Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

der Anblik, wenn wir jede Wunde durch das Glas der Freundschaft ver-
grössert sehen müssen. Wenn man die Seele das ganze Jahr vom Hasse
rein gehalten: so mus er sie erfüllen gegen den Uebelthäter, der an un-
serer Brust unsern Freund durchstöst. Lassen Sie mich nichts sagen, Un-
schuldiger und Gekränkter, was alle Ihre Freunde hier bei dieser Zu-5
sammenstellung fühlen müssen.

[101]Aber Ihr Advokate hätte gegen Erlang *), wo die Universität
immer einen Sukzessionskrieg und eine partie a la guerre gegen
Judenschaft fortsezt, exzipieren sollen. -- Und Sie appellieren, wenn
Sie es nicht gethan haben. Beim Himmel! wie wollen Sie einer10
kothigen Seele, die ihre Minen im Koth anlegte, um Sie in die
Höhe zu sprengen, die mit fremder Ehre und mit eigner ein leid-
liches
Ende des Prozesses erkaufen wolte, wie wollen Sie dieser
nicht zutrauen, daß sie ein gutes recht gern mit dem Himmel be-
zahlen werde? Manche Edelleute brechen lieber einen Schwur als ihr15
Wort. Kurz ein Kind des Teufels ist auch ein Enkel der Grosmutter
des Teufels.

Ungerechtigkeiten der Menschen rizen tausendmal tiefer in die Brust
als die des Schiksals. Sie wurden in eine stoische Fechtschule der
Geduld-Toleranz geschikt, in der noch wenige Schüler sizen. Das erste20
bei der Politur des Diamanten ist, ihm seine Hülle zu nehmen: das
Schiksal bröckelt schon lange an Ihrer körperlichen Hülle, aber es
nimt Klauen dazu, stat Hände.

Ich hoffe -- was Sie aber vor Hof verschweigen sollen -- bald einen
Monat in Bayreuth zu verthun. Die frohen Wirbel der Freundschaft25
und der Natur alda ziehen mich in immer engere Kreise und endlich gar
in den Mittelpunkt hinein nach Bayreuth.

Tausend Grüsse von mir -- von Otto -- an Sie -- an Schäfer. --
Ich habe nicht vergessen, wie hoch bei den beiden leztern die Brief-
Schuldenpost, die sie zu fodern haben, noch stehe. Aber ich rage kaum30
mit der Nase aus dem Schwalle der Papiere und Arbeiten heraus. --
Du liebe Vorsehung, die du die Schlange an das Herz meines Freundes
schiessen liessest, du wirst sie wieder abnehmen und den Gift ausziehen
und die Wunde zudecken!

Richter35
*) Eben überlas ich Ihren Brief wieder, wo Jena steht: anderswo hört' ich
"Erlang" -- welches ist wahr?

der Anblik, wenn wir jede Wunde durch das Glas der Freundſchaft ver-
gröſſert ſehen müſſen. Wenn man die Seele das ganze Jahr vom Haſſe
rein gehalten: ſo mus er ſie erfüllen gegen den Uebelthäter, der an un-
ſerer Bruſt unſern Freund durchſtöſt. Laſſen Sie mich nichts ſagen, Un-
ſchuldiger und Gekränkter, was alle Ihre Freunde hier bei dieſer Zu-5
ſammenſtellung fühlen müſſen.

[101]Aber Ihr Advokate hätte gegen Erlang *), wo die Univerſität
immer einen Sukzeſſionskrieg und eine partie à la guerre gegen
Judenſchaft fortſezt, exzipieren ſollen. — Und Sie appellieren, wenn
Sie es nicht gethan haben. Beim Himmel! wie wollen Sie einer10
kothigen Seele, die ihre Minen im Koth anlegte, um Sie in die
Höhe zu ſprengen, die mit fremder Ehre und mit eigner ein leid-
liches
Ende des Prozeſſes erkaufen wolte, wie wollen Sie dieſer
nicht zutrauen, daß ſie ein gutes recht gern mit dem Himmel be-
zahlen werde? Manche Edelleute brechen lieber einen Schwur als ihr15
Wort. Kurz ein Kind des Teufels iſt auch ein Enkel der Grosmutter
des Teufels.

