der Schrift zu sagen, daß sie der wahren Vernunft widersprechen und folglich so müssen gedrehet werden, daß sie mit selbi- ger übereinstimmen. Wie leicht irren wir? Und wenn wir uns in einem solchen Urtheil übereilet, was haben wir alsdenn gethan? Wir haben eine göttliche Wahr- heit die der Weiseste heilig hält, für ab- geschmackt, für thörigt erkläret. Wie em- pfindlich ist es aber uns, wenn jemand von unsern Sätzen ein so hartes Urtheil fället? Sollte man derowegen nicht behutsamer seyn, bey Beurtheilung solcher Worte, die ein göttliches Ansehen haben. Jch wün- sche lieber zu sterben als mich so zu verge- hen, und eine einige Wahrheit der ewigen Weisheit unter abgeschmackte Thorhei- ten eines tummen Verstandes zu setzen.
§. XVIII.
Man wird mich fragen, wie ich es dennWas zu thun, wenn unsere Vernunft und die Offenba- rung mit einander streiten? anfange, wenn ich einen gewissen Satz meiner Vernunft, welchen ich für wahr halte, mit einem deutlichen Ausspruche der Schrift nicht reimen könne. Jch muß hierauf eine solche Antwort geben, welche den Leser, wenn er müde worden, wieder
munter
der Schrift zu ſagen, daß ſie der wahren Vernunft widerſprechen und folglich ſo muͤſſen gedrehet werden, daß ſie mit ſelbi- ger uͤbereinſtimmen. Wie leicht irren wir? Und wenn wir uns in einem ſolchen Urtheil uͤbereilet, was haben wir alsdenn gethan? Wir haben eine goͤttliche Wahr- heit die der Weiſeſte heilig haͤlt, fuͤr ab- geſchmackt, fuͤr thoͤrigt erklaͤret. Wie em- pfindlich iſt es aber uns, wenn jemand von unſern Saͤtzen ein ſo hartes Urtheil faͤllet? Sollte man derowegen nicht behutſamer ſeyn, bey Beurtheilung ſolcher Worte, die ein goͤttliches Anſehen haben. Jch wuͤn- ſche lieber zu ſterben als mich ſo zu verge- hen, und eine einige Wahrheit der ewigen Weisheit unter abgeſchmackte Thorhei- ten eines tummen Verſtandes zu ſetzen.
§. XVIII.
Man wird mich fragen, wie ich es dennWas zu thun, weñ unſere Vernunft und die Offenba- rung mit einander ſtreiten? anfange, wenn ich einen gewiſſen Satz meiner Vernunft, welchen ich fuͤr wahr halte, mit einem deutlichen Ausſpruche der Schrift nicht reimen koͤnne. Jch muß hierauf eine ſolche Antwort geben, welche den Leſer, wenn er muͤde worden, wieder
munter
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der Schrift zu ſagen, daß ſie der wahren
Vernunft widerſprechen und folglich ſo
muͤſſen gedrehet werden, daß ſie mit ſelbi-
ger uͤbereinſtimmen. Wie leicht irren
wir? Und wenn wir uns in einem ſolchen
Urtheil uͤbereilet, was haben wir alsdenn
gethan? Wir haben eine goͤttliche Wahr-
heit die der Weiſeſte heilig haͤlt, fuͤr ab-
geſchmackt, fuͤr thoͤrigt erklaͤret. Wie em-
pfindlich iſt es aber uns, wenn jemand von
unſern Saͤtzen ein ſo hartes Urtheil faͤllet?
Sollte man derowegen nicht behutſamer
ſeyn, bey Beurtheilung ſolcher Worte, die
ein goͤttliches Anſehen haben. Jch wuͤn-
ſche lieber zu ſterben als mich ſo zu verge-
hen, und eine einige Wahrheit der ewigen
Weisheit unter abgeſchmackte Thorhei-
ten eines tummen Verſtandes zu ſetzen.
§. XVIII.
Man wird mich fragen, wie ich es denn
anfange, wenn ich einen gewiſſen Satz
meiner Vernunft, welchen ich fuͤr wahr
halte, mit einem deutlichen Ausſpruche der
Schrift nicht reimen koͤnne. Jch muß
hierauf eine ſolche Antwort geben, welche
den Leſer, wenn er muͤde worden, wieder
munter
Was zu
thun, weñ
unſere
Vernunft
und die
Offenba-
rung mit
einander
ſtreiten?
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/63>, abgerufen am 21.02.2025.
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