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Humboldt, Alexander von: [Ich über mich selbst. Mein Weg zum Naturwissenschaftler und Forschungsreisenden 1769–1790.] In: Ders.: Tagebücher der Amerikanischen Reise, VII a u. b, Bl. 134v–136v. S[anta] Fe [de Bogotá], 1801 [mit späteren Ergänzungen].

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S. Fe den 4 August 1791801
nie drukken zu
lassen AlHumboldt
Nov. 1839

Der Wunsch entfernte Welttheile zu besuchen und die Produk-
te der Tropenwelt in ihrer Heimath zu untersuchensehen ward erst in
mir rege, als ich anfing, mich mit Botanik zu beschäftigen. Bis
in mein 17tes und 18tes Jahr waren alle meine Wünsche auf
meine Heimath beschränkt. So sorgfältig auch unsere litterarische Erziehung
war, so ward doch alles was auf Naturkunde und Chemie bezug hat-
te in derselben vernachlässigt. Kleinlich scheinende Umstände haben
oft den entschiedensten Einfluß in ein thätiges Menschenleben
und so muß man die Spuren wichtiger Ereignisse oft in diesen Umstän-
den suchen. Der Hofrath Heim, von dem das Gymnostomum Heimii den
Namen führt, und der mit dem jungen Muzel lange in Sir Joseph
Banks
's Freundschaft gelebt, war unser Hausarzt. Er hatte eine große
Sammlung von Moosen und gab sich eines tages die Mühe, mei-
nem älteren Bruder die linneischen Klassen zu erläutern. Die-
ser, des Griechischen schon damals kundig, lernte die Namen
auswendig, ich klebte Lichen parietinus und Hypna auf Papier und
in wenigen Tagen war uns beiden alle Lust zur Botanik wieder verschwunden.
Heim verschafte unserem Nachbar[n] dem Herrn von Burgsdorf bota-
nischen Ruhm, dieser legte dendrologische Samlungen an. Ich sah
dort Gleditsch und weitre Glieder der Naturforschenden Gesellschaft -
krüppelhafte Figuren, d[unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]eren Bekanntschaft mir ebenfalls mehr
Abscheu als Liebe zur Naturkunde einflößte. Meine jugendliche
Neigung war von je her der Soldatenstand gewesen. Meine Eltern
hielten mich durch Zwang davon zurük und man bildete mir ein,
daß ich Lust zu dem habe, was man in Deutschland Kameral-
wissenschaften nennt, eine Weltregierungskunst, die man erst dann
versteht, wenn man alles alles weiß. Dies alles sollte ich
bei einem Amtmann lernen und ein Pachtanschlag wäre dann das
maximum meiner Kameral-Kenntniß gewesen. Ein halbverrükter Ge-
lehrter der Prof[.] Wünsch in Frankfurth an der Oder las mir
ein Privatissimum über Bekmanns Oekonomie. Er fing an mit bota-
nischen Vorkenntnissen. Seine eigene Unwissenheit und sein Vortrag
waren abermals weit entfernt mir Lust zur Botanik einzuflößen,
doch sah ich ein, daß ich ohne Pflanzenkenntniß ein so vortrefliches
Buch als Bekmanns Oekonomie nicht verstehen könne. Wir besaßen
durch Zufall Willdenows Flora Berolinensis. Es war harter Winter[.]
Ich fing an Pflanzen zu bestimmen, aber die Jahreszeit und Man-
gel an Hülfsmitteln machten alle Fortschritte unmöglich. Wir ver-
ließen Frankfurth an der Oder und ich brachte abermals ein Jahr
in Berlin zu, wo mich Zöllner in der Technologie unterrichtete[.]
Ich fühlte aufs neue die Nothwendigkeit botanischer Kenntnisse,
quälte mich mit neuem Eifer, Pflanzen nach Willdenow's

* Ich habe in der Insel Cuba angefangen,
mein Leben zu beschreiben. Ungewiß ob ich das Unter-
nehmen je ausführen kann, habe ich hier die nächste Veran-
lassung meiner Reise schildern wollen - in der Hofnung diese Zei-
len einst, in spätem Alter, mit Freude zu
lesen.

S. Fe den 4 August 1791801
nie drukken zu
lassen AlHumboldt
Nov. 1839

Der Wunsch entfernte Welttheile zu besuchen und die Produk-
te der Tropenwelt in ihrer Heimath zu untersuchensehen ward erst in
mir rege, als ich anfing, mich mit Botanik zu beschäftigen. Bis
in mein 17tes und 18tes Jahr waren alle meine Wünsche auf
meine Heimath beschränkt. So sorgfältig auch unsere litterarische Erziehung
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dort Gleditsch und weitre Glieder der Naturforschenden Gesellschaft
krüppelhafte Figuren, d[unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]eren Bekanntschaft mir ebenfalls mehr
Abscheu als Liebe zur Naturkunde einflößte. Meine jugendliche
Neigung war von je her der Soldatenstand gewesen. Meine Eltern
hielten mich durch Zwang davon zurük und man bildete mir ein,
daß ich Lust zu dem habe, was man in Deutschland Kameral-
wissenschaften nennt, eine Weltregierungskunst, die man erst dann
versteht, wenn man alles alles weiß. Dies alles sollte ich
bei einem Amtmann lernen und ein Pachtanschlag wäre dann das
maximum meiner Kameral-Kenntniß gewesen. Ein halbverrükter Ge-
lehrter der Prof[.] Wünsch in Frankfurth an der Oder las mir
ein Privatissimum über Bekmanns Oekonomie. Er fing an mit bota-
nischen Vorkenntnissen. Seine eigene Unwissenheit und sein Vortrag
waren abermals weit entfernt mir Lust zur Botanik einzuflößen,
doch sah ich ein, daß ich ohne Pflanzenkenntniß ein so vortrefliches
Buch als Bekmanns Oekonomie nicht verstehen könne. Wir besaßen
durch Zufall Willdenows Flora Berolinensis. Es war harter Winter[.]
Ich fing an Pflanzen zu bestimmen, aber die Jahreszeit und Man-
gel an Hülfsmitteln machten alle Fortschritte unmöglich. Wir ver-
ließen Frankfurth an der Oder und ich brachte abermals ein Jahr
in Berlin zu, wo mich Zöllner in der Technologie unterrichtete[.]
Ich fühlte aufs neue die Nothwendigkeit botanischer Kenntnisse,
quälte mich mit neuem Eifer, Pflanzen nach Willdenow’s

* Ich habe in der Insel Cuba angefangen,
mein Leben zu beschreiben. Ungewiß ob ich das Unter-
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  • Kurt-R. Biermann (Hrsg.): Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse. Leipzig u.a., 1989, S. 31–41.
  • Ottmar Ette (Hrsg.): Alexander von Humboldt: Das Buch der Begegnungen. Menschen – Kulturen – Geschichten aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. München, 2018, S. 3–9.



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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: [Ich über mich selbst. Mein Weg zum Naturwissenschaftler und Forschungsreisenden 1769–1790.] In: Ders.: Tagebücher der Amerikanischen Reise, VII a u. b, Bl. 134v–136v. S[anta] Fe [de Bogotá], 1801 [mit späteren Ergänzungen], S. 134v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ich_1804/1>, abgerufen am 13.11.2024.