Die Natur scheint über die Schweiz das Füllhorn ihrer Schönheiten ausgel[e]ert zu haben, und Bewohnung und Cultur vereinigten sich nach ihr, mitten unter den Wundern des Erhabenen und Romantischen, die keine Hand des Men- schen zu schaffen vermag, noch die sanftesten Reize einzustreuen *). Man kann fast keinen Schritt thun, ohne auf Scenen zu treffen, die in so vielen Reichen des Erdbodens entweder ganz unbekannt sind, oder die, wenn sie auch zu den gewöhn- lichen Auftritten gehören, die bloß ergötzen, doch hier durch die pikantesten Verbin- dungen und Gegenstellungen zur Wirkung der lebhaftesten Ueberraschung steigen. Was dabey dem Geschmack gehört oder sein Antheil zu seyn scheint, betrifft die Wahl der Lagen für die Landhäuser, die bescheidene Zierlichkeit und edle Einfalt ihrer Ein- richtung, die Einfachheit der bürgerlichen Sommerwohnungen, die Annehmlichkeit der Weinberge, und die Vereinigung einer gemäßigten Anmuth mit der stillen Nutz- barkeit der eingeschränkten Gartenreviere. Denn Land gehört hier zu den Kostbar- keiten des Landes. In den Gärten bleibt nur wenig Raum, den die Göttinn des Vergnügens mit ihren Blumen bestreuen und mit ihren Springbrunnen beleben kann. Viele edle ausländische Pflanzen warmer Zonen gedeihen unter diesem Klima; doch für die nordamerikanischen Bäume und Sträucher, woran sich England und Deutschland ergötzen, sind die niedrigen Gegenden Helvetiens fast schon zu warm. Die Kunst der Pflanzung ist hier noch unbekannt. Hecken mit Kugeln und Pyra- miden und ausgeschnittenen Oeffnungen, wie Gucklöcher in Krämerbuden, Kronen und Spitzsäulen von Taxus gehören noch zu den gewöhnlichen Werken der Kunst, die man im Angesicht der herrlichsten Landschaften hin und wieder immer noch herr- lich findet. Die höhern Abhänge der Weinberge und Gartenplätze machen oft die Einfassung mit Mauern und Eintheilung in Terrassen nöthig, aber auch zugleich den Spaziergang unbequem. Diesen verfolgt der Bewohner mit größerm Vergnügen auf den umliegenden Bergen, oder in den Thälern und Wiesen, die von weidenden Rindern und rauschenden Flüssen und Wasserfällen belebt sind. Sogar die Anpflan- zungen von Alleen bey den Städten, die man in Deutschland so häufig antrifft, daß daß man kaum mehr darauf achtet, sind in Helvetien so selten, daß Sinner sie als besondere Merkwürdigkeiten der Oerter anzuführen wichtig genug fand. Nur Bern kann sich von dieser Seite des Rangs mit beträchtlichen deutschen Städten rühmen.
Die Natur ſcheint uͤber die Schweiz das Fuͤllhorn ihrer Schoͤnheiten ausgel[e]ert zu haben, und Bewohnung und Cultur vereinigten ſich nach ihr, mitten unter den Wundern des Erhabenen und Romantiſchen, die keine Hand des Men- ſchen zu ſchaffen vermag, noch die ſanfteſten Reize einzuſtreuen *). Man kann faſt keinen Schritt thun, ohne auf Scenen zu treffen, die in ſo vielen Reichen des Erdbodens entweder ganz unbekannt ſind, oder die, wenn ſie auch zu den gewoͤhn- lichen Auftritten gehoͤren, die bloß ergoͤtzen, doch hier durch die pikanteſten Verbin- dungen und Gegenſtellungen zur Wirkung der lebhafteſten Ueberraſchung ſteigen. Was dabey dem Geſchmack gehoͤrt oder ſein Antheil zu ſeyn ſcheint, betrifft die Wahl der Lagen fuͤr die Landhaͤuſer, die beſcheidene Zierlichkeit und edle Einfalt ihrer Ein- richtung, die Einfachheit der buͤrgerlichen Sommerwohnungen, die Annehmlichkeit der Weinberge, und die Vereinigung einer gemaͤßigten Anmuth mit der ſtillen Nutz- barkeit der eingeſchraͤnkten Gartenreviere. Denn Land gehoͤrt hier zu den Koſtbar- keiten des Landes. In den Gaͤrten bleibt nur wenig Raum, den die Goͤttinn des Vergnuͤgens mit ihren Blumen beſtreuen und mit ihren Springbrunnen beleben kann. Viele edle auslaͤndiſche Pflanzen warmer Zonen gedeihen unter dieſem Klima; doch fuͤr die nordamerikaniſchen Baͤume und Straͤucher, woran ſich England und Deutſchland ergoͤtzen, ſind die niedrigen Gegenden Helvetiens faſt ſchon zu warm. Die Kunſt der Pflanzung iſt hier noch unbekannt. Hecken mit Kugeln und Pyra- miden und ausgeſchnittenen Oeffnungen, wie Guckloͤcher in Kraͤmerbuden, Kronen und Spitzſaͤulen von Taxus gehoͤren noch zu den gewoͤhnlichen Werken der Kunſt, die man im Angeſicht der herrlichſten Landſchaften hin und wieder immer noch herr- lich findet. Die hoͤhern Abhaͤnge der Weinberge und Gartenplaͤtze machen oft die Einfaſſung mit Mauern und Eintheilung in Terraſſen noͤthig, aber auch zugleich den Spaziergang unbequem. Dieſen verfolgt der Bewohner mit groͤßerm Vergnuͤgen auf den umliegenden Bergen, oder in den Thaͤlern und Wieſen, die von weidenden Rindern und rauſchenden Fluͤſſen und Waſſerfaͤllen belebt ſind. Sogar die Anpflan- zungen von Alleen bey den Staͤdten, die man in Deutſchland ſo haͤufig antrifft, daß daß man kaum mehr darauf achtet, ſind in Helvetien ſo ſelten, daß Sinner ſie als beſondere Merkwuͤrdigkeiten der Oerter anzufuͤhren wichtig genug fand. Nur Bern kann ſich von dieſer Seite des Rangs mit betraͤchtlichen deutſchen Staͤdten ruͤhmen.
