Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Menons Klage um Diotima.

1.
Täglich geh' ich heraus und such' ein Anderes immer,
Habe längst sie befragt, alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, die Schatten alle
besuch' ich,
Und die Quellen; hinauf irret der Geist und
hinab,
Ruh' erbittend; so flieht das getroffene Wild in
die Wälder,
Wo es um Mittag sonst sicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquickt sein grünes Lager das Herz
ihm,
Jammernd und schlummerlos treibt es der
Stachel umher.
Nicht die Wärme des Lichts, und nicht die Kühle
der Nacht hilft,
Und in Wogen des Stroms taucht es die Wun-
den umsonst.
Und wie ihm vergebens die Erd' ihr fröhliches
Heilkraut
Reicht, und das gährende Blut keiner der Ze-
phyre stillt,
Menons Klage um Diotima.

1.
Taͤglich geh' ich heraus und ſuch' ein Anderes immer,
Habe laͤngſt ſie befragt, alle die Pfade des Lands;
Droben die kuͤhlenden Hoͤhn, die Schatten alle
beſuch' ich,
Und die Quellen; hinauf irret der Geiſt und
hinab,
Ruh' erbittend; ſo flieht das getroffene Wild in
die Waͤlder,
Wo es um Mittag ſonſt ſicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquickt ſein gruͤnes Lager das Herz
ihm,
Jammernd und ſchlummerlos treibt es der
Stachel umher.
Nicht die Waͤrme des Lichts, und nicht die Kuͤhle
der Nacht hilft,
Und in Wogen des Stroms taucht es die Wun-
den umſonſt.
Und wie ihm vergebens die Erd' ihr froͤhliches
Heilkraut
Reicht, und das gaͤhrende Blut keiner der Ze-
phyre ſtillt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0135" n="127"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g">Menons Klage um Diotima</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>1.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Ta&#x0364;glich geh' ich heraus und &#x017F;uch' ein Anderes immer,</l><lb/>
            <l>Habe la&#x0364;ng&#x017F;t &#x017F;ie befragt, alle die Pfade des Lands;</l><lb/>
            <l>Droben die ku&#x0364;hlenden Ho&#x0364;hn, die Schatten alle</l><lb/>
            <l>be&#x017F;uch' ich,</l><lb/>
            <l>Und die Quellen; hinauf irret der Gei&#x017F;t und</l><lb/>
            <l>hinab,</l><lb/>
            <l>Ruh' erbittend; &#x017F;o flieht das getroffene Wild in</l><lb/>
            <l>die Wa&#x0364;lder,</l><lb/>
            <l>Wo es um Mittag &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;icher im Dunkel geruht;</l><lb/>
            <l>Aber nimmer erquickt &#x017F;ein gru&#x0364;nes Lager das Herz</l><lb/>
            <l>ihm,</l><lb/>
            <l>Jammernd und &#x017F;chlummerlos treibt es der</l><lb/>
            <l>Stachel umher.</l><lb/>
            <l>Nicht die Wa&#x0364;rme des Lichts, und nicht die Ku&#x0364;hle</l><lb/>
            <l>der Nacht hilft,</l><lb/>
            <l>Und in Wogen des Stroms taucht es die Wun-</l><lb/>
            <l>den um&#x017F;on&#x017F;t.</l><lb/>
            <l>Und wie ihm vergebens die Erd' ihr fro&#x0364;hliches</l><lb/>
            <l>Heilkraut</l><lb/>
            <l>Reicht, und das ga&#x0364;hrende Blut keiner der Ze-</l><lb/>
            <l>phyre &#x017F;tillt,</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0135] Menons Klage um Diotima. 1. Taͤglich geh' ich heraus und ſuch' ein Anderes immer, Habe laͤngſt ſie befragt, alle die Pfade des Lands; Droben die kuͤhlenden Hoͤhn, die Schatten alle beſuch' ich, Und die Quellen; hinauf irret der Geiſt und hinab, Ruh' erbittend; ſo flieht das getroffene Wild in die Waͤlder, Wo es um Mittag ſonſt ſicher im Dunkel geruht; Aber nimmer erquickt ſein gruͤnes Lager das Herz ihm, Jammernd und ſchlummerlos treibt es der Stachel umher. Nicht die Waͤrme des Lichts, und nicht die Kuͤhle der Nacht hilft, Und in Wogen des Stroms taucht es die Wun- den umſonſt. Und wie ihm vergebens die Erd' ihr froͤhliches Heilkraut Reicht, und das gaͤhrende Blut keiner der Ze- phyre ſtillt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/135
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/135>, abgerufen am 21.11.2024.