Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hohberg, Wolf Helmhard von: Georgica Curiosa. Bd. 1. Nürnberg, 1682.

Bild:
<< vorherige Seite

Anderes Buch/ Haus-Vatter.
[Spaltenumbruch] nach soll Speise und Tranck unserer Natur und Ge-
wonheit einstimmend und nicht widerwärtig seyn/ mit
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/
da die natürliche Wärme bey dem Magen concentrirt
ist/ soll man mehr/ und im Sommer weniger essen;
das Gegenspiel ist mit dem Getränck; im währenden Ver-
dauen aber/ soll man alles Geträncke wenigst 4. oder
5. Stund nach der Mahlzeit gäntzlich meiden. Der
Tranck ist der Natur anmüthiger/ der Gesundheit
gedeylicher/ und für den Durst bequemer kalt als lau-
licht/ weil per antiperistasin die natürliche Wärme
dardurch aufgeblasen und vermehret wird; der Tranck
gibt eben so wo eine Nahrung/ aufs wenigst ist er ein
angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie
Athenaeus schreibet/ haben sich etliche allein vom Trin-
cken ernähret/ weil solches auch eher verdauet wird;
das Tranck erfrischet auch den durch Ubung und Arbeit
erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol setzet

-- -- -- Glomerataque multa vaporis
Corpora, quae stomacho praebent incendia nostro
Dissipat adveniens Liquor, ac restringit, ut ignem,
Urere ne possit calor amplius aridus artus.

Jn täglicher Speise/ soll man des Süssen so viel mög-
lich sich enthalten/ weil es den Magen schwächet/ die
Galle vermehret/ die Zähne verderbet/ den Appetit
vertreibet und mancherley Constipationen gebieret.
Gesaltzene/ grobe/ geselchte Speisen gehören nur für
starcke arbeitsame Leute; doch schadet wenig davon ge-
nossen auch wenig/ und wird jeder wissen seine Natur
[Spaltenumbruch] selbst zu erkennen/ und was ihm schädlich ist zu fliehen;
fette und gewürtzte Speisen schaden denen/ so zur
Gallen geneigt sind. Was fett ist/ macht Unwillen.
Vor dem/ was einem von Natur widerstehet/ soll man
sich desto billiger hüten. Die Mahlzeiten soll man nach
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Frühstucken
und Jausen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-
ten Speisen soll man vor wol käuen/ ehe man sie hinein
schluckt/ so verdauen sie desto leichter. Von der
Quantitet, wie viel man Speise zu sich nehmen soll/
sind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig;
etliche meinen/ wann ein Mensch nahe an viertzig Jahr
gereiche/ soll er an 12. oder 16. Untzen Speisen/ und so viel/
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit
zu sagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Stär-
cke oder Schwachheit der Menschen unterschieden/
lässet sich auch hier nichts determiniren; das beste und
gewisseste ist/ allzeit mit Lust aufhören/ nie so viel essen/
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entstehet/
und diß ist der Prüf-Stein/ daran ein vernünfftiges
Mensch seine Mahlzeiten reguliren und anstellen kan/
also sind sie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/
oder zu Abends mehr essen solle. Da dann die meisten
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die
natürliche Austheilung der Feuchtigkeit/ so am füglich-
sten noctu per quietem geschiehet/ nicht turbiret wer-
den möge.

Cap. LXXI.
Von der Gewonheit.
[Spaltenumbruch]

