Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Rechts entsprechende Brauchbarkeit der Form schließen. Letzteremuß demselben offenbar wichtige Vortheile bieten. Gewiß! Allein so wenig ich die Berechtigung und die Richtigkeit dieses Schlusses bestreiten will, so sehr muß ich doch gegen einen Irrthum warnen, der sich demselben leicht beigesellen kann. Man könnte nämlich den Grund des historischen Auftretens des Formalismus lediglich in seinen praktischen Vortheilen finden wollen, ich meine nicht gerade die bewußte Erstrebung derselben von Seiten des Gesetzgebers, sondern auch das instinctive Ge- fühl derselben bei der gewohnheitsrechtlichen Bildung der For- men. Dies halte ich jedoch für falsch, wie ich im folgenden nachzuweisen hoffe, und ich werde daher bei der folgenden Dar- stellung zwei Fragen streng von einander trennen: die von dem praktischen Werth des Formalismus und die von den historischen Gründen seines Erscheinens. I. Praktischer Werth des Formalismus. Wenn irgendwo das abstractphilosophische Urtheil über Dinge Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Rechts entſprechende Brauchbarkeit der Form ſchließen. Letzteremuß demſelben offenbar wichtige Vortheile bieten. Gewiß! Allein ſo wenig ich die Berechtigung und die Richtigkeit dieſes Schluſſes beſtreiten will, ſo ſehr muß ich doch gegen einen Irrthum warnen, der ſich demſelben leicht beigeſellen kann. Man könnte nämlich den Grund des hiſtoriſchen Auftretens des Formalismus lediglich in ſeinen praktiſchen Vortheilen finden wollen, ich meine nicht gerade die bewußte Erſtrebung derſelben von Seiten des Geſetzgebers, ſondern auch das inſtinctive Ge- fühl derſelben bei der gewohnheitsrechtlichen Bildung der For- men. Dies halte ich jedoch für falſch, wie ich im folgenden nachzuweiſen hoffe, und ich werde daher bei der folgenden Dar- ſtellung zwei Fragen ſtreng von einander trennen: die von dem praktiſchen Werth des Formalismus und die von den hiſtoriſchen Gründen ſeines Erſcheinens. I. Praktiſcher Werth des Formalismus. Wenn irgendwo das abſtractphiloſophiſche Urtheil über Dinge <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0210" n="504"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> Rechts entſprechende Brauchbarkeit der Form ſchließen. Letztere<lb/> muß demſelben offenbar wichtige Vortheile bieten. Gewiß!<lb/> Allein ſo wenig ich die Berechtigung und die Richtigkeit dieſes<lb/> Schluſſes beſtreiten will, ſo ſehr muß ich doch gegen einen<lb/> Irrthum warnen, der ſich demſelben leicht beigeſellen kann.<lb/> Man könnte nämlich den Grund des hiſtoriſchen Auftretens des<lb/> Formalismus lediglich in ſeinen praktiſchen Vortheilen finden<lb/> wollen, ich meine nicht gerade die bewußte Erſtrebung derſelben<lb/> von Seiten des Geſetzgebers, ſondern auch das inſtinctive Ge-<lb/> fühl derſelben bei der gewohnheitsrechtlichen Bildung der For-<lb/> men. Dies halte ich jedoch für falſch, wie ich im folgenden<lb/> nachzuweiſen hoffe, und ich werde daher bei der folgenden Dar-<lb/> ſtellung zwei Fragen ſtreng von einander trennen: die von dem<lb/><hi rendition="#g">praktiſchen Werth des Formalismus</hi> und die von den<lb/><hi rendition="#g">hiſtoriſchen Gründen ſeines Erſcheinens</hi>.</p><lb/> <div n="8"> <head><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#g">Praktiſcher Werth des Formalismus</hi>.</head><lb/> <p>Wenn irgendwo das abſtractphiloſophiſche Urtheil über Dinge<lb/> des Rechts Gefahr läuft fehl zu greifen, ſo möchte es bei dem<lb/> Formalismus ſein. Der Philoſoph vom Fach, der von den eigen-<lb/> thümlichen techniſchen Intereſſen und Bedürfniſſen des Rechts<lb/> keine Vorſtellung hat, kann in dem Formalismus nichts anders<lb/> erblicken, als einen Ausfluß der ſinnlichen Anſchauungsweiſe,<lb/> eine Präponderanz des äußern über das innere Moment, eine<lb/> poſitive Störung des Verhältniſſes zwiſchen Form und Inhalt.<lb/> Gerade ihm bei ſeinem auf das Innere der Dinge gerichteten<lb/> Blick muß dieſe Ueberhebung der dürren, nackten Form, dieſer<lb/> ängſtliche, pedantiſche Cultus des an ſich völlig werth- und be-<lb/> deutungsloſen Zeichens, dieſe Dürftigkeit und Kümmerlichkeit<lb/> des Geiſtes, der das ganze Formenweſen beſeelt und ſich in ihm<lb/> breit macht — gerade ihm alſo, ſage ich, muß dies ganze We-<lb/> ſen einen recht unerquicklichen und abſtoßenden Eindruck machen.<lb/> Und in der That, wir müſſen zugeſtehen, dieſer Beſtandtheil<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [504/0210]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Rechts entſprechende Brauchbarkeit der Form ſchließen. Letztere
muß demſelben offenbar wichtige Vortheile bieten. Gewiß!
Allein ſo wenig ich die Berechtigung und die Richtigkeit dieſes
Schluſſes beſtreiten will, ſo ſehr muß ich doch gegen einen
Irrthum warnen, der ſich demſelben leicht beigeſellen kann.
Man könnte nämlich den Grund des hiſtoriſchen Auftretens des
Formalismus lediglich in ſeinen praktiſchen Vortheilen finden
wollen, ich meine nicht gerade die bewußte Erſtrebung derſelben
von Seiten des Geſetzgebers, ſondern auch das inſtinctive Ge-
fühl derſelben bei der gewohnheitsrechtlichen Bildung der For-
men. Dies halte ich jedoch für falſch, wie ich im folgenden
nachzuweiſen hoffe, und ich werde daher bei der folgenden Dar-
ſtellung zwei Fragen ſtreng von einander trennen: die von dem
praktiſchen Werth des Formalismus und die von den
hiſtoriſchen Gründen ſeines Erſcheinens.
I. Praktiſcher Werth des Formalismus.
Wenn irgendwo das abſtractphiloſophiſche Urtheil über Dinge
des Rechts Gefahr läuft fehl zu greifen, ſo möchte es bei dem
Formalismus ſein. Der Philoſoph vom Fach, der von den eigen-
thümlichen techniſchen Intereſſen und Bedürfniſſen des Rechts
keine Vorſtellung hat, kann in dem Formalismus nichts anders
erblicken, als einen Ausfluß der ſinnlichen Anſchauungsweiſe,
eine Präponderanz des äußern über das innere Moment, eine
poſitive Störung des Verhältniſſes zwiſchen Form und Inhalt.
Gerade ihm bei ſeinem auf das Innere der Dinge gerichteten
Blick muß dieſe Ueberhebung der dürren, nackten Form, dieſer
ängſtliche, pedantiſche Cultus des an ſich völlig werth- und be-
deutungsloſen Zeichens, dieſe Dürftigkeit und Kümmerlichkeit
des Geiſtes, der das ganze Formenweſen beſeelt und ſich in ihm
breit macht — gerade ihm alſo, ſage ich, muß dies ganze We-
ſen einen recht unerquicklichen und abſtoßenden Eindruck machen.
Und in der That, wir müſſen zugeſtehen, dieſer Beſtandtheil
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