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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

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Realismus hat er mir für den neuen Druck zu Anmerkungen da-
gelassen. Den neuen 1ten Band seiner Werke bring' ich mit. -- Er
will mich durchaus nach München haben zum Durchsehen und
Ordnen seiner Papiere, deren er mir mehrere gab, welchen zum
Drucke wenig an Stil und -- Handschrift fehlt; (so ruhig und gleich-5
förmig ist auch letztere, wie sein ganzes Benehmen, Reden und sein
sanfter edler Sprachton). Schon in der ersten Viertelstunde mußt'
er meinen Sprüngen zwischen Ernst und Scherz zuschauen; und als
ich es halb entschuldigte, sagten die Schwestern, er thue selber oft
deßgleichen. Übrigens scheint er mir doch nicht den rechten Sinn10
für Scherz zu haben, daher er sich Katzenberger und Fibel nicht
hinaus vorlesen lassen (-- freilich von den armen Schwestern; und
ich billigte es selber und rieth ihnen, solche Sachen, wenn es zu
machen wäre, anstatt mit ihren Lippen vorzutragen, ihm lieber
auf einer Kempelischen Sprachmaschine vorzuspielen). Zuweilen15
nimmt ihm das Alter die Fortsetzung einer Idee; auch klagt er,
daß er sprechend jetzt nicht Herr genug über seine Darstellungen sei,
was ich aber nicht fand -- Er hat überall Ruhe, nicht Kälte; kann
daher so leicht Feinde ansprechen, anhören und befriedigen als ich
schwer. Es bleibt die Vormitternacht mir rührend, wo wir allein,20
er mit dem Schatten des Lichtschirms auf dem Gesichte, leise über
das Wichtigste sprachen. -- Und doch -- höre! -- er sollte meinem
erdigen Herzball einen neuen Stoß zur Bewegung um die höhere
Sonne geben und mich heiligen und mir soviel sein wie Herder,
ja mehr als Herder -- er war beides nicht und meine frömmsten25
Wünsche für mich können leider nun von niemand weiter erfüllt
werden als von mir selber. -- "Hab' ich nur ihn gesehen, hatt'
ich bisher gedacht, so werd' ich ein neuer Mensch und begehre weiter
keinen edel-berühmten Mann mehr zu sehen." Ach! --

-- Er sieht ganz gesund aus (wie auch sein Paß besagt) und30
ißt mehr und trinkt so viel als ich und kann und thut vom morgen
an bis Vormitternacht in Einem fort unter Menschen, Genüssen
und auf Häuser- oder Visitenreisen sein. Ich blieb zu seiner Ver-
wunderung meiner alten Regel treu, mitten aus der wärmsten Ge-
sellschaft in meine kühle Einsamkeit zu laufen, um mich vom Erholen35
zu erholen; z. B. aus der vollen Männer- und Weibergesellschaft
bei Merkel nach einem überreichen Gastmal (er hat 5 Häuser).

Realiſmus hat er mir für den neuen Druck zu Anmerkungen da-
gelaſſen. Den neuen 1ten Band ſeiner Werke bring’ ich mit. — Er
will mich durchaus nach München haben zum Durchſehen und
Ordnen ſeiner Papiere, deren er mir mehrere gab, welchen zum
Drucke wenig an Stil und — Handſchrift fehlt; (ſo ruhig und gleich-5
förmig iſt auch letztere, wie ſein ganzes Benehmen, Reden und ſein
ſanfter edler Sprachton). Schon in der erſten Viertelſtunde mußt’
er meinen Sprüngen zwiſchen Ernſt und Scherz zuſchauen; und als
ich es halb entſchuldigte, ſagten die Schweſtern, er thue ſelber oft
deßgleichen. Übrigens ſcheint er mir doch nicht den rechten Sinn10
für Scherz zu haben, daher er ſich Katzenberger und Fibel nicht
hinaus vorleſen laſſen (— freilich von den armen Schweſtern; und
ich billigte es ſelber und rieth ihnen, ſolche Sachen, wenn es zu
machen wäre, anſtatt mit ihren Lippen vorzutragen, ihm lieber
auf einer Kempeliſchen Sprachmaſchine vorzuſpielen). Zuweilen15
nimmt ihm das Alter die Fortſetzung einer Idee; auch klagt er,
daß er ſprechend jetzt nicht Herr genug über ſeine Darſtellungen ſei,
was ich aber nicht fand — Er hat überall Ruhe, nicht Kälte; kann
daher ſo leicht Feinde anſprechen, anhören und befriedigen als ich
ſchwer. Es bleibt die Vormitternacht mir rührend, wo wir allein,20
er mit dem Schatten des Lichtſchirms auf dem Geſichte, leiſe über
das Wichtigſte ſprachen. — Und doch — höre! — er ſollte meinem
erdigen Herzball einen neuen Stoß zur Bewegung um die höhere
Sonne geben und mich heiligen und mir ſoviel ſein wie Herder,
ja mehr als Herder — er war beides nicht und meine frömmſten25
Wünſche für mich können leider nun von niemand weiter erfüllt
werden als von mir ſelber. — „Hab’ ich nur ihn geſehen, hatt’
ich bisher gedacht, ſo werd’ ich ein neuer Menſch und begehre weiter
keinen edel-berühmten Mann mehr zu ſehen.“ Ach! —

