Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite





er liebte die Milch nicht, und wuste
nicht, warum?

§. 11.

Es kan uns eben dieses auch noch beyNoch ei-
nige Ex-
empel da-
von.

erwachsenen Jahren begegnen. Jch schliff
vor einigen Jahren an einem Brenn-Gla-
se, als mir eben ein sehr unangenehmer
Brief eingehändiget wurde. Es verging
einige Zeit, ehe ich wieder bey meine
Schleif-Mühle kam. Als ich aber das
erstemal mein angefangenes Glaß wieder
in die Hände nahm, so verspührte ich ei-
nige Traurigkeit, und wuste nicht warum.
Eine gleiche Leidenschaft fühlte ich auch zu
anderer Zeit, wenn ich nur auf das Zim-
mer ging, wo ich mein Schleif-Geräthe
stehen hatte, und ich verlohr fast alle Lust
zum schleiffen, welches mir vorher eine an-
genehme Veränderung gewesen war. Jch
konte hiervon anfänglich keine Ursache ent-
decken, bis ich mich endlich erinnerte, daß
bey dieser Arbeit vor einiger Zeit einen
recht verdrießlichen Brief erhalten, des-
sen dunckeles Bild mir den Anblick der
Schleif-Mühle unangenehm machte.
Die Stärcke solcher dunckelen Vorstel-
lungen zeiget sich besonders in folgenden
Erfahrungen. Es trägt sich zu, daß wir
bisweilen bey dem ersten Anblick einer
Person entweder eine grosse Liebe oder

auch
R 2





er liebte die Milch nicht, und wuſte
nicht, warum?

§. 11.

Es kan uns eben dieſes auch noch beyNoch ei-
nige Ex-
empel da-
von.

erwachſenen Jahren begegnen. Jch ſchliff
vor einigen Jahren an einem Brenn-Gla-
ſe, als mir eben ein ſehr unangenehmer
Brief eingehaͤndiget wurde. Es verging
einige Zeit, ehe ich wieder bey meine
Schleif-Muͤhle kam. Als ich aber das
erſtemal mein angefangenes Glaß wieder
in die Haͤnde nahm, ſo verſpuͤhrte ich ei-
nige Traurigkeit, und wuſte nicht warum.
Eine gleiche Leidenſchaft fuͤhlte ich auch zu
anderer Zeit, wenn ich nur auf das Zim-
mer ging, wo ich mein Schleif-Geraͤthe
ſtehen hatte, und ich verlohr faſt alle Luſt
zum ſchleiffen, welches mir vorher eine an-
genehme Veraͤnderung geweſen war. Jch
konte hiervon anfaͤnglich keine Urſache ent-
decken, bis ich mich endlich erinnerte, daß
bey dieſer Arbeit vor einiger Zeit einen
recht verdrießlichen Brief erhalten, deſ-
ſen dunckeles Bild mir den Anblick der
Schleif-Muͤhle unangenehm machte.
Die Staͤrcke ſolcher dunckelen Vorſtel-
lungen zeiget ſich beſonders in folgenden
Erfahrungen. Es traͤgt ſich zu, daß wir
bisweilen bey dem erſten Anblick einer
Perſon entweder eine groſſe Liebe oder

auch
R 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0291" n="259[255]"/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <hi rendition="#fr">er liebte die Milch nicht, und wu&#x017F;te<lb/>
nicht, warum?</hi> </p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 11.</head><lb/>
            <p>Es kan uns eben die&#x017F;es auch noch bey<note place="right">Noch ei-<lb/>
nige Ex-<lb/>
empel da-<lb/>
von.</note><lb/>
erwach&#x017F;enen Jahren begegnen. Jch &#x017F;chliff<lb/>
vor einigen Jahren an einem Brenn-Gla-<lb/>
&#x017F;e, als mir eben ein &#x017F;ehr unangenehmer<lb/>
Brief eingeha&#x0364;ndiget wurde. Es verging<lb/>
einige Zeit, ehe ich wieder bey meine<lb/>
Schleif-Mu&#x0364;hle kam. Als ich aber das<lb/>
er&#x017F;temal mein angefangenes Glaß wieder<lb/>
in die Ha&#x0364;nde nahm, &#x017F;o ver&#x017F;pu&#x0364;hrte ich ei-<lb/>
nige Traurigkeit, und wu&#x017F;te nicht warum.<lb/>
Eine gleiche Leiden&#x017F;chaft fu&#x0364;hlte ich auch zu<lb/>
anderer Zeit, wenn ich nur auf das Zim-<lb/>
mer ging, wo ich mein Schleif-Gera&#x0364;the<lb/>
&#x017F;tehen hatte, und ich verlohr fa&#x017F;t alle Lu&#x017F;t<lb/>
zum &#x017F;chleiffen, welches mir vorher eine an-<lb/>
genehme Vera&#x0364;nderung gewe&#x017F;en war. Jch<lb/>
konte hiervon anfa&#x0364;nglich keine Ur&#x017F;ache ent-<lb/>
decken, bis ich mich endlich erinnerte, daß<lb/>
bey die&#x017F;er Arbeit vor einiger Zeit einen<lb/>
recht verdrießlichen Brief erhalten, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en dunckeles Bild mir den Anblick der<lb/>
Schleif-Mu&#x0364;hle unangenehm machte.<lb/>
Die Sta&#x0364;rcke &#x017F;olcher dunckelen Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen zeiget &#x017F;ich be&#x017F;onders in folgenden<lb/>
Erfahrungen. Es tra&#x0364;gt &#x017F;ich zu, daß wir<lb/>
bisweilen bey dem er&#x017F;ten Anblick einer<lb/>
Per&#x017F;on entweder eine gro&#x017F;&#x017F;e Liebe oder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 2</fw><fw place="bottom" type="catch">auch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259[255]/0291] er liebte die Milch nicht, und wuſte nicht, warum? §. 11. Es kan uns eben dieſes auch noch bey erwachſenen Jahren begegnen. Jch ſchliff vor einigen Jahren an einem Brenn-Gla- ſe, als mir eben ein ſehr unangenehmer Brief eingehaͤndiget wurde. Es verging einige Zeit, ehe ich wieder bey meine Schleif-Muͤhle kam. Als ich aber das erſtemal mein angefangenes Glaß wieder in die Haͤnde nahm, ſo verſpuͤhrte ich ei- nige Traurigkeit, und wuſte nicht warum. Eine gleiche Leidenſchaft fuͤhlte ich auch zu anderer Zeit, wenn ich nur auf das Zim- mer ging, wo ich mein Schleif-Geraͤthe ſtehen hatte, und ich verlohr faſt alle Luſt zum ſchleiffen, welches mir vorher eine an- genehme Veraͤnderung geweſen war. Jch konte hiervon anfaͤnglich keine Urſache ent- decken, bis ich mich endlich erinnerte, daß bey dieſer Arbeit vor einiger Zeit einen recht verdrießlichen Brief erhalten, deſ- ſen dunckeles Bild mir den Anblick der Schleif-Muͤhle unangenehm machte. Die Staͤrcke ſolcher dunckelen Vorſtel- lungen zeiget ſich beſonders in folgenden Erfahrungen. Es traͤgt ſich zu, daß wir bisweilen bey dem erſten Anblick einer Perſon entweder eine groſſe Liebe oder auch Noch ei- nige Ex- empel da- von. R 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/291
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 259[255]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/291>, abgerufen am 21.12.2024.