I. Prinzip d. subj. Willens -- Zweifelhaftigkeit d. Anspruchs. §. 12.
nicht dadurch, sondern durch das Maß der einem Volke inne wohnenden Achtung vor dem Gesetze bedingt ist -- das bedarf keiner weitern Ausführung.
3. Vertragsmäßige Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten -- Das öffentliche Richteramt in seinem Anschluß an das System der Selbsthülfe -- Gestalt dieses Systems in späterer Zeit.
XII. Die bisherige Darstellung hat uns zu dem Resultat geführt, daß es im Fall der Zweifellosigkeit eines Rechts der Beihülfe des Staats zur Verwirklichung desselben nicht be- durfte; wir werden sofort sehen, daß der römische Staat noch auf der höchsten Stufe seiner Entwicklung von derselben An- nahme ausgieng.
Wie aber, wenn es an jener Voraussetzung eines zweifel- losen Rechts gebrach? Konnte auch hier der Staat die Partheien sich selbst überlassen? Hätte das nicht gehießen, sie zu Thätlich- keiten zu provociren und den Zufall zum Richter zu machen? War hier also nicht die Handhabung der Rechtspflege von Seiten des Staats unentbehrlich? So scheint es, allein ich hoffe zeigen zu können, daß dies bloßer Schein ist, das System der unmittelbaren Verwirklichung des Rechts vielmehr auch hier völlig ausreichend war.
Das Bedürfniß einer Entscheidung der Rechtsstreitigkei- ten hat sich nicht überall auf dieselbe Weise befriedigt. Bei einigen Völkern ist es die Gottheit, an die man sich zu die- sem Zweck wendet, und die durch Gottesurtheile, Orakel, Loos u. s. w. die Entscheidung abgibt; bei andern ist es die Obrigkeit, die um Hülfe angegangen wird. In beiden Fällen aber unterwerfen sich die Partheien einer höhern Macht. Einen ganz andern Weg hat das römische oder dasjenige Volk einge- schlagen, von dem das römische abstammt, und er ist für die ganze Gesinnungsweise desselben sehr bezeichnend. In histo-
I. Prinzip d. ſubj. Willens — Zweifelhaftigkeit d. Anſpruchs. §. 12.
nicht dadurch, ſondern durch das Maß der einem Volke inne wohnenden Achtung vor dem Geſetze bedingt iſt — das bedarf keiner weitern Ausführung.
3. Vertragsmäßige Entſcheidung der Rechtsſtreitigkeiten — Das öffentliche Richteramt in ſeinem Anſchluß an das Syſtem der Selbſthülfe — Geſtalt dieſes Syſtems in ſpäterer Zeit.
XII. Die bisherige Darſtellung hat uns zu dem Reſultat geführt, daß es im Fall der Zweifelloſigkeit eines Rechts der Beihülfe des Staats zur Verwirklichung deſſelben nicht be- durfte; wir werden ſofort ſehen, daß der römiſche Staat noch auf der höchſten Stufe ſeiner Entwicklung von derſelben An- nahme ausgieng.
Wie aber, wenn es an jener Vorausſetzung eines zweifel- loſen Rechts gebrach? Konnte auch hier der Staat die Partheien ſich ſelbſt überlaſſen? Hätte das nicht gehießen, ſie zu Thätlich- keiten zu provociren und den Zufall zum Richter zu machen? War hier alſo nicht die Handhabung der Rechtspflege von Seiten des Staats unentbehrlich? So ſcheint es, allein ich hoffe zeigen zu können, daß dies bloßer Schein iſt, das Syſtem der unmittelbaren Verwirklichung des Rechts vielmehr auch hier völlig ausreichend war.
Das Bedürfniß einer Entſcheidung der Rechtsſtreitigkei- ten hat ſich nicht überall auf dieſelbe Weiſe befriedigt. Bei einigen Völkern iſt es die Gottheit, an die man ſich zu die- ſem Zweck wendet, und die durch Gottesurtheile, Orakel, Loos u. ſ. w. die Entſcheidung abgibt; bei andern iſt es die Obrigkeit, die um Hülfe angegangen wird. In beiden Fällen aber unterwerfen ſich die Partheien einer höhern Macht. Einen ganz andern Weg hat das römiſche oder dasjenige Volk einge- ſchlagen, von dem das römiſche abſtammt, und er iſt für die ganze Geſinnungsweiſe deſſelben ſehr bezeichnend. In hiſto-
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I. Prinzip d. ſubj. Willens — Zweifelhaftigkeit d. Anſpruchs. §. 12.
nicht dadurch, ſondern durch das Maß der einem Volke inne
wohnenden Achtung vor dem Geſetze bedingt iſt — das bedarf
keiner weitern Ausführung.
3. Vertragsmäßige Entſcheidung der Rechtsſtreitigkeiten — Das
öffentliche Richteramt in ſeinem Anſchluß an das Syſtem der
Selbſthülfe — Geſtalt dieſes Syſtems in ſpäterer Zeit.
XII. Die bisherige Darſtellung hat uns zu dem Reſultat
geführt, daß es im Fall der Zweifelloſigkeit eines Rechts der
Beihülfe des Staats zur Verwirklichung deſſelben nicht be-
durfte; wir werden ſofort ſehen, daß der römiſche Staat noch
auf der höchſten Stufe ſeiner Entwicklung von derſelben An-
nahme ausgieng.
Wie aber, wenn es an jener Vorausſetzung eines zweifel-
loſen Rechts gebrach? Konnte auch hier der Staat die Partheien
ſich ſelbſt überlaſſen? Hätte das nicht gehießen, ſie zu Thätlich-
keiten zu provociren und den Zufall zum Richter zu machen?
War hier alſo nicht die Handhabung der Rechtspflege von
Seiten des Staats unentbehrlich? So ſcheint es, allein ich
hoffe zeigen zu können, daß dies bloßer Schein iſt, das Syſtem
der unmittelbaren Verwirklichung des Rechts vielmehr auch hier
völlig ausreichend war.
Das Bedürfniß einer Entſcheidung der Rechtsſtreitigkei-
ten hat ſich nicht überall auf dieſelbe Weiſe befriedigt. Bei
einigen Völkern iſt es die Gottheit, an die man ſich zu die-
ſem Zweck wendet, und die durch Gottesurtheile, Orakel,
Loos u. ſ. w. die Entſcheidung abgibt; bei andern iſt es die
Obrigkeit, die um Hülfe angegangen wird. In beiden Fällen
aber unterwerfen ſich die Partheien einer höhern Macht. Einen
ganz andern Weg hat das römiſche oder dasjenige Volk einge-
ſchlagen, von dem das römiſche abſtammt, und er iſt für die
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/161>, abgerufen am 23.02.2025.
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