ALLe diese oberzehlte Meinungen können nicht bes-
ser als nach der Natur und Gewonheit eines
jeglichen Menschen verglichen werden. Die
Gewonheit ist ein solcher Tyrann/ daß sie viel unbilliche
Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten
Gebrauch rechtfertiget/ viel ungesunde Dinge dem Men-
schen bequem und zu guter Nahrung verändert/ und
gleichsam eine andere Natur ist; wir gedencken nach
natürlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrsätzen/
und leben nach der Gewonheit/ consuetudo si non est
altera natura, tamen est Simia naturae,
wie Herr de
Verulam. de augm. scient. fol.
567. wol schreibet/ und
S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quae ex longo
tempore consueta sunt, etsi deteriora sunt, insuetis
tamen minus molestare solent.
Sie schläffert unsere
Sinnen ein/ daß wir viel Böses für gut/ viel Unbeque-
mes für gelegensam/ viel ungesundes für vorträglich hal-
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit schei-
net/ das thun/ was man gewohnt ist/ und aus Gewon-
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs
schon noch besser/ doch weil wir mehr fremdem als unserm
eignen Willen hier folgen müssen/ ist es uns nicht so ange-
nehm; daher wer in seiner Diaet eine Gewonheit an
sich genommen/ und sich wol dabey befindet/ es sey im
[Spaltenumbruch] Essen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der soll nicht
so leicht (aufs wenigst nicht gähling) sich davon abzie-
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns
die Natur des Himmels selbst zu erkennen gibt/ der in
Abwechslung der Hitz und Kälte nicht gähe Umsprünge
nimmet/ sondern nach des Sommers grosser Hitz/ den
mittelmässigen Herbst; und nach des Winters strenger
Kälte den temperirten Früling untersetzet/ damit die
Natur desto leichter per gradus von einem auf das an-
dere möge geleitet/ und also erhalten und versichert wer-
den. Man sehe die wilden Thier an/ wann sie gefan-
gen werden/ sterben sie offt ehe Hungers/ als sie eine
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;
wer der Nidersächsischen/ und Westphalischen starcken
Speisen gewohnet ist/ dem werden unsere ob schon bessere
und wol bereitete Gerichten nicht schmecken oder wol be-
kommen/ & vice versa: also wer von seiner alten Lebens-
Art abstehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/
wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge-
wisse Intervalla, gelanget; sonst wer bey seiner Lebens-
Diaet wol lebet/ thut am besten/ er bleibe dabey/ doch
daß er mehr der gesunden Vernunfft/ als der blossen
Gewonheit folge.

Cap.
X iij

Anderes Buch/ Haus-Vatter.
[Spaltenumbruch] nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge-
wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/
da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen concentrirt
iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen;
das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver-
dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder
5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der
Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit
gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau-
licht/ weil per antiperiſtaſin die natuͤrliche Waͤrme
dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck
gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein
angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie
Athenæus ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin-
cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird;
das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit
erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol ſetzet

— — — Glomerataquè multa vaporis
Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro
Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem,
Urere ne poſſit calor amplius aridus artus.

Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg-
lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die
Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den Appetit
vertreibet und mancherley Conſtipationen gebieret.
Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr
ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge-
noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur
[Spaltenumbruch] ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen;
fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur
Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen.
Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man
ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken
und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-
ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein
ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der
Quantitet, wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/
ſind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig;
etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr
gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñ ſo viel/
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit
zu ſagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Staͤr-
cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/
laͤſſet ſich auch hier nichts determiniren; das beſte und
gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/
und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges
Menſch ſeine Mahlzeiten reguliren und anſtellen kan/
alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/
oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die
natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich-
ſten noctu per quietem geſchiehet/ nicht turbiret wer-
den moͤge.

Cap. LXXI.
Von der Gewonheit.
[Spaltenumbruch]

ALLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ-
ſer als nach der Natur und Gewonheit eines
jeglichen Menſchen verglichen werden. Die
Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche
Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten
Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men-
ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und
gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach
natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/
und leben nach der Gewonheit/ conſuetudo ſi non eſt
altera natura, tamen eſt Simia naturæ,
wie Herr de
Verulam. de augm. ſcient. fol.
567. wol ſchreibet/ und
S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quæ ex longo
tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis
tamen minus moleſtare ſolent.
Sie ſchlaͤffert unſere
Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque-
mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal-
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei-
net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon-
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs
ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm
eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange-
nehm; daher wer in ſeiner Diæt eine Gewonheit an
ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im
[Spaltenumbruch] Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht
ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie-
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns
die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in
Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge
nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den
mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger
Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die
Natur deſto leichter per gradus von einem auf das an-
dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer-
den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan-
gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;
wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken
Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere
und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be-
kommen/ & vice verſâ: alſo wer von ſeiner alten Lebens-
Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/
wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge-
wiſſe Intervalla, gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens-
Diæt wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch
daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen
Gewonheit folge.

