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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Der Cassiquiare -- Gabelteilung des Orinoko.

Am 10. Mai. In der Nacht war unsere Piroge ge-
laden worden, und wir schifften uns etwas vor Sonnenauf-
gang ein, um wieder den Rio Negro bis zur Mündung des
Cassiquiare hinaufzufahren und den wahren Lauf dieses Flusses,
der Orinoko und Amazonenstrom verbindet, zu untersuchen. Der
Morgen war schön; aber mit der steigenden Wärme fing auch der
Himmel an sich zu bewölken. Die Luft ist in diesen Wäldern
so mit Wasser gesättigt, daß, sobald die Verdunstung an der
Oberfläche des Bodens auch noch so wenig zunimmt, die
Dunstbläschen sichtbar werden. Da der Ostwind fast niemals
zu spüren ist, so werden die feuchten Schichten nicht durch
trockenere Luft ersetzt. Dieser bedeckte Himmel machte uns
mit jedem Tage verdrießlicher. Bonpland verdarben bei der
übermäßigen Feuchtigkeit seine gesammelten Pflanzen und ich
besorgte auch im Thal des Cassiquiare das trübe Wetter des
Rio Negro anzutreffen. Seit einem halben Jahrhundert zwei-
felte kein Mensch in diesen Missionen mehr daran, daß hier
wirklich zwei große Stromsysteme miteinander in Verbindung
stehen; der Hauptzweck unserer Flußfahrt beschränkte sich also
darauf, mittels astronomischer Beobachtungen den Lauf des
Cassiquiare aufzunehmen, besonders den Punkt, wo er in den
Rio Negro tritt, und den anderen, wo der Orinoko sich gabelt.
Waren weder Sonne noch Sterne sichtbar, so war dieser Zweck
nicht zu erreichen und wir hatten uns vergeblich langen,
schweren Mühseligkeiten unterzogen. Unsere Reisegefährten
wären gern auf dem kürzesten Wege über den Pimichin und
die kleinen Flüsse heimgekehrt; aber Bonpland beharrte mit
mir auf dem Reiseplane, den wir auf der Fahrt durch die
großen Katarakte entworfen. Bereits hatten wir von San
Fernando de Apure nach San Carlos (über den Apure,

Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Der Caſſiquiare — Gabelteilung des Orinoko.

Am 10. Mai. In der Nacht war unſere Piroge ge-
laden worden, und wir ſchifften uns etwas vor Sonnenauf-
gang ein, um wieder den Rio Negro bis zur Mündung des
Caſſiquiare hinaufzufahren und den wahren Lauf dieſes Fluſſes,
der Orinoko und Amazonenſtrom verbindet, zu unterſuchen. Der
Morgen war ſchön; aber mit der ſteigenden Wärme fing auch der
Himmel an ſich zu bewölken. Die Luft iſt in dieſen Wäldern
ſo mit Waſſer geſättigt, daß, ſobald die Verdunſtung an der
Oberfläche des Bodens auch noch ſo wenig zunimmt, die
Dunſtbläschen ſichtbar werden. Da der Oſtwind faſt niemals
zu ſpüren iſt, ſo werden die feuchten Schichten nicht durch
trockenere Luft erſetzt. Dieſer bedeckte Himmel machte uns
mit jedem Tage verdrießlicher. Bonpland verdarben bei der
übermäßigen Feuchtigkeit ſeine geſammelten Pflanzen und ich
beſorgte auch im Thal des Caſſiquiare das trübe Wetter des
Rio Negro anzutreffen. Seit einem halben Jahrhundert zwei-
felte kein Menſch in dieſen Miſſionen mehr daran, daß hier
wirklich zwei große Stromſyſteme miteinander in Verbindung
ſtehen; der Hauptzweck unſerer Flußfahrt beſchränkte ſich alſo
darauf, mittels aſtronomiſcher Beobachtungen den Lauf des
Caſſiquiare aufzunehmen, beſonders den Punkt, wo er in den
Rio Negro tritt, und den anderen, wo der Orinoko ſich gabelt.
Waren weder Sonne noch Sterne ſichtbar, ſo war dieſer Zweck
nicht zu erreichen und wir hatten uns vergeblich langen,
ſchweren Mühſeligkeiten unterzogen. Unſere Reiſegefährten
wären gern auf dem kürzeſten Wege über den Pimichin und
die kleinen Flüſſe heimgekehrt; aber Bonpland beharrte mit
mir auf dem Reiſeplane, den wir auf der Fahrt durch die
großen Katarakte entworfen. Bereits hatten wir von San
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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/11>, abgerufen am 21.11.2024.