Der Rio Negro ist dem Amazonenstrome, dem Rio de la Plata und dem Orinoko gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Besitz desselben war aber seit Jahrhunderten für die spanische Regierung von großer politischer Wichtigkeit, weil er für einen eifersüchtigen Nachbar, für Portugal, eine offene Straße ist, um sich in die Missionen in Guyana ein- zudrängen und die südlichen Grenzen der Capitania general von Caracas zu beunruhigen. 300 Jahre verflossen über zu nichts führenden Grenzstreitigkeiten. Je nach dem Geist der Zeiten und dem Kulturgrade der Völker hielt man sich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hilfsmittel der Astronomie. Da man es meist vorteilhafter fand, den Streit zu verschleppen, als ihm ein Ende zu machen, so haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Kontinents bei diesem endlosen Prozeß gewonnen. Es ist bekannt, daß durch die Bullen der Päpste Nikolaus V. und Alexander VI., durch den Vertrag von Tordesillas und die Notwendigkeit, eine feste Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu lösen, die Ephemeriden zu verbessern und die In- strumente zu vervollkommnen, bedeutend gestachelt worden ist. Als die Händel in Paraguay und der Besitz der Kolonie am Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Lissabon Sachen von großem Belang wurden, schickte man Grenz- kommissäre an den Orinoko, an den Amazonenstrom und an den Rio de la Plata.
Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Ver- rechnungen und Protokollen füllten, fand sich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineoffizier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küsten Ortsbestim- mungen vornehmen kann, Bescheid mußte. Das Wenige, was
Dreiundzwanzigſtes Kapitel.
Der Rio Negro. — Die braſilianiſche Grenze.
Der Rio Negro iſt dem Amazonenſtrome, dem Rio de la Plata und dem Orinoko gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Beſitz desſelben war aber ſeit Jahrhunderten für die ſpaniſche Regierung von großer politiſcher Wichtigkeit, weil er für einen eiferſüchtigen Nachbar, für Portugal, eine offene Straße iſt, um ſich in die Miſſionen in Guyana ein- zudrängen und die ſüdlichen Grenzen der Capitania general von Caracas zu beunruhigen. 300 Jahre verfloſſen über zu nichts führenden Grenzſtreitigkeiten. Je nach dem Geiſt der Zeiten und dem Kulturgrade der Völker hielt man ſich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hilfsmittel der Aſtronomie. Da man es meiſt vorteilhafter fand, den Streit zu verſchleppen, als ihm ein Ende zu machen, ſo haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Kontinents bei dieſem endloſen Prozeß gewonnen. Es iſt bekannt, daß durch die Bullen der Päpſte Nikolaus V. und Alexander VI., durch den Vertrag von Tordeſillas und die Notwendigkeit, eine feſte Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu löſen, die Ephemeriden zu verbeſſern und die In- ſtrumente zu vervollkommnen, bedeutend geſtachelt worden iſt. Als die Händel in Paraguay und der Beſitz der Kolonie am Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Liſſabon Sachen von großem Belang wurden, ſchickte man Grenz- kommiſſäre an den Orinoko, an den Amazonenſtrom und an den Rio de la Plata.
Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Ver- rechnungen und Protokollen füllten, fand ſich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineoffizier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küſten Ortsbeſtim- mungen vornehmen kann, Beſcheid mußte. Das Wenige, was
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0254"n="[246]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Dreiundzwanzigſtes Kapitel.</hi></head><lb/><argument><p><hirendition="#c">Der Rio Negro. — Die braſilianiſche Grenze.</hi></p></argument><lb/><p>Der Rio Negro iſt dem Amazonenſtrome, dem Rio de la<lb/>
Plata und dem Orinoko gegenüber nur ein Fluß zweiten<lb/>
Ranges. Der Beſitz desſelben war aber ſeit Jahrhunderten<lb/>
für die ſpaniſche Regierung von großer politiſcher Wichtigkeit,<lb/>
weil er für einen eiferſüchtigen Nachbar, für Portugal, eine<lb/>
offene Straße iſt, um ſich in die Miſſionen in Guyana ein-<lb/>
zudrängen und die ſüdlichen Grenzen der <hirendition="#aq">Capitania general</hi><lb/>
von Caracas zu beunruhigen. 300 Jahre verfloſſen über zu<lb/>
nichts führenden Grenzſtreitigkeiten. Je nach dem Geiſt der<lb/>
Zeiten und dem Kulturgrade der Völker hielt man ſich bald<lb/>
an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hilfsmittel<lb/>
der Aſtronomie. Da man es meiſt vorteilhafter fand, den<lb/>
Streit zu verſchleppen, als ihm ein Ende zu machen, ſo haben<lb/>
nur die Nautik und die Geographie des neuen Kontinents<lb/>
bei dieſem endloſen Prozeß gewonnen. Es iſt bekannt, daß<lb/>
durch die Bullen der Päpſte Nikolaus <hirendition="#aq">V.</hi> und Alexander <hirendition="#aq">VI.</hi>,<lb/>
durch den Vertrag von Tordeſillas und die Notwendigkeit,<lb/>
eine feſte Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der<lb/>
Längen zu löſen, die Ephemeriden zu verbeſſern und die In-<lb/>ſtrumente zu vervollkommnen, bedeutend geſtachelt worden iſt.<lb/>
Als die Händel in Paraguay und der Beſitz der Kolonie am<lb/>
Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Liſſabon<lb/>
Sachen von großem Belang wurden, ſchickte man Grenz-<lb/>
kommiſſäre an den Orinoko, an den Amazonenſtrom und an<lb/>
den Rio de la Plata.</p><lb/><p>Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Ver-<lb/>
rechnungen und Protokollen füllten, fand ſich hie und da auch<lb/>
ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineoffizier, der mit den<lb/>
Methoden, nach denen man weit von den Küſten Ortsbeſtim-<lb/>
mungen vornehmen kann, Beſcheid mußte. Das Wenige, was<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[246]/0254]
Dreiundzwanzigſtes Kapitel.
Der Rio Negro. — Die braſilianiſche Grenze.
Der Rio Negro iſt dem Amazonenſtrome, dem Rio de la
Plata und dem Orinoko gegenüber nur ein Fluß zweiten
Ranges. Der Beſitz desſelben war aber ſeit Jahrhunderten
für die ſpaniſche Regierung von großer politiſcher Wichtigkeit,
weil er für einen eiferſüchtigen Nachbar, für Portugal, eine
offene Straße iſt, um ſich in die Miſſionen in Guyana ein-
zudrängen und die ſüdlichen Grenzen der Capitania general
von Caracas zu beunruhigen. 300 Jahre verfloſſen über zu
nichts führenden Grenzſtreitigkeiten. Je nach dem Geiſt der
Zeiten und dem Kulturgrade der Völker hielt man ſich bald
an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hilfsmittel
der Aſtronomie. Da man es meiſt vorteilhafter fand, den
Streit zu verſchleppen, als ihm ein Ende zu machen, ſo haben
nur die Nautik und die Geographie des neuen Kontinents
bei dieſem endloſen Prozeß gewonnen. Es iſt bekannt, daß
durch die Bullen der Päpſte Nikolaus V. und Alexander VI.,
durch den Vertrag von Tordeſillas und die Notwendigkeit,
eine feſte Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der
Längen zu löſen, die Ephemeriden zu verbeſſern und die In-
ſtrumente zu vervollkommnen, bedeutend geſtachelt worden iſt.
Als die Händel in Paraguay und der Beſitz der Kolonie am
Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Liſſabon
Sachen von großem Belang wurden, ſchickte man Grenz-
kommiſſäre an den Orinoko, an den Amazonenſtrom und an
den Rio de la Plata.
Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Ver-
rechnungen und Protokollen füllten, fand ſich hie und da auch
ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineoffizier, der mit den
Methoden, nach denen man weit von den Küſten Ortsbeſtim-
mungen vornehmen kann, Beſcheid mußte. Das Wenige, was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. [246]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/254>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.