Cap.
X iij
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0183" n="165"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anderes Buch/ Haus-Vatter.</hi></fw><lb/><cb/>
nach &#x017F;oll Spei&#x017F;e und Tranck un&#x017F;erer Natur und Ge-<lb/>
wonheit ein&#x017F;timmend und nicht widerwa&#x0364;rtig &#x017F;eyn/ mit<lb/>
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/<lb/>
da die natu&#x0364;rliche Wa&#x0364;rme bey dem Magen <hi rendition="#aq">concentrirt</hi><lb/>
i&#x017F;t/ &#x017F;oll man mehr/ und im Sommer weniger e&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
das Gegen&#x017F;piel i&#x017F;t mit dem Getra&#x0364;nck; im wa&#x0364;hrende&#x0303; Ver-<lb/>
dauen aber/ &#x017F;oll man alles Getra&#x0364;ncke wenig&#x017F;t 4. oder<lb/>
5. Stund nach der Mahlzeit ga&#x0364;ntzlich meiden. Der<lb/>
Tranck i&#x017F;t der Natur anmu&#x0364;thiger/ der Ge&#x017F;undheit<lb/>
gedeylicher/ und fu&#x0364;r den Dur&#x017F;t bequemer kalt als lau-<lb/>
licht/ weil <hi rendition="#aq">per antiperi&#x017F;ta&#x017F;in</hi> die natu&#x0364;rliche Wa&#x0364;rme<lb/>
dardurch aufgebla&#x017F;en und vermehret wird; der Tranck<lb/>
gibt eben &#x017F;o wo eine Nahrung/ aufs wenig&#x017F;t i&#x017F;t er ein<lb/>
angenehmes <hi rendition="#aq">Vehiculum Alimentorum,</hi> und/ wie<lb/><hi rendition="#aq">Athenæus</hi> &#x017F;chreibet/ haben &#x017F;ich etliche allein vom Trin-<lb/>
cken erna&#x0364;hret/ weil &#x017F;olches auch eher verdauet wird;<lb/>
das Tranck erfri&#x017F;chet auch den durch Ubung und Arbeit<lb/>
erhitzten Leibe/ wie <hi rendition="#aq">Lucretius lib.</hi> 4. wol &#x017F;etzet</p><lb/>
            <cit>
              <quote>&#x2014; &#x2014; &#x2014; <hi rendition="#aq">Glomerataquè multa vaporis<lb/>
Corpora, quæ &#x017F;tomacho præbent incendia no&#x017F;tro<lb/>
Di&#x017F;&#x017F;ipat adveniens Liquor, ac re&#x017F;tringit, ut ignem,<lb/>
Urere ne po&#x017F;&#x017F;it calor amplius aridus artus.</hi></quote>
            </cit><lb/>
            <p>Jn ta&#x0364;glicher Spei&#x017F;e/ &#x017F;oll man des Su&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o viel mo&#x0364;g-<lb/>
lich &#x017F;ich enthalten/ weil es den Magen &#x017F;chwa&#x0364;chet/ die<lb/>
Galle vermehret/ die Za&#x0364;hne verderbet/ den <hi rendition="#aq">Appetit</hi><lb/>
vertreibet und mancherley <hi rendition="#aq">Con&#x017F;tipatio</hi>nen gebieret.<lb/>
Ge&#x017F;altzene/ grobe/ ge&#x017F;elchte Spei&#x017F;en geho&#x0364;ren nur fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;tarcke arbeit&#x017F;ame Leute; doch &#x017F;chadet wenig davon ge-<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en auch wenig/ und wird jeder wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Natur<lb/><cb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu erkennen/ und was ihm &#x017F;cha&#x0364;dlich i&#x017F;t zu fliehen;<lb/>
fette und gewu&#x0364;rtzte Spei&#x017F;en &#x017F;chaden denen/ &#x017F;o zur<lb/>
Gallen geneigt &#x017F;ind. Was fett i&#x017F;t/ macht Unwillen.<lb/>
Vor dem/ was einem von Natur wider&#x017F;tehet/ &#x017F;oll man<lb/>
&#x017F;ich de&#x017F;to billiger hu&#x0364;ten. Die Mahlzeiten &#x017F;oll man nach<lb/>
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fru&#x0364;h&#x017F;tucken<lb/>
und Jau&#x017F;en bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-<lb/>
ten Spei&#x017F;en &#x017F;oll man vor wol ka&#x0364;uen/ ehe man &#x017F;ie hinein<lb/>
&#x017F;chluckt/ &#x017F;o verdauen &#x017F;ie de&#x017F;to leichter. Von der<lb/><hi rendition="#aq">Quantitet,</hi> wie viel man Spei&#x017F;e zu &#x017F;ich nehmen &#x017F;oll/<lb/>
&#x017F;ind die <hi rendition="#aq">Medici</hi> (wie in vielen Sachen) nicht einig;<lb/>
etliche meinen/ wann ein Men&#x017F;ch nahe an viertzig Jahr<lb/>
gereiche/ &#x017F;oll er an 12. oder 16. Untzen Spei&#x017F;en/ un&#x0303; &#x017F;o viel/<lb/>
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere<lb/>
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit<lb/>
zu &#x017F;agen/ weil die Naturen und <hi rendition="#aq">Complexio</hi>nen/ Sta&#x0364;r-<lb/>
cke oder Schwachheit der Men&#x017F;chen unter&#x017F;chieden/<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich auch hier nichts <hi rendition="#aq">determini</hi>ren; das be&#x017F;te und<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te i&#x017F;t/ allzeit mit Lu&#x017F;t aufho&#x0364;ren/ nie &#x017F;o viel e&#x017F;&#x017F;en/<lb/>
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels ent&#x017F;tehet/<lb/>
