Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
An die Hoffnung.

O Hoffnung! holde! gütig geschäftige!
Die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst,
Und gerne dienend, Edle, zwischen
Sterblichen waltest und Himmelsmächten;
Wo bist du? wenig lebt' ich, doch athmet kalt
Mein Abend schon, und stille, den Schatten gleich,
Bin ich schon hier; und schon gesanglos
Schlummert das schauernde Herz im Busen.
Im grünen Thale, dort, wo der frische Quell
Vom Berge täglich rauscht, und die liebliche
Zeitlose mir am Herbstlicht aufblüht,
Dort in der Stille, du Holde, will ich
Dich suchen, oder wenn in der Mitternacht
Das unsichtbare Leben im Haine wallt,
Und über mir die immer frohen
Blumen, die sicheren Sterne, glänzen.
O du, des Aethers Tochter! erscheine dann
Aus deines Vaters Gärten, und darfst du nicht,
Mir sterblich Glück verheißen, schreck', o
Schrecke mit anderem nur das Herz mir.


Hölderlin Gedichte. 4
An die Hoffnung.

O Hoffnung! holde! guͤtig geſchaͤftige!
Die du das Haus der Trauernden nicht verſchmaͤhſt,
Und gerne dienend, Edle, zwiſchen
Sterblichen walteſt und Himmelsmaͤchten;
Wo biſt du? wenig lebt' ich, doch athmet kalt
Mein Abend ſchon, und ſtille, den Schatten gleich,
Bin ich ſchon hier; und ſchon geſanglos
Schlummert das ſchauernde Herz im Buſen.
Im gruͤnen Thale, dort, wo der friſche Quell
Vom Berge taͤglich rauſcht, und die liebliche
Zeitloſe mir am Herbſtlicht aufbluͤht,
Dort in der Stille, du Holde, will ich
Dich ſuchen, oder wenn in der Mitternacht
Das unſichtbare Leben im Haine wallt,
Und uͤber mir die immer frohen
Blumen, die ſicheren Sterne, glaͤnzen.
O du, des Aethers Tochter! erſcheine dann
Aus deines Vaters Gaͤrten, und darfſt du nicht,
Mir ſterblich Gluͤck verheißen, ſchreck', o
Schrecke mit anderem nur das Herz mir.


Hoͤlderlin Gedichte. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0057" n="49"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g">An die Hoffnung</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>O Hoffnung! holde! gu&#x0364;tig ge&#x017F;cha&#x0364;ftige!</l><lb/>
            <l>Die du das Haus der Trauernden nicht ver&#x017F;chma&#x0364;h&#x017F;t,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Und gerne dienend, Edle, zwi&#x017F;chen</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Sterblichen walte&#x017F;t und Himmelsma&#x0364;chten;</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Wo bi&#x017F;t du? wenig lebt' ich, doch athmet kalt</l><lb/>
            <l>Mein Abend &#x017F;chon, und &#x017F;tille, den Schatten gleich,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Bin ich &#x017F;chon hier; und &#x017F;chon ge&#x017F;anglos</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Schlummert das &#x017F;chauernde Herz im Bu&#x017F;en.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Im gru&#x0364;nen Thale, dort, wo der fri&#x017F;che Quell</l><lb/>
            <l>Vom Berge ta&#x0364;glich rau&#x017F;cht, und die liebliche</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Zeitlo&#x017F;e mir am Herb&#x017F;tlicht aufblu&#x0364;ht,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Dort in der Stille, du Holde, will ich</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Dich &#x017F;uchen, oder wenn in der Mitternacht</l><lb/>
            <l>Das un&#x017F;ichtbare Leben im Haine wallt,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Und u&#x0364;ber mir die immer frohen</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Blumen, die &#x017F;icheren Sterne, gla&#x0364;nzen.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="5">
            <l>O du, des Aethers Tochter! er&#x017F;cheine dann</l><lb/>
            <l>Aus deines Vaters Ga&#x0364;rten, und darf&#x017F;t du nicht,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Mir &#x017F;terblich Glu&#x0364;ck verheißen, &#x017F;chreck', o</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Schrecke mit anderem nur das Herz mir.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <l/>
        </lg>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <fw place="bottom" type="sig">Ho&#x0364;lderlin Gedichte. 4</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0057] An die Hoffnung. O Hoffnung! holde! guͤtig geſchaͤftige! Die du das Haus der Trauernden nicht verſchmaͤhſt, Und gerne dienend, Edle, zwiſchen Sterblichen walteſt und Himmelsmaͤchten; Wo biſt du? wenig lebt' ich, doch athmet kalt Mein Abend ſchon, und ſtille, den Schatten gleich, Bin ich ſchon hier; und ſchon geſanglos Schlummert das ſchauernde Herz im Buſen. Im gruͤnen Thale, dort, wo der friſche Quell Vom Berge taͤglich rauſcht, und die liebliche Zeitloſe mir am Herbſtlicht aufbluͤht, Dort in der Stille, du Holde, will ich Dich ſuchen, oder wenn in der Mitternacht Das unſichtbare Leben im Haine wallt, Und uͤber mir die immer frohen Blumen, die ſicheren Sterne, glaͤnzen. O du, des Aethers Tochter! erſcheine dann Aus deines Vaters Gaͤrten, und darfſt du nicht, Mir ſterblich Gluͤck verheißen, ſchreck', o Schrecke mit anderem nur das Herz mir. Hoͤlderlin Gedichte. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/57
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/57>, abgerufen am 21.12.2024.