Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

Bild:
<< vorherige Seite
nach dem Unterschied der Jahreszeiten.
III.
Herbstgarten.
1.

Die Natur ist in dieser Zeit nur noch beschäfftigt, den Segen ihrer letzten Früchte
abzuliefern, und bereitet sich allmälig zu ihrer Ruhe vor. Die Blätter begin-
nen zu welken, und zu fallen; die Kraft des Wachsthums und des Lebens wird er-
schlafft; alles, selbst bis auf den Tag, nähert sich der Abnahme. Indessen fehlt es
dem Herbst, noch außer den frohen Scenen der letzten Aerndte und außer den Festen
der Weinlese, nicht an Anmuth. Die Hitze ist zu einer milden Wärme gemäßigt.
Eine feyerliche Stille schwebt über Fluren und Wälder. Der Himmel schmücket sich
mit einer sanften Heiterkeit; die leichten Gewölke, die zuweilen an seinem blauen Ge-
wölbe erscheinen, stehen wie silberne Spiegel, oder wie kleine Malereyen, welche die
allgemeine Einfärbigkeit unterbrechen, und bald röthliche Hügel mit grauen Thälern,
bald andere landschaftliche Bilder nachzuahmen scheinen. Die Morgennebel, die das
Laub der Bäume langsam tödten, erfrischen das Grün der Rasen. Und welche ma-
lerische Schauspiele, wenn sich aus ihnen das Licht des Tages entwickelt, und eine neue
Schöpfung in verklärter Schönheit hervorsteigt! Stille, dankbare Behagung über
die letzten Wohlthaten der Natur und sanfte Melancholie bey dem Anblick der Scenen,
die nichts mehr zu hoffen übrig lassen, bey den trüben Scenen der Vergänglichkeit,
sind die beyden Hauptempfindungen, die der Herbst erregt. Der Geist übergiebt sich
der Ruhe zu ernsthaften Betrachtungen, und über alle Empfindungen verbreitet sich
eine gewisse unbeschreibliche Milde, gleich einem schönen Herbstabend, der die leich-
ten ihn umschwebenden Thaugewölke mit lieblicher Rosenhelle durchgießt.

Die Wälder und Gebüsche stellen uns in dieser Jahreszeit ein neues Schauspiel
der Farbenmischungen vor Augen. Im Sommer war die ganze Natur in Grün ge-
kleidet. Jetzt wandelt es fich nach und nach von einem Ton zum andern, von dem
Blaßgrünen und Gelblichen bis zu dem Röthlichen, Dunkelrothen und Braunen, mit
unendlich verschiedenen Abfällen und Schattirungen. Durch diese Veränderung des
Laubes giebt schon die Natur Gemälde, die der Frühling und Sommer bey aller ihrer
Schönheit nicht haben.

2.

Zwar verbreitet sich diese Farbenwechselung fast durch das ganze Pflanzenreich,
und in den Wäldern und Fruchtgärten kleiden sich die Blätter mit mancherley Mi-

schungen
U 2
nach dem Unterſchied der Jahreszeiten.
III.
Herbſtgarten.
1.

Die Natur iſt in dieſer Zeit nur noch beſchaͤfftigt, den Segen ihrer letzten Fruͤchte
abzuliefern, und bereitet ſich allmaͤlig zu ihrer Ruhe vor. Die Blaͤtter begin-
nen zu welken, und zu fallen; die Kraft des Wachsthums und des Lebens wird er-
ſchlafft; alles, ſelbſt bis auf den Tag, naͤhert ſich der Abnahme. Indeſſen fehlt es
dem Herbſt, noch außer den frohen Scenen der letzten Aerndte und außer den Feſten
der Weinleſe, nicht an Anmuth. Die Hitze iſt zu einer milden Waͤrme gemaͤßigt.
Eine feyerliche Stille ſchwebt uͤber Fluren und Waͤlder. Der Himmel ſchmuͤcket ſich
mit einer ſanften Heiterkeit; die leichten Gewoͤlke, die zuweilen an ſeinem blauen Ge-
woͤlbe erſcheinen, ſtehen wie ſilberne Spiegel, oder wie kleine Malereyen, welche die
allgemeine Einfaͤrbigkeit unterbrechen, und bald roͤthliche Huͤgel mit grauen Thaͤlern,
bald andere landſchaftliche Bilder nachzuahmen ſcheinen. Die Morgennebel, die das
Laub der Baͤume langſam toͤdten, erfriſchen das Gruͤn der Raſen. Und welche ma-
leriſche Schauſpiele, wenn ſich aus ihnen das Licht des Tages entwickelt, und eine neue
Schoͤpfung in verklaͤrter Schoͤnheit hervorſteigt! Stille, dankbare Behagung uͤber
die letzten Wohlthaten der Natur und ſanfte Melancholie bey dem Anblick der Scenen,
die nichts mehr zu hoffen uͤbrig laſſen, bey den truͤben Scenen der Vergaͤnglichkeit,
ſind die beyden Hauptempfindungen, die der Herbſt erregt. Der Geiſt uͤbergiebt ſich
der Ruhe zu ernſthaften Betrachtungen, und uͤber alle Empfindungen verbreitet ſich
eine gewiſſe unbeſchreibliche Milde, gleich einem ſchoͤnen Herbſtabend, der die leich-
ten ihn umſchwebenden Thaugewoͤlke mit lieblicher Roſenhelle durchgießt.