Ungerechtigkeiten der Menſchen rizen tauſendmal tiefer in die Bruſt
als die des Schikſals. Sie wurden in eine ſtoiſche Fechtſchule der
Geduld-Toleranz geſchikt, in der noch wenige Schüler ſizen. Das erſte20
bei der Politur des Diamanten iſt, ihm ſeine Hülle zu nehmen: das
Schikſal bröckelt ſchon lange an Ihrer körperlichen Hülle, aber es
nimt Klauen dazu, ſtat Hände.

Ich hoffe — was Sie aber vor Hof verſchweigen ſollen — bald einen
Monat in Bayreuth zu verthun. Die frohen Wirbel der Freundſchaft25
und der Natur alda ziehen mich in immer engere Kreiſe und endlich gar
in den Mittelpunkt hinein nach Bayreuth.

Tauſend Grüſſe von mir — von Otto — an Sie — an Schäfer. —
Ich habe nicht vergeſſen, wie hoch bei den beiden leztern die Brief-
Schuldenpoſt, die ſie zu fodern haben, noch ſtehe. Aber ich rage kaum30
mit der Naſe aus dem Schwalle der Papiere und Arbeiten heraus. —
Du liebe Vorſehung, die du die Schlange an das Herz meines Freundes
ſchieſſen lieſſeſt, du wirſt ſie wieder abnehmen und den Gift ausziehen
und die Wunde zudecken!

