Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Unpolitische Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1840.Kunstzopf. Mel. In einem Thal bei armen Hirten Aus deinem eignen Haar gewunden Ward dir ein ungeheurer Zopf. Schon hundert Jahre sind verschwunden, Dir aber blieb der Zopf am Kopf. Viel große Meister sahn ihn hangen, Und jeder nahm dir ab ein Stück, Sie alle sind dann heimgegangen, Dir aber blieb der Zopf zurück. Geheimnißvoll und zaubrisch schwebet Der Zopf ob allen Staffelein, Und keiner der da lebt und webet Will dich, o freie Kunst, befrei'n. Was dir noch blieb, wird werthgehalten
In allen Kunstakademien; Die Alten bleiben gern beim Alten, Und keiner darf ein Haar draus ziehn. Kunſtzopf. Mel. In einem Thal bei armen Hirten Aus deinem eignen Haar gewunden Ward dir ein ungeheurer Zopf. Schon hundert Jahre ſind verſchwunden, Dir aber blieb der Zopf am Kopf. Viel große Meiſter ſahn ihn hangen, Und jeder nahm dir ab ein Stück, Sie alle ſind dann heimgegangen, Dir aber blieb der Zopf zurück. Geheimnißvoll und zaubriſch ſchwebet Der Zopf ob allen Staffelein, Und keiner der da lebt und webet Will dich, o freie Kunſt, befrei'n. Was dir noch blieb, wird werthgehalten
In allen Kunſtakademien; Die Alten bleiben gern beim Alten, Und keiner darf ein Haar draus ziehn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0152" n="134"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Kunſtzopf.</hi><lb/> </head> <p rendition="#c"><hi rendition="#g">Mel.</hi> In einem Thal bei armen Hirten<lb/> Erſchien mit jedem jungen Jahr.</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Aus deinem eignen Haar gewunden</l><lb/> <l>Ward dir ein ungeheurer Zopf.</l><lb/> <l>Schon hundert Jahre ſind verſchwunden,</l><lb/> <l>Dir aber blieb der Zopf am Kopf.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Viel große Meiſter ſahn ihn hangen,</l><lb/> <l>Und jeder nahm dir ab ein Stück,</l><lb/> <l>Sie alle ſind dann heimgegangen,</l><lb/> <l>Dir aber blieb der Zopf zurück.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Geheimnißvoll und zaubriſch ſchwebet</l><lb/> <l>Der Zopf ob allen Staffelein,</l><lb/> <l>Und keiner der da lebt und webet</l><lb/> <l>Will dich, o freie Kunſt, befrei'n.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Was dir noch blieb, wird werthgehalten</l><lb/> <l>In allen Kunſtakademien;</l><lb/> <l>Die Alten bleiben gern beim Alten,</l><lb/> <l>Und keiner darf ein Haar draus ziehn.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0152]
Kunſtzopf.
Mel. In einem Thal bei armen Hirten
Erſchien mit jedem jungen Jahr.
Aus deinem eignen Haar gewunden
Ward dir ein ungeheurer Zopf.
Schon hundert Jahre ſind verſchwunden,
Dir aber blieb der Zopf am Kopf.
Viel große Meiſter ſahn ihn hangen,
Und jeder nahm dir ab ein Stück,
Sie alle ſind dann heimgegangen,
Dir aber blieb der Zopf zurück.
Geheimnißvoll und zaubriſch ſchwebet
Der Zopf ob allen Staffelein,
Und keiner der da lebt und webet
Will dich, o freie Kunſt, befrei'n.
Was dir noch blieb, wird werthgehalten
In allen Kunſtakademien;
Die Alten bleiben gern beim Alten,
Und keiner darf ein Haar draus ziehn.
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