Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
III. Das religiöse Prinzip mit seinem Einfluß auf Recht und Staat.
Das fas -- Handhabung desselben durch das Pontifikalcollegium -- Prozeß vor dem geistlichen Gericht (legis actio sacramento) -- Hervortreten des religiösen Einflusses in den verschiedenen Theilen des Rechts, namentlich im Strafrecht -- der homo sa- cer -- Die Strafe als religiöses Sühnemittel. --
XVIII. Recht und Religion sind ein Zwillingspaar, das überall, wohin wir in der Geschichte blicken, seine Kinderjahre in innigster Gemeinschaft verbringt, sich gegenseitig helfend und ergänzend. Soweit beide, wenn sie zur Selbstständigkeit und Kraft gelangt sind, auch auseinander gehn mögen, ohne sich die Lösung ihrer Aufgabe zu erschweren, so unentbehrlich sind sie sich doch in jener Periode der Schwäche und Unselbständig- keit. Was würde aus dem Recht, wenn es von vornherein als eitel Menschenwerk in der Geschichte aufträte, wenn nicht die Religion dasselbe mit göttlicher Weihe ausstattete? "Was ein Volk aus der eignen Mitte schöpfen soll, sagt treffend Jakob Grimm, 163) wird seines gleichen, was es mit Händen anfassen darf, wird entweiht; ohne Unnahbarkeit wäre kein Heiligthum, woran der Mensch hangen und haften soll, gegründet." Jeder Keim, der sich erschließen soll, bedarf zuerst des Schutzes gegen äußere Betastung, eines stillen, ungestörten Wachsthums von innen heraus. Die zarte Schöpfung des Rechts, die unter plum- per Betastung, unter den Eingriffen und Angriffen der Will- kühr, Laune, Rohheit erliegen würde, sichert sich gegen diesel- ben, indem es sich mit dem Heiligenschein religiöser Weihe umgibt. In demselben Maße, in dem dieser Glanz erblaßt, dürfen wir auf die Zunahme der eignen Kraft des Rechts schlie- ßen, und je mehr ein Volk zur Cultur des Rechts und Staats
163) Zeitschrift für gesch. Rechtswiss. B. 2 S. 28.
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
III. Das religiöſe Prinzip mit ſeinem Einfluß auf Recht und Staat.
Das fas — Handhabung deſſelben durch das Pontifikalcollegium — Prozeß vor dem geiſtlichen Gericht (legis actio sacramento) — Hervortreten des religiöſen Einfluſſes in den verſchiedenen Theilen des Rechts, namentlich im Strafrecht — der homo sa- cer — Die Strafe als religiöſes Sühnemittel. —
XVIII. Recht und Religion ſind ein Zwillingspaar, das überall, wohin wir in der Geſchichte blicken, ſeine Kinderjahre in innigſter Gemeinſchaft verbringt, ſich gegenſeitig helfend und ergänzend. Soweit beide, wenn ſie zur Selbſtſtändigkeit und Kraft gelangt ſind, auch auseinander gehn mögen, ohne ſich die Löſung ihrer Aufgabe zu erſchweren, ſo unentbehrlich ſind ſie ſich doch in jener Periode der Schwäche und Unſelbſtändig- keit. Was würde aus dem Recht, wenn es von vornherein als eitel Menſchenwerk in der Geſchichte aufträte, wenn nicht die Religion daſſelbe mit göttlicher Weihe ausſtattete? „Was ein Volk aus der eignen Mitte ſchöpfen ſoll, ſagt treffend Jakob Grimm, 163) wird ſeines gleichen, was es mit Händen anfaſſen darf, wird entweiht; ohne Unnahbarkeit wäre kein Heiligthum, woran der Menſch hangen und haften ſoll, gegründet.“ Jeder Keim, der ſich erſchließen ſoll, bedarf zuerſt des Schutzes gegen äußere Betaſtung, eines ſtillen, ungeſtörten Wachsthums von innen heraus. Die zarte Schöpfung des Rechts, die unter plum- per Betaſtung, unter den Eingriffen und Angriffen der Will- kühr, Laune, Rohheit erliegen würde, ſichert ſich gegen dieſel- ben, indem es ſich mit dem Heiligenſchein religiöſer Weihe umgibt. In demſelben Maße, in dem dieſer Glanz erblaßt, dürfen wir auf die Zunahme der eignen Kraft des Rechts ſchlie- ßen, und je mehr ein Volk zur Cultur des Rechts und Staats
163) Zeitſchrift für geſch. Rechtswiſſ. B. 2 S. 28.
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
III. Das religiöſe Prinzip mit ſeinem Einfluß auf
Recht und Staat.
Das fas — Handhabung deſſelben durch das Pontifikalcollegium
— Prozeß vor dem geiſtlichen Gericht (legis actio sacramento)
— Hervortreten des religiöſen Einfluſſes in den verſchiedenen
Theilen des Rechts, namentlich im Strafrecht — der homo sa-
cer — Die Strafe als religiöſes Sühnemittel. —
XVIII. Recht und Religion ſind ein Zwillingspaar, das
überall, wohin wir in der Geſchichte blicken, ſeine Kinderjahre
in innigſter Gemeinſchaft verbringt, ſich gegenſeitig helfend und
ergänzend. Soweit beide, wenn ſie zur Selbſtſtändigkeit und
Kraft gelangt ſind, auch auseinander gehn mögen, ohne ſich
die Löſung ihrer Aufgabe zu erſchweren, ſo unentbehrlich ſind
ſie ſich doch in jener Periode der Schwäche und Unſelbſtändig-
keit. Was würde aus dem Recht, wenn es von vornherein als
eitel Menſchenwerk in der Geſchichte aufträte, wenn nicht die
Religion daſſelbe mit göttlicher Weihe ausſtattete? „Was ein
Volk aus der eignen Mitte ſchöpfen ſoll, ſagt treffend Jakob
Grimm, 163) wird ſeines gleichen, was es mit Händen anfaſſen
darf, wird entweiht; ohne Unnahbarkeit wäre kein Heiligthum,
woran der Menſch hangen und haften ſoll, gegründet.“ Jeder
Keim, der ſich erſchließen ſoll, bedarf zuerſt des Schutzes gegen
äußere Betaſtung, eines ſtillen, ungeſtörten Wachsthums von
innen heraus. Die zarte Schöpfung des Rechts, die unter plum-
per Betaſtung, unter den Eingriffen und Angriffen der Will-
kühr, Laune, Rohheit erliegen würde, ſichert ſich gegen dieſel-
ben, indem es ſich mit dem Heiligenſchein religiöſer Weihe
umgibt. In demſelben Maße, in dem dieſer Glanz erblaßt,
dürfen wir auf die Zunahme der eignen Kraft des Rechts ſchlie-
ßen, und je mehr ein Volk zur Cultur des Rechts und Staats
163) Zeitſchrift für geſch. Rechtswiſſ. B. 2 S. 28.
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/274>, abgerufen am 23.02.2025.
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