Richter35
*) Eben überlas ich Ihren Brief wieder, wo Jena ſteht: anderswo hört’ ich
„Erlang“ — welches iſt wahr?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0117" n="106"/>
der Anblik, wenn wir jede Wunde durch das Glas der Freund&#x017F;chaft ver-<lb/>
grö&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ehen mü&#x017F;&#x017F;en. Wenn man die Seele das ganze Jahr vom Ha&#x017F;&#x017F;e<lb/>
rein gehalten: &#x017F;o mus er &#x017F;ie erfüllen gegen den Uebelthäter, der an un-<lb/>
&#x017F;erer Bru&#x017F;t un&#x017F;ern Freund durch&#x017F;&#x017F;t. La&#x017F;&#x017F;en Sie mich nichts &#x017F;agen, Un-<lb/>
&#x017F;chuldiger und Gekränkter, was alle Ihre Freunde hier bei die&#x017F;er Zu-<lb n="5"/>
&#x017F;ammen&#x017F;tellung fühlen mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p><note place="left"><ref target="1922_Bd2_101">[101]</ref></note>Aber Ihr Advokate hätte gegen Erlang <note place="foot" n="*)">Eben überlas ich Ihren Brief wieder, wo Jena &#x017F;teht: anderswo hört&#x2019; ich<lb/>
&#x201E;Erlang&#x201C; &#x2014; welches i&#x017F;t wahr?</note>, wo die Univer&#x017F;ität<lb/>
immer einen Sukze&#x017F;&#x017F;ionskrieg und eine <hi rendition="#aq">partie à la guerre</hi> gegen<lb/>
Juden&#x017F;chaft fort&#x017F;ezt, exzipieren &#x017F;ollen. &#x2014; Und Sie appellieren, wenn<lb/>
Sie es nicht gethan haben. Beim Himmel! wie wollen Sie einer<lb n="10"/>
kothigen Seele, die ihre Minen im Koth anlegte, um Sie in die<lb/>
Höhe zu &#x017F;prengen, die mit fremder Ehre und mit eigner ein <hi rendition="#g">leid-<lb/>
liches</hi> Ende des Proze&#x017F;&#x017F;es erkaufen wolte, wie wollen Sie die&#x017F;er<lb/>
nicht zutrauen, daß &#x017F;ie ein <hi rendition="#g">gutes</hi> recht gern mit dem Himmel be-<lb/>
zahlen werde? Manche Edelleute brechen lieber einen Schwur als ihr<lb n="15"/>
Wort. Kurz ein Kind des Teufels i&#x017F;t auch ein Enkel der Grosmutter<lb/>
des Teufels.</p><lb/>
        <p>Ungerechtigkeiten der Men&#x017F;chen rizen tau&#x017F;endmal tiefer in die Bru&#x017F;t<lb/>
als die des Schik&#x017F;als. Sie wurden in eine &#x017F;toi&#x017F;che Fecht&#x017F;chule der<lb/>
Geduld-Toleranz ge&#x017F;chikt, in der noch wenige Schüler &#x017F;izen. Das er&#x017F;te<lb n="20"/>
bei der Politur des Diamanten i&#x017F;t, ihm &#x017F;eine Hülle zu nehmen: das<lb/>
Schik&#x017F;al bröckelt &#x017F;chon lange an Ihrer körperlichen Hülle, aber es<lb/>
nimt Klauen dazu, &#x017F;tat Hände.</p><lb/>
        <p>Ich hoffe &#x2014; was Sie aber vor Hof ver&#x017F;chweigen &#x017F;ollen &#x2014; bald einen<lb/>
Monat in Bayreuth zu verthun. Die frohen Wirbel der Freund&#x017F;chaft<lb n="25"/>
und der Natur alda ziehen mich in immer engere Krei&#x017F;e und endlich gar<lb/>
in den Mittelpunkt hinein nach Bayreuth.</p><lb/>
        <p>Tau&#x017F;end Grü&#x017F;&#x017F;e von mir &#x2014; von Otto &#x2014; an Sie &#x2014; an Schäfer. &#x2014;<lb/>
Ich habe nicht verge&#x017F;&#x017F;en, wie hoch bei den beiden leztern die Brief-<lb/>
Schuldenpo&#x017F;t, die &#x017F;ie zu fodern haben, noch &#x017F;tehe. Aber ich rage kaum<lb n="30"/>
mit der Na&#x017F;e aus dem Schwalle der Papiere und Arbeiten heraus. &#x2014;<lb/>
Du liebe Vor&#x017F;ehung, die du die Schlange an das Herz meines Freundes<lb/>
&#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en lie&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, du wir&#x017F;t &#x017F;ie wieder abnehmen und den Gift ausziehen<lb/>
und die Wunde zudecken!</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> <lb n="35"/>
          </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0117] der Anblik, wenn wir jede Wunde durch das Glas der Freundſchaft ver- gröſſert ſehen müſſen. Wenn man die Seele das ganze Jahr vom Haſſe rein gehalten: ſo mus er ſie erfüllen gegen den Uebelthäter, der an un- ſerer Bruſt unſern Freund durchſtöſt. Laſſen Sie mich nichts ſagen, Un- ſchuldiger und Gekränkter, was alle Ihre Freunde hier bei dieſer Zu- 5 ſammenſtellung fühlen müſſen. Aber Ihr Advokate hätte gegen Erlang *), wo die Univerſität immer einen Sukzeſſionskrieg und eine partie à la guerre gegen Judenſchaft fortſezt, exzipieren ſollen. — Und Sie appellieren, wenn Sie es nicht gethan haben. Beim Himmel! wie wollen Sie einer 10 kothigen Seele, die ihre Minen im Koth anlegte, um Sie in die Höhe zu ſprengen, die mit fremder Ehre und mit eigner ein leid- liches Ende des Prozeſſes erkaufen wolte, wie wollen Sie dieſer nicht zutrauen, daß ſie ein gutes recht gern mit dem Himmel be- zahlen werde? Manche Edelleute brechen lieber einen Schwur als ihr 15 Wort. Kurz ein Kind des Teufels iſt auch ein Enkel der Grosmutter des Teufels. [101] Ungerechtigkeiten der Menſchen rizen tauſendmal tiefer in die Bruſt als die des Schikſals. Sie wurden in eine ſtoiſche Fechtſchule der Geduld-Toleranz geſchikt, in der noch wenige Schüler ſizen. Das erſte 20 bei der Politur des Diamanten iſt, ihm ſeine Hülle zu nehmen: das Schikſal bröckelt ſchon lange an Ihrer körperlichen Hülle, aber es nimt Klauen dazu, ſtat Hände. Ich hoffe — was Sie aber vor Hof verſchweigen ſollen — bald einen Monat in Bayreuth zu verthun. Die frohen Wirbel der Freundſchaft 25 und der Natur alda ziehen mich in immer engere Kreiſe und endlich gar in den Mittelpunkt hinein nach Bayreuth. Tauſend Grüſſe von mir — von Otto — an Sie — an Schäfer. — Ich habe nicht vergeſſen, wie hoch bei den beiden leztern die Brief- Schuldenpoſt, die ſie zu fodern haben, noch ſtehe. Aber ich rage kaum 30 mit der Naſe aus dem Schwalle der Papiere und Arbeiten heraus. — Du liebe Vorſehung, die du die Schlange an das Herz meines Freundes ſchieſſen lieſſeſt, du wirſt ſie wieder abnehmen und den Gift ausziehen und die Wunde zudecken! Richter 35 *) Eben überlas ich Ihren Brief wieder, wo Jena ſteht: anderswo hört’ ich „Erlang“ — welches iſt wahr?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/117
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/117>, abgerufen am 26.04.2024.