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Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander v. Humboldt. In: Humboldt, Wilhelm von: Sonette. Berlin, 1853, S. [III]-XVI.

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nachsetzen, und im Widerstreit der Neigungen und Pflich-
ten Alles, durch Selbstbeherrschung und Erhebung über
das Niedere und Gemeine, dem Adel und der Reinheit
der Gesinnung opfern muß.



"Religion und Poesie stehen in gar keinem, am
wenigsten in einem schroffen Gegensatz gegen einander.

"Denn beide arbeiten nicht nur gleichmäßig auf die
Veredlung des Menschen hin, sondern die religiösen
Wahrheiten sind alle der Art, daß sie gerade des höch-
sten dichterischen Ausdrucks fähig sind; und die Poesie
kann gar keine hohe, oder tiefe seyn, wenn sie nicht im-
mer in das Gebiet hinübergeht, in welchem auch die
Religion weilt.

"Alle großen Trauerspiele des Alterthums und der
neueren Zeit beruhen auf der Vorstellung der Abhän-
gigkeit des endlichen Menschen von einer unendlichen
Macht, und auf der Nothwendigkeit, das Endliche (Glück
und Neigung) dem Ueberirdischen (Pflicht und Gesinnung)
zum Opfer zu bringen.

"Aller Gottesdienst nimmt daher die Poesie, als
etwas der Religion nahe Verwandtes, in sich auf.

"Die Poesie darf aber nur neben der Religion ge-
nannt werden, wenn sie die höchste, würdigste und reinste
ist. Sie kann auch alles dies in minderem Grade seyn,
und sogar einen entgegengesetzten Weg einschlagen; darum

nachſetzen, und im Widerſtreit der Neigungen und Pflich-
ten Alles, durch Selbſtbeherrſchung und Erhebung über
das Niedere und Gemeine, dem Adel und der Reinheit
der Geſinnung opfern muß.



„Religion und Poeſie ſtehen in gar keinem, am
wenigſten in einem ſchroffen Gegenſatz gegen einander.

„Denn beide arbeiten nicht nur gleichmäßig auf die
Veredlung des Menſchen hin, ſondern die religiöſen
Wahrheiten ſind alle der Art, daß ſie gerade des höch-
ſten dichteriſchen Ausdrucks fähig ſind; und die Poeſie
kann gar keine hohe, oder tiefe ſeyn, wenn ſie nicht im-
mer in das Gebiet hinübergeht, in welchem auch die
Religion weilt.

„Alle großen Trauerſpiele des Alterthums und der
neueren Zeit beruhen auf der Vorſtellung der Abhän-
gigkeit des endlichen Menſchen von einer unendlichen
Macht, und auf der Nothwendigkeit, das Endliche (Glück
und Neigung) dem Ueberirdiſchen (Pflicht und Geſinnung)
zum Opfer zu bringen.

„Aller Gottesdienſt nimmt daher die Poeſie, als
etwas der Religion nahe Verwandtes, in ſich auf.

„Die Poeſie darf aber nur neben der Religion ge-
nannt werden, wenn ſie die höchſte, würdigſte und reinſte
iſt. Sie kann auch alles dies in minderem Grade ſeyn,
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[XII/0013] nachſetzen, und im Widerſtreit der Neigungen und Pflich- ten Alles, durch Selbſtbeherrſchung und Erhebung über das Niedere und Gemeine, dem Adel und der Reinheit der Geſinnung opfern muß. „Religion und Poeſie ſtehen in gar keinem, am wenigſten in einem ſchroffen Gegenſatz gegen einander. „Denn beide arbeiten nicht nur gleichmäßig auf die Veredlung des Menſchen hin, ſondern die religiöſen Wahrheiten ſind alle der Art, daß ſie gerade des höch- ſten dichteriſchen Ausdrucks fähig ſind; und die Poeſie kann gar keine hohe, oder tiefe ſeyn, wenn ſie nicht im- mer in das Gebiet hinübergeht, in welchem auch die Religion weilt. „Alle großen Trauerſpiele des Alterthums und der neueren Zeit beruhen auf der Vorſtellung der Abhän- gigkeit des endlichen Menſchen von einer unendlichen Macht, und auf der Nothwendigkeit, das Endliche (Glück und Neigung) dem Ueberirdiſchen (Pflicht und Geſinnung) zum Opfer zu bringen. „Aller Gottesdienſt nimmt daher die Poeſie, als etwas der Religion nahe Verwandtes, in ſich auf. „Die Poeſie darf aber nur neben der Religion ge- nannt werden, wenn ſie die höchſte, würdigſte und reinſte iſt. Sie kann auch alles dies in minderem Grade ſeyn, und ſogar einen entgegengeſetzten Weg einſchlagen; darum

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander v. Humboldt. In: Humboldt, Wilhelm von: Sonette. Berlin, 1853, S. [III]-XVI, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1853/13>, abgerufen am 26.04.2024.