Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
XIV.
Beylage zu Lenorens Briefe.

Lenorens Brief kam zu spät, um noch gestern
Abend mit der Post abzugehen, und das war
recht gut, sage ich; denn nun kann ich Dir
auch einen schönen Morgen bieten, einen so
schönen als der von Lenore immer seyn mochte.
Ich sitze oben, in dem grünen Zimmer, und
schaue über die Castanienallee weg, gerad aufs
freye Feld. Am Himmel herum schwebt dün-
nes Gewölk, so schön bemahlt von der aufge-
henden Sonne, daß es wohl schöner ist, als sie
selbst; aber doch bin ich auf der Lauer, und
meyne alle Augenblicke sie hervorbrechen zu se-
hen. Wie meynst Du, daß es meinem Stumpf-
näschen läßt, so hoch über die hohen Gipfel
weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma-
jestätischen Donnervogel
? Ich muß
selbst darüber lachen. Aergerlich ist es aber
doch, ein Gesichtchen zu haben, dem so etwas
nicht läßt.

Liebe Sylli, ich schäme mich jetzt, neulich

J 3
XIV.
Beylage zu Lenorens Briefe.

Lenorens Brief kam zu ſpaͤt, um noch geſtern
Abend mit der Poſt abzugehen, und das war
recht gut, ſage ich; denn nun kann ich Dir
auch einen ſchoͤnen Morgen bieten, einen ſo
ſchoͤnen als der von Lenore immer ſeyn mochte.
Ich ſitze oben, in dem gruͤnen Zimmer, und
ſchaue uͤber die Caſtanienallee weg, gerad aufs
freye Feld. Am Himmel herum ſchwebt duͤn-
nes Gewoͤlk, ſo ſchoͤn bemahlt von der aufge-
henden Sonne, daß es wohl ſchoͤner iſt, als ſie
ſelbſt; aber doch bin ich auf der Lauer, und
meyne alle Augenblicke ſie hervorbrechen zu ſe-
hen. Wie meynſt Du, daß es meinem Stumpf-
naͤschen laͤßt, ſo hoch uͤber die hohen Gipfel
weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma-
jeſtaͤtiſchen Donnervogel
? Ich muß
ſelbſt daruͤber lachen. Aergerlich iſt es aber
doch, ein Geſichtchen zu haben, dem ſo etwas
nicht laͤßt.

Liebe Sylli, ich ſchaͤme mich jetzt, neulich

J 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0171" n="133"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi><lb/>
Beylage zu Lenorens Briefe.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">L</hi>enorens Brief kam zu &#x017F;pa&#x0364;t, um noch ge&#x017F;tern<lb/>
Abend mit der Po&#x017F;t abzugehen, und das war<lb/>
recht gut, &#x017F;age ich; denn nun kann ich Dir<lb/>
auch einen &#x017F;cho&#x0364;nen Morgen bieten, einen &#x017F;o<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen als der von Lenore immer &#x017F;eyn mochte.<lb/>
Ich &#x017F;itze oben, in dem gru&#x0364;nen Zimmer, und<lb/>
&#x017F;chaue u&#x0364;ber die Ca&#x017F;tanienallee weg, gerad aufs<lb/>
freye Feld. Am Himmel herum &#x017F;chwebt du&#x0364;n-<lb/>
nes Gewo&#x0364;lk, &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n bemahlt von der aufge-<lb/>
henden Sonne, daß es wohl &#x017F;cho&#x0364;ner i&#x017F;t, als &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t; aber doch bin ich auf der Lauer, und<lb/>
meyne alle Augenblicke &#x017F;ie hervorbrechen zu &#x017F;e-<lb/>
hen. Wie meyn&#x017F;t Du, daß es meinem Stumpf-<lb/>
na&#x0364;schen la&#x0364;ßt, &#x017F;o hoch u&#x0364;ber die hohen Gipfel<lb/>
weg in die Sonne zu blicken, gleich dem <hi rendition="#g">ma-<lb/>
je&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;chen Donnervogel</hi>? Ich muß<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t daru&#x0364;ber lachen. Aergerlich i&#x017F;t es aber<lb/>
doch, ein Ge&#x017F;ichtchen zu haben, dem &#x017F;o etwas<lb/>
nicht la&#x0364;ßt.</p><lb/>
          <p>Liebe Sylli, ich &#x017F;cha&#x0364;me mich jetzt, neulich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 3</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0171] XIV. Beylage zu Lenorens Briefe. Lenorens Brief kam zu ſpaͤt, um noch geſtern Abend mit der Poſt abzugehen, und das war recht gut, ſage ich; denn nun kann ich Dir auch einen ſchoͤnen Morgen bieten, einen ſo ſchoͤnen als der von Lenore immer ſeyn mochte. Ich ſitze oben, in dem gruͤnen Zimmer, und ſchaue uͤber die Caſtanienallee weg, gerad aufs freye Feld. Am Himmel herum ſchwebt duͤn- nes Gewoͤlk, ſo ſchoͤn bemahlt von der aufge- henden Sonne, daß es wohl ſchoͤner iſt, als ſie ſelbſt; aber doch bin ich auf der Lauer, und meyne alle Augenblicke ſie hervorbrechen zu ſe- hen. Wie meynſt Du, daß es meinem Stumpf- naͤschen laͤßt, ſo hoch uͤber die hohen Gipfel weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma- jeſtaͤtiſchen Donnervogel? Ich muß ſelbſt daruͤber lachen. Aergerlich iſt es aber doch, ein Geſichtchen zu haben, dem ſo etwas nicht laͤßt. Liebe Sylli, ich ſchaͤme mich jetzt, neulich J 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/171
Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/171>, abgerufen am 03.12.2024.