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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
erreichen müssen, nämlich daß der Handelnde zunächst noch
nicht rechtlich gebunden sein wolle oder sich den Rücktritt vor-
behalte, lag dort bereits stillschweigend in der Nichtanwendung
der Form. Tradition einer res mancipi bedeutete für den rö-
mischen Verkehr, was für unsern der Vorbehalt des Eigen-
thums (das s. g. pactum reservati dominii), das bloße pactum,
was für unsern vorläufige unverbindliche Beredungen (Tracta-
ten), die unförmliche Freilassung eines Sklaven Ertheilung
der factischen Freiheit mit Vorbehalt des Widerrufs. Die Ur-
girung des Mangels der Form enthält in allen diesen Fällen
keine Treulosigkeit, sondern die Geltendmachung des von An-
fang an Gewollten.

2. Vortheile der Form.

Wir haben bei der Darstellung derselben zwei Arten genau
von einander zu unterscheiden, nämlich diejenigen, die in der
Form als solcher gelegen sind, sich mithin bei allen formellen
Geschäften wiederholen -- ich will sie die allgemeinen nen-
nen -- und diejenigen, die auf dem morphologischen Element
der einzelnen Form beruhen und mithin dieser besonderen Form
eigenthümlich sind -- ich nenne sie die besondern Vortheile.
Ich beginne mit jenen und zwar, indem ich etwas weit aus-
hole.

Die Entscheidung eines Rechtsstreites besteht in der An-
wendung des abstracten Rechts auf das concrete Verhältniß.
Die Schwierigkeiten derselben können daher entweder in dem
abstracten Recht gelegen sein, darin nämlich daß die Bestim-
mungen desselben, die zur Anwendung kommen müßten, an
Unklarheit, Unbestimmtheit leiden u. s. w. oder in dem con-
creten Verhältniß
, sei es in der Zweifelhaftigkeit des rein
factischen Vorganges (Beweisfrage), sei es in der seines juri-
stischen Charakters (Subsumtion, Diagnose). An den Schwie-
rigkeiten der zuletzt genannten (dritten) Art bewährt sich der all-
gemeine
Nutzen der Form; denen der zweiten Art kann sie

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
erreichen müſſen, nämlich daß der Handelnde zunächſt noch
nicht rechtlich gebunden ſein wolle oder ſich den Rücktritt vor-
behalte, lag dort bereits ſtillſchweigend in der Nichtanwendung
der Form. Tradition einer res mancipi bedeutete für den rö-
miſchen Verkehr, was für unſern der Vorbehalt des Eigen-
thums (das ſ. g. pactum reservati dominii), das bloße pactum,
was für unſern vorläufige unverbindliche Beredungen (Tracta-
ten), die unförmliche Freilaſſung eines Sklaven Ertheilung
der factiſchen Freiheit mit Vorbehalt des Widerrufs. Die Ur-
girung des Mangels der Form enthält in allen dieſen Fällen
keine Treuloſigkeit, ſondern die Geltendmachung des von An-
fang an Gewollten.

2. Vortheile der Form.

Wir haben bei der Darſtellung derſelben zwei Arten genau
von einander zu unterſcheiden, nämlich diejenigen, die in der
Form als ſolcher gelegen ſind, ſich mithin bei allen formellen
Geſchäften wiederholen — ich will ſie die allgemeinen nen-
nen — und diejenigen, die auf dem morphologiſchen Element
der einzelnen Form beruhen und mithin dieſer beſonderen Form
eigenthümlich ſind — ich nenne ſie die beſondern Vortheile.
Ich beginne mit jenen und zwar, indem ich etwas weit aus-
hole.

Die Entſcheidung eines Rechtsſtreites beſteht in der An-
wendung des abſtracten Rechts auf das concrete Verhältniß.
Die Schwierigkeiten derſelben können daher entweder in dem
abſtracten Recht gelegen ſein, darin nämlich daß die Beſtim-
mungen deſſelben, die zur Anwendung kommen müßten, an
Unklarheit, Unbeſtimmtheit leiden u. ſ. w. oder in dem con-
creten Verhältniß
, ſei es in der Zweifelhaftigkeit des rein
factiſchen Vorganges (Beweisfrage), ſei es in der ſeines juri-
ſtiſchen Charakters (Subſumtion, Diagnoſe). An den Schwie-
rigkeiten der zuletzt genannten (dritten) Art bewährt ſich der all-
gemeine
Nutzen der Form; denen der zweiten Art kann ſie

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[519/0225] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. erreichen müſſen, nämlich daß der Handelnde zunächſt noch nicht rechtlich gebunden ſein wolle oder ſich den Rücktritt vor- behalte, lag dort bereits ſtillſchweigend in der Nichtanwendung der Form. Tradition einer res mancipi bedeutete für den rö- miſchen Verkehr, was für unſern der Vorbehalt des Eigen- thums (das ſ. g. pactum reservati dominii), das bloße pactum, was für unſern vorläufige unverbindliche Beredungen (Tracta- ten), die unförmliche Freilaſſung eines Sklaven Ertheilung der factiſchen Freiheit mit Vorbehalt des Widerrufs. Die Ur- girung des Mangels der Form enthält in allen dieſen Fällen keine Treuloſigkeit, ſondern die Geltendmachung des von An- fang an Gewollten. 2. Vortheile der Form. Wir haben bei der Darſtellung derſelben zwei Arten genau von einander zu unterſcheiden, nämlich diejenigen, die in der Form als ſolcher gelegen ſind, ſich mithin bei allen formellen Geſchäften wiederholen — ich will ſie die allgemeinen nen- nen — und diejenigen, die auf dem morphologiſchen Element der einzelnen Form beruhen und mithin dieſer beſonderen Form eigenthümlich ſind — ich nenne ſie die beſondern Vortheile. Ich beginne mit jenen und zwar, indem ich etwas weit aus- hole. Die Entſcheidung eines Rechtsſtreites beſteht in der An- wendung des abſtracten Rechts auf das concrete Verhältniß. Die Schwierigkeiten derſelben können daher entweder in dem abſtracten Recht gelegen ſein, darin nämlich daß die Beſtim- mungen deſſelben, die zur Anwendung kommen müßten, an Unklarheit, Unbeſtimmtheit leiden u. ſ. w. oder in dem con- creten Verhältniß, ſei es in der Zweifelhaftigkeit des rein factiſchen Vorganges (Beweisfrage), ſei es in der ſeines juri- ſtiſchen Charakters (Subſumtion, Diagnoſe). An den Schwie- rigkeiten der zuletzt genannten (dritten) Art bewährt ſich der all- gemeine Nutzen der Form; denen der zweiten Art kann ſie

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/225>, abgerufen am 22.12.2024.