Die Waͤlder und Gebuͤſche ſtellen uns in dieſer Jahreszeit ein neues Schauſpiel
der Farbenmiſchungen vor Augen. Im Sommer war die ganze Natur in Gruͤn ge-
kleidet. Jetzt wandelt es fich nach und nach von einem Ton zum andern, von dem
Blaßgruͤnen und Gelblichen bis zu dem Roͤthlichen, Dunkelrothen und Braunen, mit
unendlich verſchiedenen Abfaͤllen und Schattirungen. Durch dieſe Veraͤnderung des
Laubes giebt ſchon die Natur Gemaͤlde, die der Fruͤhling und Sommer bey aller ihrer
Schoͤnheit nicht haben.

2.

Zwar verbreitet ſich dieſe Farbenwechſelung faſt durch das ganze Pflanzenreich,
und in den Waͤldern und Fruchtgaͤrten kleiden ſich die Blaͤtter mit mancherley Mi-

ſchungen
U 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0159" n="155"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">nach dem Unter&#x017F;chied der Jahreszeiten.</hi> </fw><lb/>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi><lb/><hi rendition="#g">Herb&#x017F;tgarten</hi>.</hi> </head><lb/>
          <div n="4">
            <head> <hi rendition="#b">1.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Natur i&#x017F;t in die&#x017F;er Zeit nur noch be&#x017F;cha&#x0364;fftigt, den Segen ihrer letzten Fru&#x0364;chte<lb/>
abzuliefern, und bereitet &#x017F;ich allma&#x0364;lig zu ihrer Ruhe vor. Die Bla&#x0364;tter begin-<lb/>
nen zu welken, und zu fallen; die Kraft des Wachsthums und des Lebens wird er-<lb/>
&#x017F;chlafft; alles, &#x017F;elb&#x017F;t bis auf den Tag, na&#x0364;hert &#x017F;ich der Abnahme. Inde&#x017F;&#x017F;en fehlt es<lb/>
dem Herb&#x017F;t, noch außer den frohen Scenen der letzten Aerndte und außer den Fe&#x017F;ten<lb/>
der Weinle&#x017F;e, nicht an Anmuth. Die Hitze i&#x017F;t zu einer milden Wa&#x0364;rme gema&#x0364;ßigt.<lb/>
Eine feyerliche Stille &#x017F;chwebt u&#x0364;ber Fluren und Wa&#x0364;lder. Der Himmel &#x017F;chmu&#x0364;cket &#x017F;ich<lb/>
mit einer &#x017F;anften Heiterkeit; die leichten Gewo&#x0364;lke, die zuweilen an &#x017F;einem blauen Ge-<lb/>
wo&#x0364;lbe er&#x017F;cheinen, &#x017F;tehen wie &#x017F;ilberne Spiegel, oder wie kleine Malereyen, welche die<lb/>
allgemeine Einfa&#x0364;rbigkeit unterbrechen, und bald ro&#x0364;thliche Hu&#x0364;gel mit grauen Tha&#x0364;lern,<lb/>
bald andere land&#x017F;chaftliche Bilder nachzuahmen &#x017F;cheinen. Die Morgennebel, die das<lb/>
Laub der Ba&#x0364;ume lang&#x017F;am to&#x0364;dten, erfri&#x017F;chen das Gru&#x0364;n der Ra&#x017F;en. Und welche ma-<lb/>
leri&#x017F;che Schau&#x017F;piele, wenn &#x017F;ich aus ihnen das Licht des Tages entwickelt, und eine neue<lb/>
Scho&#x0364;pfung in verkla&#x0364;rter Scho&#x0364;nheit hervor&#x017F;teigt! Stille, dankbare Behagung u&#x0364;ber<lb/>
die letzten Wohlthaten der Natur und &#x017F;anfte Melancholie bey dem Anblick der Scenen,<lb/>
die nichts mehr zu hoffen u&#x0364;brig la&#x017F;&#x017F;en, bey den tru&#x0364;ben Scenen der Verga&#x0364;nglichkeit,<lb/>
&#x017F;ind die beyden Hauptempfindungen, die der Herb&#x017F;t erregt. Der Gei&#x017F;t u&#x0364;bergiebt &#x017F;ich<lb/>
der Ruhe zu ern&#x017F;thaften Betrachtungen, und u&#x0364;ber alle Empfindungen verbreitet &#x017F;ich<lb/>
eine gewi&#x017F;&#x017F;e unbe&#x017F;chreibliche Milde, gleich einem &#x017F;cho&#x0364;nen Herb&#x017F;tabend, der die leich-<lb/>
ten ihn um&#x017F;chwebenden Thaugewo&#x0364;lke mit lieblicher Ro&#x017F;enhelle durchgießt.</p><lb/>
            <p>Die Wa&#x0364;lder und Gebu&#x0364;&#x017F;che &#x017F;tellen uns in die&#x017F;er Jahreszeit ein neues Schau&#x017F;piel<lb/>
