Lenorens Brief kam zu spät, um noch gestern Abend mit der Post abzugehen, und das war recht gut, sage ich; denn nun kann ich Dir auch einen schönen Morgen bieten, einen so schönen als der von Lenore immer seyn mochte. Ich sitze oben, in dem grünen Zimmer, und schaue über die Castanienallee weg, gerad aufs freye Feld. Am Himmel herum schwebt dün- nes Gewölk, so schön bemahlt von der aufge- henden Sonne, daß es wohl schöner ist, als sie selbst; aber doch bin ich auf der Lauer, und meyne alle Augenblicke sie hervorbrechen zu se- hen. Wie meynst Du, daß es meinem Stumpf- näschen läßt, so hoch über die hohen Gipfel weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma- jestätischen Donnervogel? Ich muß selbst darüber lachen. Aergerlich ist es aber doch, ein Gesichtchen zu haben, dem so etwas nicht läßt.
Liebe Sylli, ich schäme mich jetzt, neulich
J 3
XIV. Beylage zu Lenorens Briefe.
Lenorens Brief kam zu ſpaͤt, um noch geſtern Abend mit der Poſt abzugehen, und das war recht gut, ſage ich; denn nun kann ich Dir auch einen ſchoͤnen Morgen bieten, einen ſo ſchoͤnen als der von Lenore immer ſeyn mochte. Ich ſitze oben, in dem gruͤnen Zimmer, und ſchaue uͤber die Caſtanienallee weg, gerad aufs freye Feld. Am Himmel herum ſchwebt duͤn- nes Gewoͤlk, ſo ſchoͤn bemahlt von der aufge- henden Sonne, daß es wohl ſchoͤner iſt, als ſie ſelbſt; aber doch bin ich auf der Lauer, und meyne alle Augenblicke ſie hervorbrechen zu ſe- hen. Wie meynſt Du, daß es meinem Stumpf- naͤschen laͤßt, ſo hoch uͤber die hohen Gipfel weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma- jeſtaͤtiſchen Donnervogel? Ich muß ſelbſt daruͤber lachen. Aergerlich iſt es aber doch, ein Geſichtchen zu haben, dem ſo etwas nicht laͤßt.
Liebe Sylli, ich ſchaͤme mich jetzt, neulich
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XIV.
Beylage zu Lenorens Briefe.
Lenorens Brief kam zu ſpaͤt, um noch geſtern
Abend mit der Poſt abzugehen, und das war
recht gut, ſage ich; denn nun kann ich Dir
auch einen ſchoͤnen Morgen bieten, einen ſo
ſchoͤnen als der von Lenore immer ſeyn mochte.
Ich ſitze oben, in dem gruͤnen Zimmer, und
ſchaue uͤber die Caſtanienallee weg, gerad aufs
freye Feld. Am Himmel herum ſchwebt duͤn-
nes Gewoͤlk, ſo ſchoͤn bemahlt von der aufge-
henden Sonne, daß es wohl ſchoͤner iſt, als ſie
ſelbſt; aber doch bin ich auf der Lauer, und
meyne alle Augenblicke ſie hervorbrechen zu ſe-
hen. Wie meynſt Du, daß es meinem Stumpf-
naͤschen laͤßt, ſo hoch uͤber die hohen Gipfel
weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma-
jeſtaͤtiſchen Donnervogel? Ich muß
ſelbſt daruͤber lachen. Aergerlich iſt es aber
doch, ein Geſichtchen zu haben, dem ſo etwas
nicht laͤßt.
Liebe Sylli, ich ſchaͤme mich jetzt, neulich
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/171>, abgerufen am 03.12.2024.
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