Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.sten Behörden rächen zu wollen drohte. Wirft man einen un¬ 16. E., 26 Jahre alt, in Berlin gebürtig, der Sohn eines ſten Behoͤrden raͤchen zu wollen drohte. Wirft man einen un¬ 16. E., 26 Jahre alt, in Berlin gebuͤrtig, der Sohn eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0178" n="170"/> ſten Behoͤrden raͤchen zu wollen drohte. Wirft man einen un¬<lb/> partheiiſchen Blick auf die hochmuͤthige Selbſtverblendung, in<lb/> welcher er ſeit einer langen Reihe von Jahren bei gaͤnzlichem<lb/> Mangel an Talent und praktiſcher Tuͤchtigkeit gelebt hatte; ſo<lb/> wird wohl die Vorausſetzung der Unheilbarkeit ſeines Seelen¬<lb/> leidens hinlaͤnglich gerechtfertigt.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>16.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">E.</hi><hi rendition="#b">,</hi> 26 Jahre alt, in Berlin gebuͤrtig, der Sohn eines<lb/> Tafeldeckers, wurde von demſelben aus Armuth bereits im<lb/> 10. Lebensjahre einem Faͤrbermeiſter zur weiteren Pflege und<lb/> Erziehung anvertraut, welche ihm aber nur auf eine hoͤchſt<lb/> mangelhafte Weiſe zu Theil wurden, da er die meiſte Zeit un¬<lb/> ter koͤrperlichen Arbeiten faſt uͤber das Maaß ſeiner Kraͤfte zu¬<lb/> bringen mußte, und uͤberdies von ſeinem rohen Pflegerater,<lb/> einem Trunkenbolde, eine ſehr harte Behandlung erfuhr. Er<lb/> konnte ſich daher in einem ſehr ſpaͤrlichen Schulbeſuche nur<lb/> duͤrftige Elementarkenntniſſe aneignen, und es bedurfte der<lb/> vorherrſchenden Weichheit und Milde ſeines Gemuͤths, um ihn<lb/> unter ſo unguͤnſtigen Verhaͤltniſſen gegen ſittliche Verwilderung<lb/> zu ſchuͤtzen. Seine fruͤh verſtorbene Mutter weckte durch haͤu¬<lb/> figes Bibelleſen und andere Andachtsuͤbungen ſchon zeitig ſein<lb/> religioͤſes Gefuͤhl, welches bei ihm ſchnell zur lebendigen Ent¬<lb/> wickelung kam, ſo daß er in der geſchilderten druͤckenden Lage,<lb/> in welcher er 4 Jahre ausharren mußte, allein Troſt und Muth<lb/> aus dem Beſuche des Gottesdienſtes ſchoͤpfte, dem er an jedem<lb/> Sonntage meiſtentheils zweimal beiwohnte. Die vielen Muͤhen<lb/> und Beſchwerden warfen ihn zwar nicht auf das Krankenbette,<lb/> hielten ihn jedoch in ſeiner koͤrperlichen Ausbildung zuruͤck, da<lb/> ſein Wuchs unter dem natuͤrlichen Maaß zuruͤckgeblieben iſt; auch<lb/> wurde dadurch ſein Sinn nicht nur zum ſteten Ernſt geſtimmt,<lb/> ſondern er empfand auch ein ſo nothwendiges Beduͤrfniß from¬<lb/> mer Erregung, daß er ſie immerfort hervorzurufen ſtrebte, in¬<lb/> dem er nicht nur eifrig, ſelbſt in ſchlafloſen Naͤchten betete,<lb/> ſondern auch in der Bibel fleißig las, daher er denn das neue<lb/> Teſtament faſt auswendig gelernt hatte. Soweit ſeine Erinne-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [170/0178]
ſten Behoͤrden raͤchen zu wollen drohte. Wirft man einen un¬
partheiiſchen Blick auf die hochmuͤthige Selbſtverblendung, in
welcher er ſeit einer langen Reihe von Jahren bei gaͤnzlichem
Mangel an Talent und praktiſcher Tuͤchtigkeit gelebt hatte; ſo
wird wohl die Vorausſetzung der Unheilbarkeit ſeines Seelen¬
leidens hinlaͤnglich gerechtfertigt.
16.
E., 26 Jahre alt, in Berlin gebuͤrtig, der Sohn eines
Tafeldeckers, wurde von demſelben aus Armuth bereits im
10. Lebensjahre einem Faͤrbermeiſter zur weiteren Pflege und
Erziehung anvertraut, welche ihm aber nur auf eine hoͤchſt
mangelhafte Weiſe zu Theil wurden, da er die meiſte Zeit un¬
ter koͤrperlichen Arbeiten faſt uͤber das Maaß ſeiner Kraͤfte zu¬
bringen mußte, und uͤberdies von ſeinem rohen Pflegerater,
einem Trunkenbolde, eine ſehr harte Behandlung erfuhr. Er
konnte ſich daher in einem ſehr ſpaͤrlichen Schulbeſuche nur
duͤrftige Elementarkenntniſſe aneignen, und es bedurfte der
vorherrſchenden Weichheit und Milde ſeines Gemuͤths, um ihn
unter ſo unguͤnſtigen Verhaͤltniſſen gegen ſittliche Verwilderung
zu ſchuͤtzen. Seine fruͤh verſtorbene Mutter weckte durch haͤu¬
figes Bibelleſen und andere Andachtsuͤbungen ſchon zeitig ſein
religioͤſes Gefuͤhl, welches bei ihm ſchnell zur lebendigen Ent¬
wickelung kam, ſo daß er in der geſchilderten druͤckenden Lage,
in welcher er 4 Jahre ausharren mußte, allein Troſt und Muth
aus dem Beſuche des Gottesdienſtes ſchoͤpfte, dem er an jedem
Sonntage meiſtentheils zweimal beiwohnte. Die vielen Muͤhen
und Beſchwerden warfen ihn zwar nicht auf das Krankenbette,
hielten ihn jedoch in ſeiner koͤrperlichen Ausbildung zuruͤck, da
ſein Wuchs unter dem natuͤrlichen Maaß zuruͤckgeblieben iſt; auch
wurde dadurch ſein Sinn nicht nur zum ſteten Ernſt geſtimmt,
ſondern er empfand auch ein ſo nothwendiges Beduͤrfniß from¬
mer Erregung, daß er ſie immerfort hervorzurufen ſtrebte, in¬
dem er nicht nur eifrig, ſelbſt in ſchlafloſen Naͤchten betete,
ſondern auch in der Bibel fleißig las, daher er denn das neue
Teſtament faſt auswendig gelernt hatte. Soweit ſeine Erinne-
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