Die
*) 1ſter B. S. 33 — 35.
J i 2
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Luſtſchloͤſſern, Landhaͤuſern, Gartengebaͤuden ꝛc.
II.
Die Schweiz.
Die Natur ſcheint uͤber die Schweiz das Fuͤllhorn ihrer Schoͤnheiten ausgeleert
zu haben, und Bewohnung und Cultur vereinigten ſich nach ihr, mitten
unter den Wundern des Erhabenen und Romantiſchen, die keine Hand des Men-
ſchen zu ſchaffen vermag, noch die ſanfteſten Reize einzuſtreuen *). Man kann
faſt keinen Schritt thun, ohne auf Scenen zu treffen, die in ſo vielen Reichen des
Erdbodens entweder ganz unbekannt ſind, oder die, wenn ſie auch zu den gewoͤhn-
lichen Auftritten gehoͤren, die bloß ergoͤtzen, doch hier durch die pikanteſten Verbin-
dungen und Gegenſtellungen zur Wirkung der lebhafteſten Ueberraſchung ſteigen.
Was dabey dem Geſchmack gehoͤrt oder ſein Antheil zu ſeyn ſcheint, betrifft die Wahl
der Lagen fuͤr die Landhaͤuſer, die beſcheidene Zierlichkeit und edle Einfalt ihrer Ein-
richtung, die Einfachheit der buͤrgerlichen Sommerwohnungen, die Annehmlichkeit
der Weinberge, und die Vereinigung einer gemaͤßigten Anmuth mit der ſtillen Nutz-
barkeit der eingeſchraͤnkten Gartenreviere. Denn Land gehoͤrt hier zu den Koſtbar-
keiten des Landes. In den Gaͤrten bleibt nur wenig Raum, den die Goͤttinn des
Vergnuͤgens mit ihren Blumen beſtreuen und mit ihren Springbrunnen beleben kann.
Viele edle auslaͤndiſche Pflanzen warmer Zonen gedeihen unter dieſem Klima; doch
fuͤr die nordamerikaniſchen Baͤume und Straͤucher, woran ſich England und
Deutſchland ergoͤtzen, ſind die niedrigen Gegenden Helvetiens faſt ſchon zu warm.
Die Kunſt der Pflanzung iſt hier noch unbekannt. Hecken mit Kugeln und Pyra-
miden und ausgeſchnittenen Oeffnungen, wie Guckloͤcher in Kraͤmerbuden, Kronen
und Spitzſaͤulen von Taxus gehoͤren noch zu den gewoͤhnlichen Werken der Kunſt,
die man im Angeſicht der herrlichſten Landſchaften hin und wieder immer noch herr-
lich findet. Die hoͤhern Abhaͤnge der Weinberge und Gartenplaͤtze machen oft die
Einfaſſung mit Mauern und Eintheilung in Terraſſen noͤthig, aber auch zugleich den
Spaziergang unbequem. Dieſen verfolgt der Bewohner mit groͤßerm Vergnuͤgen
auf den umliegenden Bergen, oder in den Thaͤlern und Wieſen, die von weidenden
Rindern und rauſchenden Fluͤſſen und Waſſerfaͤllen belebt ſind. Sogar die Anpflan-
zungen von Alleen bey den Staͤdten, die man in Deutſchland ſo haͤufig antrifft, daß
daß man kaum mehr darauf achtet, ſind in Helvetien ſo ſelten, daß Sinner ſie
als beſondere Merkwuͤrdigkeiten der Oerter anzufuͤhren wichtig genug fand. Nur Bern
kann ſich von dieſer Seite des Rangs mit betraͤchtlichen deutſchen Staͤdten ruͤhmen.
Die
*) 1ſter B. S. 33 — 35.
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/259>, abgerufen am 03.03.2025.
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