und diß i&#x017F;t der Pru&#x0364;f-Stein/ daran ein vernu&#x0364;nfftiges<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;eine Mahlzeiten <hi rendition="#aq">reguli</hi>ren und an&#x017F;tellen kan/<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/<lb/>
oder zu Abends mehr e&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olle. Da dann die mei&#x017F;ten<lb/>
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die<lb/>
natu&#x0364;rliche Austheilung der Feuchtigkeit/ &#x017F;o am fu&#x0364;glich-<lb/>
&#x017F;ten <hi rendition="#aq">noctu per quietem</hi> ge&#x017F;chiehet/ nicht <hi rendition="#aq">turbi</hi>ret wer-<lb/>
den mo&#x0364;ge.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Cap.</hi> LXXI.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#fr">Von der Gewonheit.</hi> </head><lb/>
            <cb/>
            <p><hi rendition="#in">A</hi>LLe die&#x017F;e oberzehlte Meinungen ko&#x0364;nnen nicht be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er als nach der Natur und Gewonheit eines<lb/>
jeglichen Men&#x017F;chen verglichen werden. Die<lb/>
Gewonheit i&#x017F;t ein &#x017F;olcher Tyrann/ daß &#x017F;ie viel unbilliche<lb/>
Sachen in denen <hi rendition="#aq">Republi</hi>ken durch alt-hergebrachten<lb/>
Gebrauch rechtfertiget/ viel unge&#x017F;unde Dinge dem Men-<lb/>
&#x017F;chen bequem und zu guter Nahrung vera&#x0364;ndert/ und<lb/>
gleich&#x017F;am eine andere Natur i&#x017F;t; wir gedencken nach<lb/>
natu&#x0364;rlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehr&#x017F;a&#x0364;tzen/<lb/>
und leben nach der Gewonheit/ <hi rendition="#aq">con&#x017F;uetudo &#x017F;i non e&#x017F;t<lb/>
altera natura, tamen e&#x017F;t Simia naturæ,</hi> wie Herr <hi rendition="#aq">de<lb/>
Verulam. de augm. &#x017F;cient. fol.</hi> 567. wol &#x017F;chreibet/ und<lb/><hi rendition="#aq">S. 2. aphor. 50. Hippocrates</hi> meldet/ <hi rendition="#aq">quæ ex longo<lb/>
tempore con&#x017F;ueta &#x017F;unt, et&#x017F;i deteriora &#x017F;unt, in&#x017F;uetis<lb/>
tamen minus mole&#x017F;tare &#x017F;olent.</hi> Sie &#x017F;chla&#x0364;ffert un&#x017F;ere<lb/>
Sinnen ein/ daß wir viel Bo&#x0364;&#x017F;es fu&#x0364;r gut/ viel Unbeque-<lb/>
mes fu&#x0364;r gelegen&#x017F;am/ viel unge&#x017F;undes fu&#x0364;r vortra&#x0364;glich hal-<lb/>
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit &#x017F;chei-<lb/>
net/ das thun/ was man gewohnt i&#x017F;t/ und aus Gewon-<lb/>
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs<lb/>
&#x017F;chon noch be&#x017F;&#x017F;er/ doch weil wir mehr fremdem als un&#x017F;erm<lb/>
eignen Willen hier folgen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ i&#x017F;t es uns nicht &#x017F;o ange-<lb/>
nehm; daher wer in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Diæt</hi> eine Gewonheit an<lb/>
&#x017F;ich genommen/ und &#x017F;ich wol dabey befindet/ es &#x017F;ey im<lb/><cb/>
E&#x017F;&#x017F;en/ Trincken/ oder andern Dingen/ der &#x017F;oll nicht<lb/>
&#x017F;o leicht (aufs wenig&#x017F;t nicht ga&#x0364;hling) &#x017F;ich davon abzie-<lb/>
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns<lb/>
die Natur des Himmels &#x017F;elb&#x017F;t zu erkennen gibt/ der in<lb/>
Abwechslung der Hitz und Ka&#x0364;lte nicht ga&#x0364;he Um&#x017F;pru&#x0364;nge<lb/>
nimmet/ &#x017F;ondern nach des Sommers gro&#x017F;&#x017F;er Hitz/ den<lb/>
mittelma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Herb&#x017F;t; und nach des Winters &#x017F;trenger<lb/>
Ka&#x0364;lte den temperirten Fru&#x0364;ling unter&#x017F;etzet/ damit die<lb/>
Natur de&#x017F;to leichter <hi rendition="#aq">per gradus</hi> von einem auf das an-<lb/>
dere mo&#x0364;ge geleitet/ und al&#x017F;o erhalten und ver&#x017F;ichert wer-<lb/>
den. Man &#x017F;ehe die wilden Thier an/ wann &#x017F;ie gefan-<lb/>
gen werden/ &#x017F;terben &#x017F;ie offt ehe Hungers/ als &#x017F;ie eine<lb/>
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;<lb/>
wer der Nider&#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;chen/ und We&#x017F;tphali&#x017F;chen &#x017F;tarcken<lb/>
Spei&#x017F;en gewohnet i&#x017F;t/ dem werden un&#x017F;ere ob &#x017F;chon be&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
und wol bereitete Gerichten nicht &#x017F;chmecken oder wol be-<lb/>
kommen/ <hi rendition="#aq">&amp; vice ver&#x017F;â:</hi> al&#x017F;o wer von &#x017F;einer alten Lebens-<lb/>
Art ab&#x017F;tehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/<lb/>
wann er von einem <hi rendition="#aq">Extremo</hi> auf das andere/ durch ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">Intervalla,</hi> gelanget; &#x017F;on&#x017F;t wer bey &#x017F;einer Lebens-<lb/><hi rendition="#aq">Diæt</hi> wol lebet/ thut am be&#x017F;ten/ er bleibe dabey/ doch<lb/>