— Er ſieht ganz geſund aus (wie auch ſein Paß beſagt) und30
ißt mehr und trinkt ſo viel als ich und kann und thut vom morgen
an bis Vormitternacht in Einem fort unter Menſchen, Genüſſen
und auf Häuſer- oder Viſitenreiſen ſein. Ich blieb zu ſeiner Ver-
wunderung meiner alten Regel treu, mitten aus der wärmſten Ge-
ſellſchaft in meine kühle Einſamkeit zu laufen, um mich vom Erholen35
zu erholen; z. B. aus der vollen Männer- und Weibergeſellſchaft
bei Merkel nach einem überreichen Gaſtmal (er hat 5 Häuſer).

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[272/0286] Realiſmus hat er mir für den neuen Druck zu Anmerkungen da- gelaſſen. Den neuen 1ten Band ſeiner Werke bring’ ich mit. — Er will mich durchaus nach München haben zum Durchſehen und Ordnen ſeiner Papiere, deren er mir mehrere gab, welchen zum Drucke wenig an Stil und — Handſchrift fehlt; (ſo ruhig und gleich- 5 förmig iſt auch letztere, wie ſein ganzes Benehmen, Reden und ſein ſanfter edler Sprachton). Schon in der erſten Viertelſtunde mußt’ er meinen Sprüngen zwiſchen Ernſt und Scherz zuſchauen; und als ich es halb entſchuldigte, ſagten die Schweſtern, er thue ſelber oft deßgleichen. Übrigens ſcheint er mir doch nicht den rechten Sinn 10 für Scherz zu haben, daher er ſich Katzenberger und Fibel nicht hinaus vorleſen laſſen (— freilich von den armen Schweſtern; und ich billigte es ſelber und rieth ihnen, ſolche Sachen, wenn es zu machen wäre, anſtatt mit ihren Lippen vorzutragen, ihm lieber auf einer Kempeliſchen Sprachmaſchine vorzuſpielen). Zuweilen 15 nimmt ihm das Alter die Fortſetzung einer Idee; auch klagt er, daß er ſprechend jetzt nicht Herr genug über ſeine Darſtellungen ſei, was ich aber nicht fand — Er hat überall Ruhe, nicht Kälte; kann daher ſo leicht Feinde anſprechen, anhören und befriedigen als ich ſchwer. Es bleibt die Vormitternacht mir rührend, wo wir allein, 20 er mit dem Schatten des Lichtſchirms auf dem Geſichte, leiſe über das Wichtigſte ſprachen. — Und doch — höre! — er ſollte meinem erdigen Herzball einen neuen Stoß zur Bewegung um die höhere Sonne geben und mich heiligen und mir ſoviel ſein wie Herder, ja mehr als Herder — er war beides nicht und meine frömmſten 25 Wünſche für mich können leider nun von niemand weiter erfüllt werden als von mir ſelber. — „Hab’ ich nur ihn geſehen, hatt’ ich bisher gedacht, ſo werd’ ich ein neuer Menſch und begehre weiter keinen edel-berühmten Mann mehr zu ſehen.“ Ach! — — Er ſieht ganz geſund aus (wie auch ſein Paß beſagt) und 30 ißt mehr und trinkt ſo viel als ich und kann und thut vom morgen an bis Vormitternacht in Einem fort unter Menſchen, Genüſſen und auf Häuſer- oder Viſitenreiſen ſein. Ich blieb zu ſeiner Ver- wunderung meiner alten Regel treu, mitten aus der wärmſten Ge- ſellſchaft in meine kühle Einſamkeit zu laufen, um mich vom Erholen 35 zu erholen; z. B. aus der vollen Männer- und Weibergeſellſchaft bei Merkel nach einem überreichen Gaſtmal (er hat 5 Häuſer).

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/286>, abgerufen am 26.04.2024.