der Farbenmi&#x017F;chungen vor Augen. Im Sommer war die ganze Natur in Gru&#x0364;n ge-<lb/>
kleidet. Jetzt wandelt es fich nach und nach von einem Ton zum andern, von dem<lb/>
Blaßgru&#x0364;nen und Gelblichen bis zu dem Ro&#x0364;thlichen, Dunkelrothen und Braunen, mit<lb/>
unendlich ver&#x017F;chiedenen Abfa&#x0364;llen und Schattirungen. Durch die&#x017F;e Vera&#x0364;nderung des<lb/>
Laubes giebt &#x017F;chon die Natur Gema&#x0364;lde, die der Fru&#x0364;hling und Sommer bey aller ihrer<lb/>
Scho&#x0364;nheit nicht haben.</p>
          </div><lb/>
          <div n="4">
            <head> <hi rendition="#b">2.</hi> </head><lb/>
            <p>Zwar verbreitet &#x017F;ich die&#x017F;e Farbenwech&#x017F;elung fa&#x017F;t durch das ganze Pflanzenreich,<lb/>
und in den Wa&#x0364;ldern und Fruchtga&#x0364;rten kleiden &#x017F;ich die Bla&#x0364;tter mit mancherley Mi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chungen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0159] nach dem Unterſchied der Jahreszeiten. III. Herbſtgarten. 1. Die Natur iſt in dieſer Zeit nur noch beſchaͤfftigt, den Segen ihrer letzten Fruͤchte abzuliefern, und bereitet ſich allmaͤlig zu ihrer Ruhe vor. Die Blaͤtter begin- nen zu welken, und zu fallen; die Kraft des Wachsthums und des Lebens wird er- ſchlafft; alles, ſelbſt bis auf den Tag, naͤhert ſich der Abnahme. Indeſſen fehlt es dem Herbſt, noch außer den frohen Scenen der letzten Aerndte und außer den Feſten der Weinleſe, nicht an Anmuth. Die Hitze iſt zu einer milden Waͤrme gemaͤßigt. Eine feyerliche Stille ſchwebt uͤber Fluren und Waͤlder. Der Himmel ſchmuͤcket ſich mit einer ſanften Heiterkeit; die leichten Gewoͤlke, die zuweilen an ſeinem blauen Ge- woͤlbe erſcheinen, ſtehen wie ſilberne Spiegel, oder wie kleine Malereyen, welche die allgemeine Einfaͤrbigkeit unterbrechen, und bald roͤthliche Huͤgel mit grauen Thaͤlern, bald andere landſchaftliche Bilder nachzuahmen ſcheinen. Die Morgennebel, die das Laub der Baͤume langſam toͤdten, erfriſchen das Gruͤn der Raſen. Und welche ma- leriſche Schauſpiele, wenn ſich aus ihnen das Licht des Tages entwickelt, und eine neue Schoͤpfung in verklaͤrter Schoͤnheit hervorſteigt! Stille, dankbare Behagung uͤber die letzten Wohlthaten der Natur und ſanfte Melancholie bey dem Anblick der Scenen, die nichts mehr zu hoffen uͤbrig laſſen, bey den truͤben Scenen der Vergaͤnglichkeit, ſind die beyden Hauptempfindungen, die der Herbſt erregt. Der Geiſt uͤbergiebt ſich der Ruhe zu ernſthaften Betrachtungen, und uͤber alle Empfindungen verbreitet ſich eine gewiſſe unbeſchreibliche Milde, gleich einem ſchoͤnen Herbſtabend, der die leich- ten ihn umſchwebenden Thaugewoͤlke mit lieblicher Roſenhelle durchgießt. Die Waͤlder und Gebuͤſche ſtellen uns in dieſer Jahreszeit ein neues Schauſpiel der Farbenmiſchungen vor Augen. Im Sommer war die ganze Natur in Gruͤn ge- kleidet. Jetzt wandelt es fich nach und nach von einem Ton zum andern, von dem Blaßgruͤnen und Gelblichen bis zu dem Roͤthlichen, Dunkelrothen und Braunen, mit unendlich verſchiedenen Abfaͤllen und Schattirungen. Durch dieſe Veraͤnderung des Laubes giebt ſchon die Natur Gemaͤlde, die der Fruͤhling und Sommer bey aller ihrer Schoͤnheit nicht haben. 2. Zwar verbreitet ſich dieſe Farbenwechſelung faſt durch das ganze Pflanzenreich, und in den Waͤldern und Fruchtgaͤrten kleiden ſich die Blaͤtter mit mancherley Mi- ſchungen U 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/159
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/159>, abgerufen am 21.11.2024.