daß er mehr der ge&#x017F;unden Vernunfft/ als der blo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Gewonheit folge.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> <hi rendition="#fr">X iij</hi> </fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#k">Cap.</hi> </hi> </hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0183] Anderes Buch/ Haus-Vatter. nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge- wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/ da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen concentrirt iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen; das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver- dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder 5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau- licht/ weil per antiperiſtaſin die natuͤrliche Waͤrme dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie Athenæus ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin- cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird; das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol ſetzet — — — Glomerataquè multa vaporis Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem, Urere ne poſſit calor amplius aridus artus. Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg- lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den Appetit vertreibet und mancherley Conſtipationen gebieret. Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge- noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen; fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen. Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har- ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der Quantitet, wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/ ſind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig; etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñ ſo viel/ oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit zu ſagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Staͤr- cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/ laͤſſet ſich auch hier nichts determiniren; das beſte und gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/ biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/ und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges Menſch ſeine Mahlzeiten reguliren und anſtellen kan/ alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/ oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich- ſten noctu per quietem geſchiehet/ nicht turbiret wer- den moͤge. Cap. LXXI. Von der Gewonheit. ALLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ- ſer als nach der Natur und Gewonheit eines jeglichen Menſchen verglichen werden. Die Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men- ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/ und leben nach der Gewonheit/ conſuetudo ſi non eſt altera natura, tamen eſt Simia naturæ, wie Herr de Verulam. de augm. ſcient. fol. 567. wol ſchreibet/ und S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quæ ex longo tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis tamen minus moleſtare ſolent. Sie ſchlaͤffert unſere Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque- mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal- ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei- net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon- heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange- nehm; daher wer in ſeiner Diæt eine Gewonheit an ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie- hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die Natur deſto leichter per gradus von einem auf das an- dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer- den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan- gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen; wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be- kommen/ & vice verſâ: alſo wer von ſeiner alten Lebens- Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/ wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge- wiſſe Intervalla, gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens- Diæt wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen Gewonheit folge. Cap. X iij

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hohberg_georgica01_1682
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hohberg_georgica01_1682/183
Zitationshilfe: Hohberg, Wolf Helmhard von: Georgica Curiosa. Bd. 1. Nürnberg, 1682, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hohberg_georgica01_1682/183>, abgerufen am 20.11.2024.