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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glüklich, ruhig zu seyn mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste. Gönnen kann man's euch; wer ereifert sich denn, dass die bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn der Pfeil sie trift, und dass der hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an die Wand wirft?

Nur müsst' ihr euch bescheiden, lieben Leute, müsst' ja in aller Stille euch wundern, wenn ihr nicht begreift, dass andre nicht auch so glüklich, auch so selbstgenügsam sind, müsst' ja euch hüten, eure Weisheit zum Gesez zu machen, denn das wäre der Welt Ende, wenn man euch gehorchte.

Ich lebte nun sehr still, sehr anspruchslos in Tina. Ich liess auch wirklich die Erscheinungen der Welt vorüberziehn, wie Nebel im Herbste, lachte manchmal auch mit nassen Augen über mein Herz, wenn es hinzuflog, um zu naschen, wie der Vogel nach der gemalten Traube, und blieb still und freundlich dabei.

Ich liess nun jedem gerne seine Meinung, seine Unart. Ich war bekehrt, ich wollte niemand mehr bekehren, nur war mir traurig, wenn ich sah, dass die Menschen glaubten, ich lasse darum ihr Possenspiel unangetastet, weil ich es so hoch und theuer achte, wie sie. Ich

Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glüklich, ruhig zu seyn mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste. Gönnen kann man’s euch; wer ereifert sich denn, dass die bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn der Pfeil sie trift, und dass der hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an die Wand wirft?

Nur müsst’ ihr euch bescheiden, lieben Leute, müsst’ ja in aller Stille euch wundern, wenn ihr nicht begreift, dass andre nicht auch so glüklich, auch so selbstgenügsam sind, müsst’ ja euch hüten, eure Weisheit zum Gesez zu machen, denn das wäre der Welt Ende, wenn man euch gehorchte.

Ich lebte nun sehr still, sehr anspruchslos in Tina. Ich liess auch wirklich die Erscheinungen der Welt vorüberziehn, wie Nebel im Herbste, lachte manchmal auch mit nassen Augen über mein Herz, wenn es hinzuflog, um zu naschen, wie der Vogel nach der gemalten Traube, und blieb still und freundlich dabei.

Ich liess nun jedem gerne seine Meinung, seine Unart. Ich war bekehrt, ich wollte niemand mehr bekehren, nur war mir traurig, wenn ich sah, dass die Menschen glaubten, ich lasse darum ihr Possenspiel unangetastet, weil ich es so hoch und theuer achte, wie sie. Ich

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/75>, abgerufen am 26.04.2024.