren letzten Grund haben, daher dem Laien nicht min- der zugänglich und geläufig ſind, als dem Juriſten. Ganz an- ders von jetzt an. Unſere Darſtellung verſetzt uns, ſo zu ſagen, auf eine ganz andere Hemiſphäre, auf der dem Laien Alles neu
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 21
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[[321]/0027]
III. Die juriſtiſche Technik des ältern Rechts.
A. Das Wesen der Technik im Allgemeinen.
I. Gegenſatz der natürlichen und juriſtiſchen Auffaſſung.
Thatſächlichkeit und Nothwendigkeit dieſes Gegenſatzes — Apo-
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Auffaſſung — der geſunde Menſchenverſtand ohne die Erfahrung —
der Werth und der Einfluß der Erfahrung — die Jurisprudenz
ein Niederſchlag des geſunden Menſchenverſtandes in Dingen des
Rechts.
XXXVII. In dem vorhergehenden Abſchnitt von den Grund-
trieben haben wir die höchſten Ziele des älteren Rechts, die
Ideale des römiſchen Rechtsgefühls, zu beſtimmen verſucht; der
gegenwärtige ſoll uns mit der eigenthümlichen Kunſt bekannt ma-
chen, die daſſelbe zum Zweck der Verwirklichung jener Gedanken in
Anwendung gebracht hat. So eng demnach auch der gegenwär-
tige Abſchnitt mit dem vorherigen zuſammenhängt, ſo bezeich-
net er dennoch den Uebergang zu einer völlig neuen Seite des
Rechts.
Diejenige, mit der wir uns bisher beſchäftigten, ließe ſich
die ethiſche Seite des Rechts, diejenige, der wir uns jetzt zu-
wenden, die ſpecifiſch juriſtiſche nennen. Dort handelte es
ſich um Ideen und Anforderungen, die objectiv in der ſittlichen
Beſtimmung des Rechts und ſubjectiv in dem natürlichen Rechts-
gefühl ihren letzten Grund haben, daher dem Laien nicht min-
der zugänglich und geläufig ſind, als dem Juriſten. Ganz an-
ders von jetzt an. Unſere Darſtellung verſetzt uns, ſo zu ſagen,
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. [321]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/27>, abgerufen am 23.02.2025.
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