Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.je wieder zur vollen Geistesfreiheit gelangen würde. Indeß 4. S., im Jahre 1815 in Berlin geboren, ist die Toch¬ je wieder zur vollen Geiſtesfreiheit gelangen wuͤrde. Indeß 4. S., im Jahre 1815 in Berlin geboren, iſt die Toch¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0087" n="79"/> je wieder zur vollen Geiſtesfreiheit gelangen wuͤrde. Indeß<lb/> ſie war dem Einfluſſe der Wiedertaͤufer gaͤnzlich entruͤckt; ſie<lb/> empfand eine ſo tiefe Befriedigung bei der wiederholt gegebe¬<lb/> nen Verſicherung, daß die vermeintliche Macht derſelben uͤber<lb/> ſie lediglich in der Einbildung begruͤndet ſei, eben weil dieſe<lb/> Verſicherung ihrem ſehnſuͤchtigen Verlangen entſprach; nach<lb/> vieljaͤhrigen Glaubensſtreitigkeiten und Wirren fand ſie endlich<lb/> Frieden und Aufklaͤrung, welche mit ihrer fruͤheren Geſinnung<lb/> und Denkweiſe uͤbereinſtimmten, ſo daß ihr allmaͤhlig die Schup¬<lb/> pen von den Augen fielen, und ſie im Laufe des Sommers<lb/> immer mehr mit ſich in Uebereinſtimmung kam. Um indeß die<lb/> Gewißheit zu erlangen, daß ſie mit ihrer innerſten Ueberzeu¬<lb/> gung in einem berichtigten Denken wieder einen feſten Grund<lb/> und Boden gefunden habe, wurde es nothwendig, ihr die<lb/> Aufgabe zu ſtellen, daß ſie die Ereigniſſe ihres bisherigen Le¬<lb/> bens ausfuͤhrlich ſchilderte, um zu zeigen, in welchem Sinne<lb/> ſie dieſelben auffaſſe. Ihre Selbſtbiographie fuͤllte nicht weni¬<lb/> ger als 12 eng geſchriebene Bogen, enthielt zwar viel Ueber¬<lb/> fluͤſſiges, war aber in einem ſo durchweg richtigen Urtheile<lb/> uͤber alle Perſonen und Verhaͤltniſſe, namentlich auch uͤber ſich<lb/> ſelbſt gedacht, daß nicht laͤnger an ihrer vollſtaͤndigen Wieder¬<lb/> herſtellung gezweifelt werden konnte, zumal da in ihrem Ge¬<lb/> muͤthe ſchon ſeit langer Zeit der tiefſte Friede und eine unge¬<lb/> truͤbte Heiterkeit waltete, und ſie auch in koͤrperlicher Bezie¬<lb/> hung der vollſten Geſundheit ſich erfreute. Daher konnte ſie<lb/> am 12. Januar 1846 unbedenklich als geheilt entlaſſen werden.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>4.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">S</hi>., im Jahre 1815 in Berlin geboren, iſt die Toch¬<lb/> ter eines Faͤrbers, welcher durch den Verluſt ſeines Vermoͤ¬<lb/> gens genoͤthigt wurde, ſich nach einer kleinen Provinzialſtadt<lb/> uͤberzuſiedeln, wo er aller Anſtrengungen ungeachtet ſich nicht<lb/> aus großer Duͤrftigkeit emporarbeiten konnte, welche bei einer<lb/> Schaar von 11 Kindern um ſo druͤckender von Allen empfun¬<lb/> den werden mußte. Dennoch herrſchte in der Familie die in¬<lb/> nigſte Eintracht als die treue Begleiterin reiner Sitte und red¬<lb/> lichen Fleißes. Unſere Kranke zeigte ſchon in fruͤher Kindheit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0087]
je wieder zur vollen Geiſtesfreiheit gelangen wuͤrde. Indeß
ſie war dem Einfluſſe der Wiedertaͤufer gaͤnzlich entruͤckt; ſie
empfand eine ſo tiefe Befriedigung bei der wiederholt gegebe¬
nen Verſicherung, daß die vermeintliche Macht derſelben uͤber
ſie lediglich in der Einbildung begruͤndet ſei, eben weil dieſe
Verſicherung ihrem ſehnſuͤchtigen Verlangen entſprach; nach
vieljaͤhrigen Glaubensſtreitigkeiten und Wirren fand ſie endlich
Frieden und Aufklaͤrung, welche mit ihrer fruͤheren Geſinnung
und Denkweiſe uͤbereinſtimmten, ſo daß ihr allmaͤhlig die Schup¬
pen von den Augen fielen, und ſie im Laufe des Sommers
immer mehr mit ſich in Uebereinſtimmung kam. Um indeß die
Gewißheit zu erlangen, daß ſie mit ihrer innerſten Ueberzeu¬
gung in einem berichtigten Denken wieder einen feſten Grund
und Boden gefunden habe, wurde es nothwendig, ihr die
Aufgabe zu ſtellen, daß ſie die Ereigniſſe ihres bisherigen Le¬
bens ausfuͤhrlich ſchilderte, um zu zeigen, in welchem Sinne
ſie dieſelben auffaſſe. Ihre Selbſtbiographie fuͤllte nicht weni¬
ger als 12 eng geſchriebene Bogen, enthielt zwar viel Ueber¬
fluͤſſiges, war aber in einem ſo durchweg richtigen Urtheile
uͤber alle Perſonen und Verhaͤltniſſe, namentlich auch uͤber ſich
ſelbſt gedacht, daß nicht laͤnger an ihrer vollſtaͤndigen Wieder¬
herſtellung gezweifelt werden konnte, zumal da in ihrem Ge¬
muͤthe ſchon ſeit langer Zeit der tiefſte Friede und eine unge¬
truͤbte Heiterkeit waltete, und ſie auch in koͤrperlicher Bezie¬
hung der vollſten Geſundheit ſich erfreute. Daher konnte ſie
am 12. Januar 1846 unbedenklich als geheilt entlaſſen werden.
4.
S., im Jahre 1815 in Berlin geboren, iſt die Toch¬
ter eines Faͤrbers, welcher durch den Verluſt ſeines Vermoͤ¬
gens genoͤthigt wurde, ſich nach einer kleinen Provinzialſtadt
uͤberzuſiedeln, wo er aller Anſtrengungen ungeachtet ſich nicht
aus großer Duͤrftigkeit emporarbeiten konnte, welche bei einer
Schaar von 11 Kindern um ſo druͤckender von Allen empfun¬
den werden mußte. Dennoch herrſchte in der Familie die in¬
nigſte Eintracht als die treue Begleiterin reiner Sitte und red¬
lichen Fleißes. Unſere Kranke zeigte ſchon in fruͤher Kindheit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |