Weil man in Gärten keine weitläuftigen Gebirge, und selten rauh verwilderte Berge hat, worinn sich nachgeahmte Einsiedeleyen verbergen könnten; so legt man sie am besten in verwachsenen Winkeln und in schattigten Vertiefungen an, wo sie den Charakter der Einsamkeit, den sie verlangen, leichter gewinnen. Denn nichts kann ihrer Natur und Absicht mehr widersprechen, als wenn man sie auf kleine offene Hü- gel oder auf freye Rasenplätze, wo sie von allen Seiten erblickt werden, verlegt; eine Anlage, die nicht unschicklicher seyn kann, ob man sie gleich noch oft genug antrifft. Eine sehr glückliche Lage ist es, wenn sie sich an einen Berg oder an eine Felsenwand lehnen; und oft wird man in der Nachbarschaft des Gartenreviers, in einer angrän- zenden Wildniß, einen mehr angemessenen Ort für sie finden, als in dem Bezirk des Gartens selbst. Die zunächst umliegende Gegend oder die Scene muß nichts Präch- tiges, nichts Reizendes noch Geschmücktes haben; sondern nachläßig und bescheiden seyn, in stiller Einfalt, ohne Lebhaftigkeit und ohne auffallende Schönheit. Ein ru- higes Gewässer oder eine Quelle mit leisem Gemurmel ist dem Charakter dieser Scene sehr gemäß. Man kann durch umhergepflanzte Bäume von tief herabhangenden Zweigen und dunklem Laubwerk, durch dicke Gebüsche ihre Einsamkeit verstärken, und ihr Ansehen finsterer machen.
Das Gebäude mag aus Stein oder Holz bestehen; nur muß die Zusammen- setzung die höchste Einfalt und Nachläßigkeit zeigen. Keine Kunst, viel weniger ein Anschein von Pracht; selbst die Vernachläßigung der Verhältnisse der Baukunst ist hier eher ein Verdienst, als ein Fehler. Das ganze Ansehen muß Einfalt, Dürf- tigkeit, Verläugnung ankündigen. Ein Dach von Stroh oder Schiefer, rohe Pfei- ler, die es tragen, ein Gemäuer oder eine von leimigter Erde aufgeführte Wand, woran man die Spuren der Zeit und des Wetters, beschädigte Stellen und Ueberzüge von Moos wahrnimmt, eine Thür, die, ohne Zierde zwischen den Pfosten, blos die Oeffnung schließt, Fenster mit trüben oder bemalten Glasscheiben -- Alles dieses bezeichnet die äußere Gestalt der Einsiedeley.
Die innere Einrichtung ist auf Reinlichkeit und unentbehrliche Bequemlichkeit eingeschränkt; daher keine Merkmale eines verfeinerten Geschmacks, keine Einladung zur Weichlichkeit und zu irgend einer Art von wollüstiger Behagung, keine reiche Ver- zierungen mit Gemälden und ausgelegter Arbeit, die wider den Begriff der Dürftig- keit oder Mäßigkeit streiten. Ueberall Einfalt, Bescheidenheit, Ernst; alles, was lachend und frölich ist, tödtet den Eindruck, den das Ganze machen soll. Eine
Bank,
Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.
4.
Weil man in Gaͤrten keine weitlaͤuftigen Gebirge, und ſelten rauh verwilderte Berge hat, worinn ſich nachgeahmte Einſiedeleyen verbergen koͤnnten; ſo legt man ſie am beſten in verwachſenen Winkeln und in ſchattigten Vertiefungen an, wo ſie den Charakter der Einſamkeit, den ſie verlangen, leichter gewinnen. Denn nichts kann ihrer Natur und Abſicht mehr widerſprechen, als wenn man ſie auf kleine offene Huͤ- gel oder auf freye Raſenplaͤtze, wo ſie von allen Seiten erblickt werden, verlegt; eine Anlage, die nicht unſchicklicher ſeyn kann, ob man ſie gleich noch oft genug antrifft. Eine ſehr gluͤckliche Lage iſt es, wenn ſie ſich an einen Berg oder an eine Felſenwand lehnen; und oft wird man in der Nachbarſchaft des Gartenreviers, in einer angraͤn- zenden Wildniß, einen mehr angemeſſenen Ort fuͤr ſie finden, als in dem Bezirk des Gartens ſelbſt. Die zunaͤchſt umliegende Gegend oder die Scene muß nichts Praͤch- tiges, nichts Reizendes noch Geſchmuͤcktes haben; ſondern nachlaͤßig und beſcheiden ſeyn, in ſtiller Einfalt, ohne Lebhaftigkeit und ohne auffallende Schoͤnheit. Ein ru- higes Gewaͤſſer oder eine Quelle mit leiſem Gemurmel iſt dem Charakter dieſer Scene ſehr gemaͤß. Man kann durch umhergepflanzte Baͤume von tief herabhangenden Zweigen und dunklem Laubwerk, durch dicke Gebuͤſche ihre Einſamkeit verſtaͤrken, und ihr Anſehen finſterer machen.
Das Gebaͤude mag aus Stein oder Holz beſtehen; nur muß die Zuſammen- ſetzung die hoͤchſte Einfalt und Nachlaͤßigkeit zeigen. Keine Kunſt, viel weniger ein Anſchein von Pracht; ſelbſt die Vernachlaͤßigung der Verhaͤltniſſe der Baukunſt iſt hier eher ein Verdienſt, als ein Fehler. Das ganze Anſehen muß Einfalt, Duͤrf- tigkeit, Verlaͤugnung ankuͤndigen. Ein Dach von Stroh oder Schiefer, rohe Pfei- ler, die es tragen, ein Gemaͤuer oder eine von leimigter Erde aufgefuͤhrte Wand, woran man die Spuren der Zeit und des Wetters, beſchaͤdigte Stellen und Ueberzuͤge von Moos wahrnimmt, eine Thuͤr, die, ohne Zierde zwiſchen den Pfoſten, blos die Oeffnung ſchließt, Fenſter mit truͤben oder bemalten Glasſcheiben — Alles dieſes bezeichnet die aͤußere Geſtalt der Einſiedeley.
Die innere Einrichtung iſt auf Reinlichkeit und unentbehrliche Bequemlichkeit eingeſchraͤnkt; daher keine Merkmale eines verfeinerten Geſchmacks, keine Einladung zur Weichlichkeit und zu irgend einer Art von wolluͤſtiger Behagung, keine reiche Ver- zierungen mit Gemaͤlden und ausgelegter Arbeit, die wider den Begriff der Duͤrftig- keit oder Maͤßigkeit ſtreiten. Ueberall Einfalt, Beſcheidenheit, Ernſt; alles, was lachend und froͤlich iſt, toͤdtet den Eindruck, den das Ganze machen ſoll. Eine
Bank,
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Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.
4.
Weil man in Gaͤrten keine weitlaͤuftigen Gebirge, und ſelten rauh verwilderte
Berge hat, worinn ſich nachgeahmte Einſiedeleyen verbergen koͤnnten; ſo legt man ſie
am beſten in verwachſenen Winkeln und in ſchattigten Vertiefungen an, wo ſie den
Charakter der Einſamkeit, den ſie verlangen, leichter gewinnen. Denn nichts kann
ihrer Natur und Abſicht mehr widerſprechen, als wenn man ſie auf kleine offene Huͤ-
gel oder auf freye Raſenplaͤtze, wo ſie von allen Seiten erblickt werden, verlegt; eine
Anlage, die nicht unſchicklicher ſeyn kann, ob man ſie gleich noch oft genug antrifft.
Eine ſehr gluͤckliche Lage iſt es, wenn ſie ſich an einen Berg oder an eine Felſenwand
lehnen; und oft wird man in der Nachbarſchaft des Gartenreviers, in einer angraͤn-
zenden Wildniß, einen mehr angemeſſenen Ort fuͤr ſie finden, als in dem Bezirk des
Gartens ſelbſt. Die zunaͤchſt umliegende Gegend oder die Scene muß nichts Praͤch-
tiges, nichts Reizendes noch Geſchmuͤcktes haben; ſondern nachlaͤßig und beſcheiden
ſeyn, in ſtiller Einfalt, ohne Lebhaftigkeit und ohne auffallende Schoͤnheit. Ein ru-
higes Gewaͤſſer oder eine Quelle mit leiſem Gemurmel iſt dem Charakter dieſer Scene
ſehr gemaͤß. Man kann durch umhergepflanzte Baͤume von tief herabhangenden
Zweigen und dunklem Laubwerk, durch dicke Gebuͤſche ihre Einſamkeit verſtaͤrken,
und ihr Anſehen finſterer machen.
Das Gebaͤude mag aus Stein oder Holz beſtehen; nur muß die Zuſammen-
ſetzung die hoͤchſte Einfalt und Nachlaͤßigkeit zeigen. Keine Kunſt, viel weniger ein
Anſchein von Pracht; ſelbſt die Vernachlaͤßigung der Verhaͤltniſſe der Baukunſt iſt
hier eher ein Verdienſt, als ein Fehler. Das ganze Anſehen muß Einfalt, Duͤrf-
tigkeit, Verlaͤugnung ankuͤndigen. Ein Dach von Stroh oder Schiefer, rohe Pfei-
ler, die es tragen, ein Gemaͤuer oder eine von leimigter Erde aufgefuͤhrte Wand,
woran man die Spuren der Zeit und des Wetters, beſchaͤdigte Stellen und Ueberzuͤge
von Moos wahrnimmt, eine Thuͤr, die, ohne Zierde zwiſchen den Pfoſten, blos die
Oeffnung ſchließt, Fenſter mit truͤben oder bemalten Glasſcheiben — Alles dieſes
bezeichnet die aͤußere Geſtalt der Einſiedeley.
Die innere Einrichtung iſt auf Reinlichkeit und unentbehrliche Bequemlichkeit
eingeſchraͤnkt; daher keine Merkmale eines verfeinerten Geſchmacks, keine Einladung
zur Weichlichkeit und zu irgend einer Art von wolluͤſtiger Behagung, keine reiche Ver-
zierungen mit Gemaͤlden und ausgelegter Arbeit, die wider den Begriff der Duͤrftig-
keit oder Maͤßigkeit ſtreiten. Ueberall Einfalt, Beſcheidenheit, Ernſt; alles, was
lachend und froͤlich iſt, toͤdtet den Eindruck, den das Ganze machen ſoll. Eine
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/107>, abgerufen am 17.02.2025.
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