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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Dritter Abschnitt. Von Tempeln, Grotten,
hatten gemeiniglich ihre Wohnungen eine Quelle oder einen Wasserbrunnen. Eine
verdickte, oben und an den Seiten ausschwitzende Feuchtigkeit gab den Grotten nicht
selten ihre Form; oft war die Quelle mit Steintheilchen geschwängert, die sie ansetzte,
und ihren Weg mit einem Ueberzug bezeichnete. Den Gestalten, die sich durch diese
Zufälligkeit bildeten, theilte die Phantasie Leben und Bedeutung zu. Der Landmann,
der Jäger und der Hirte begaben sich in diese Höhlen, um den Nymphen Geschenke
zu bringen, die auf ihre Natur und die Gegenstände ihrer Aufsicht eine Beziehung
hatten. Sie opferten ihnen bald ein Lamm oder eine Ziege, bald Früchte, bald
Milch, Oel und Honig. Ihre fromme Einfalt glaubte, daß ihre Schutzgöttinnen,
obgleich unsichtbar, hier gegenwärtig wären, und die dargebrachten Geschenke ihre
Gunst erwerben könnten. Man umwand ihre Statüen mit Kränzen, und weihete
ihnen kleine Gärten, die oft aus einem Stückchen Erde bestanden, bepflanzt mit sol-
chen Kräutern und Blumen, wovon man glaubte, daß sie den Göttinnen gefielen.
Diese unterhielten sich in ihren Wohnungen mit angenehmen Erzählungen, beschäf-
tigten sich mit künstlichen Arbeiten, und machten Purpurkleider. Pan und Bac-
chus,
der sie in Gesängen unterrichtete, waren ihre gewöhnlichen Gesellschafter; man
sah ihre Bildnisse zuweilen in den Grotten aufgestellt. Um Mittag verstummte die
Flöte der Hirten, um nicht den Schlummer des Pan zu unterbrechen, der um diese
Zeit in den Höhlen zu ruhen pflegte.

Dieses Bild von den Grotten der Nymphen hat die Anmuth, womit die
Griechen alles zu beleben wußten. Sie waren heilige Oerter; aber frey von allem
Schrecklichen. Sie waren noch keine Theile von Gärten, die überhaupt bey dieser
Nation nicht weit über die Gränzen der ersten Rohigkeit hinausrückten; aber sie wa-
ren einzelne Werke, die von ihrer Lage an Seen und Flüssen, in Bergen und Wäl-
dern einen vollkommen ländlichen Charakter erhielten. Und die Zurückerinnerung an
ihre ursprüngliche Einrichtung kann den Gartenkünstler zu anmuthigen Erfindungen
leiten, die das Gepräge ihrer alten ehrwürdigen Einfalt tragen, und doch unsern Gär-
ten angemessen sind.

2.

Nicht überall so heiter ist das Bild der Grotten in den spätern Jahrhunderten,
als es unter den Nymphen der Griechen war. Denn in den Zeiten der Fehde und
des Raubes wurden sie bald Wohnungen der Räuber, bald Zufluchtsörter der Un-
glücklichen. -- Zuweilen aber nahmen Helden darinn ihren Aufenthalt, und die Höh-
len vertraten die Stelle befestigter Schlösser, die man nicht so leicht erbauen konnte,

als

Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
hatten gemeiniglich ihre Wohnungen eine Quelle oder einen Waſſerbrunnen. Eine
verdickte, oben und an den Seiten ausſchwitzende Feuchtigkeit gab den Grotten nicht
ſelten ihre Form; oft war die Quelle mit Steintheilchen geſchwaͤngert, die ſie anſetzte,
und ihren Weg mit einem Ueberzug bezeichnete. Den Geſtalten, die ſich durch dieſe
Zufaͤlligkeit bildeten, theilte die Phantaſie Leben und Bedeutung zu. Der Landmann,
der Jaͤger und der Hirte begaben ſich in dieſe Hoͤhlen, um den Nymphen Geſchenke
zu bringen, die auf ihre Natur und die Gegenſtaͤnde ihrer Aufſicht eine Beziehung
hatten. Sie opferten ihnen bald ein Lamm oder eine Ziege, bald Fruͤchte, bald
Milch, Oel und Honig. Ihre fromme Einfalt glaubte, daß ihre Schutzgoͤttinnen,
obgleich unſichtbar, hier gegenwaͤrtig waͤren, und die dargebrachten Geſchenke ihre
Gunſt erwerben koͤnnten. Man umwand ihre Statuͤen mit Kraͤnzen, und weihete
ihnen kleine Gaͤrten, die oft aus einem Stuͤckchen Erde beſtanden, bepflanzt mit ſol-
chen Kraͤutern und Blumen, wovon man glaubte, daß ſie den Goͤttinnen gefielen.
Dieſe unterhielten ſich in ihren Wohnungen mit angenehmen Erzaͤhlungen, beſchaͤf-
tigten ſich mit kuͤnſtlichen Arbeiten, und machten Purpurkleider. Pan und Bac-
chus,
der ſie in Geſaͤngen unterrichtete, waren ihre gewoͤhnlichen Geſellſchafter; man
ſah ihre Bildniſſe zuweilen in den Grotten aufgeſtellt. Um Mittag verſtummte die
Floͤte der Hirten, um nicht den Schlummer des Pan zu unterbrechen, der um dieſe
Zeit in den Hoͤhlen zu ruhen pflegte.

Dieſes Bild von den Grotten der Nymphen hat die Anmuth, womit die
Griechen alles zu beleben wußten. Sie waren heilige Oerter; aber frey von allem
Schrecklichen. Sie waren noch keine Theile von Gaͤrten, die uͤberhaupt bey dieſer
Nation nicht weit uͤber die Graͤnzen der erſten Rohigkeit hinausruͤckten; aber ſie wa-
ren einzelne Werke, die von ihrer Lage an Seen und Fluͤſſen, in Bergen und Waͤl-
dern einen vollkommen laͤndlichen Charakter erhielten. Und die Zuruͤckerinnerung an
ihre urſpruͤngliche Einrichtung kann den Gartenkuͤnſtler zu anmuthigen Erfindungen
leiten, die das Gepraͤge ihrer alten ehrwuͤrdigen Einfalt tragen, und doch unſern Gaͤr-
ten angemeſſen ſind.

2.

Nicht uͤberall ſo heiter iſt das Bild der Grotten in den ſpaͤtern Jahrhunderten,
als es unter den Nymphen der Griechen war. Denn in den Zeiten der Fehde und
des Raubes wurden ſie bald Wohnungen der Raͤuber, bald Zufluchtsoͤrter der Un-
gluͤcklichen. — Zuweilen aber nahmen Helden darinn ihren Aufenthalt, und die Hoͤh-
len vertraten die Stelle befeſtigter Schloͤſſer, die man nicht ſo leicht erbauen konnte,

als
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[86/0090] Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten, hatten gemeiniglich ihre Wohnungen eine Quelle oder einen Waſſerbrunnen. Eine verdickte, oben und an den Seiten ausſchwitzende Feuchtigkeit gab den Grotten nicht ſelten ihre Form; oft war die Quelle mit Steintheilchen geſchwaͤngert, die ſie anſetzte, und ihren Weg mit einem Ueberzug bezeichnete. Den Geſtalten, die ſich durch dieſe Zufaͤlligkeit bildeten, theilte die Phantaſie Leben und Bedeutung zu. Der Landmann, der Jaͤger und der Hirte begaben ſich in dieſe Hoͤhlen, um den Nymphen Geſchenke zu bringen, die auf ihre Natur und die Gegenſtaͤnde ihrer Aufſicht eine Beziehung hatten. Sie opferten ihnen bald ein Lamm oder eine Ziege, bald Fruͤchte, bald Milch, Oel und Honig. Ihre fromme Einfalt glaubte, daß ihre Schutzgoͤttinnen, obgleich unſichtbar, hier gegenwaͤrtig waͤren, und die dargebrachten Geſchenke ihre Gunſt erwerben koͤnnten. Man umwand ihre Statuͤen mit Kraͤnzen, und weihete ihnen kleine Gaͤrten, die oft aus einem Stuͤckchen Erde beſtanden, bepflanzt mit ſol- chen Kraͤutern und Blumen, wovon man glaubte, daß ſie den Goͤttinnen gefielen. Dieſe unterhielten ſich in ihren Wohnungen mit angenehmen Erzaͤhlungen, beſchaͤf- tigten ſich mit kuͤnſtlichen Arbeiten, und machten Purpurkleider. Pan und Bac- chus, der ſie in Geſaͤngen unterrichtete, waren ihre gewoͤhnlichen Geſellſchafter; man ſah ihre Bildniſſe zuweilen in den Grotten aufgeſtellt. Um Mittag verſtummte die Floͤte der Hirten, um nicht den Schlummer des Pan zu unterbrechen, der um dieſe Zeit in den Hoͤhlen zu ruhen pflegte. Dieſes Bild von den Grotten der Nymphen hat die Anmuth, womit die Griechen alles zu beleben wußten. Sie waren heilige Oerter; aber frey von allem Schrecklichen. Sie waren noch keine Theile von Gaͤrten, die uͤberhaupt bey dieſer Nation nicht weit uͤber die Graͤnzen der erſten Rohigkeit hinausruͤckten; aber ſie wa- ren einzelne Werke, die von ihrer Lage an Seen und Fluͤſſen, in Bergen und Waͤl- dern einen vollkommen laͤndlichen Charakter erhielten. Und die Zuruͤckerinnerung an ihre urſpruͤngliche Einrichtung kann den Gartenkuͤnſtler zu anmuthigen Erfindungen leiten, die das Gepraͤge ihrer alten ehrwuͤrdigen Einfalt tragen, und doch unſern Gaͤr- ten angemeſſen ſind. 2. Nicht uͤberall ſo heiter iſt das Bild der Grotten in den ſpaͤtern Jahrhunderten, als es unter den Nymphen der Griechen war. Denn in den Zeiten der Fehde und des Raubes wurden ſie bald Wohnungen der Raͤuber, bald Zufluchtsoͤrter der Un- gluͤcklichen. — Zuweilen aber nahmen Helden darinn ihren Aufenthalt, und die Hoͤh- len vertraten die Stelle befeſtigter Schloͤſſer, die man nicht ſo leicht erbauen konnte, als

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/90>, abgerufen am 21.11.2024.