Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.Vom Baumwerk. dd. Laube. Auch bey den Lauben verschwendete die alte Kunst die Symmetrie der Anord- Es ist auffallend, wie sehr alles dieses gegen die Natur anspringt. Lauben Ihr *) Verlornes Paradies, 4. B. nach Zachariäs Uebersetzung.
Vom Baumwerk. dd. Laube. Auch bey den Lauben verſchwendete die alte Kunſt die Symmetrie der Anord- Es iſt auffallend, wie ſehr alles dieſes gegen die Natur anſpringt. Lauben Ihr *) Verlornes Paradies, 4. B. nach Zachariaͤs Ueberſetzung.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb n="71" facs="#f0075"/> <fw type="header" place="top"> <hi rendition="#b">Vom Baumwerk.</hi> </fw><lb/> <div n="6"> <head><hi rendition="#aq">dd.</hi><lb/><hi rendition="#g">Laube</hi>.</head><lb/> <p>Auch bey den Lauben verſchwendete die alte Kunſt die Symmetrie der Anord-<lb/> nung und den Pomp der Verzierung. Sie wurden mit Gitterwerken, mit Bild-<lb/> hauerey und Vergoldung uͤberladen, und die gruͤnen Blaͤtter konnten kaum Platz vor<lb/> dem todten Holze finden. Man ſtellte ſie, wie Buden auf dem Marktplatze, mit<lb/> einer ſehr uͤbel angebrachten Genauigkeit gegen einander, und ließ ihren Eingang mit<lb/> Sphinxen, Drachen und andern widernatuͤrlichen und ſcheuslichen Bildern be-<lb/> wachen.</p><lb/> <p>Es iſt auffallend, wie ſehr alles dieſes gegen die Natur anſpringt. Lauben<lb/> ſind Ruheplaͤtze, dem Genuß der Beſchattung und Kuͤhlung, der Einſamkeit und<lb/> der geſelligen Zuſammenkunft, der Beſchaͤftigung des Geiſtes und dem Vergnuͤgen<lb/> der Tafel gewidmet. Sie verlangen eine ruhige Lage, von dem Getoͤſe ſowohl als<lb/> von der neugierigen Begaffung entfernet, eine reiche Ueberſchattung, und, wenn es die<lb/> Umſtaͤnde zulaſſen, eine kleine Ueberſicht von angenehm unterhaltenden Gegenſtaͤnden.<lb/> Die Natur bildet in waldigten Revieren von den dicken, ausgebreiteten und herabhangen-<lb/> den Decken des Laubwerks ihre Lauben. Eben die Freyheit und kunſtloſe Nachlaͤſſig-<lb/> keit, womit ſie bauet, ſoll der Gartenkuͤnſtler in ſeinem Werke nachzuahmen ſuchen.<lb/> Eine ungezwungene und edle Anlage der Baͤume und Gebuͤſche, freye Senkungen und<lb/> Wallungen des Laubes, Ueberwoͤlbungen zum Schatten, kleine Oeffnungen, wodurch<lb/> liebliche Lichter ſpielen, ein friſcher mit Blumen untermiſchter Raſen, erquickende<lb/> Wohlgeruͤche naher Geſtraͤuche und Pflanzen, ſind die vornehmſten Stuͤcke, auf wel-<lb/> che die Natur hinweiſet. Der Gartenkuͤnſtler ſoll ſie mit Geſchmack weiter auszubil-<lb/> den ſuchen, ohne ſie mit unſchicklichen Zuſaͤtzen und leeren Kuͤnſteleyen zu verunſtal-<lb/> ten. Die natuͤrliche Einfalt iſt der hoͤchſte Reiz der Lauben. Sie dulden keine<lb/> Pracht. Auf die Schoͤnheit der Blaͤtter und ihres Gruͤns, auf die Lieblichkeit der<lb/> Bluͤhten, auf die Anmuthigkeit des Schattens und der kleinen Spiele des durchbre-<lb/> chenden Lichts ſchraͤnkt ſich ihr Werth mit prunkloſer Beſcheidenheit ein. In<lb/> dieſem reinen Geſchmack der Natur ſchildert uns <hi rendition="#fr">Milton</hi> <note place="foot" n="*)">Verlornes Paradies, 4. B. nach Zachariaͤs Ueberſetzung.</note> die reizende Laube<lb/> der <hi rendition="#fr">Eva</hi>.</p><lb/> <fw type="catch" place="bottom">Ihr</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0075]
Vom Baumwerk.
dd.
Laube.
Auch bey den Lauben verſchwendete die alte Kunſt die Symmetrie der Anord-
nung und den Pomp der Verzierung. Sie wurden mit Gitterwerken, mit Bild-
hauerey und Vergoldung uͤberladen, und die gruͤnen Blaͤtter konnten kaum Platz vor
dem todten Holze finden. Man ſtellte ſie, wie Buden auf dem Marktplatze, mit
einer ſehr uͤbel angebrachten Genauigkeit gegen einander, und ließ ihren Eingang mit
Sphinxen, Drachen und andern widernatuͤrlichen und ſcheuslichen Bildern be-
wachen.
Es iſt auffallend, wie ſehr alles dieſes gegen die Natur anſpringt. Lauben
ſind Ruheplaͤtze, dem Genuß der Beſchattung und Kuͤhlung, der Einſamkeit und
der geſelligen Zuſammenkunft, der Beſchaͤftigung des Geiſtes und dem Vergnuͤgen
der Tafel gewidmet. Sie verlangen eine ruhige Lage, von dem Getoͤſe ſowohl als
von der neugierigen Begaffung entfernet, eine reiche Ueberſchattung, und, wenn es die
Umſtaͤnde zulaſſen, eine kleine Ueberſicht von angenehm unterhaltenden Gegenſtaͤnden.
Die Natur bildet in waldigten Revieren von den dicken, ausgebreiteten und herabhangen-
den Decken des Laubwerks ihre Lauben. Eben die Freyheit und kunſtloſe Nachlaͤſſig-
keit, womit ſie bauet, ſoll der Gartenkuͤnſtler in ſeinem Werke nachzuahmen ſuchen.
Eine ungezwungene und edle Anlage der Baͤume und Gebuͤſche, freye Senkungen und
Wallungen des Laubes, Ueberwoͤlbungen zum Schatten, kleine Oeffnungen, wodurch
liebliche Lichter ſpielen, ein friſcher mit Blumen untermiſchter Raſen, erquickende
Wohlgeruͤche naher Geſtraͤuche und Pflanzen, ſind die vornehmſten Stuͤcke, auf wel-
che die Natur hinweiſet. Der Gartenkuͤnſtler ſoll ſie mit Geſchmack weiter auszubil-
den ſuchen, ohne ſie mit unſchicklichen Zuſaͤtzen und leeren Kuͤnſteleyen zu verunſtal-
ten. Die natuͤrliche Einfalt iſt der hoͤchſte Reiz der Lauben. Sie dulden keine
Pracht. Auf die Schoͤnheit der Blaͤtter und ihres Gruͤns, auf die Lieblichkeit der
Bluͤhten, auf die Anmuthigkeit des Schattens und der kleinen Spiele des durchbre-
chenden Lichts ſchraͤnkt ſich ihr Werth mit prunkloſer Beſcheidenheit ein. In
dieſem reinen Geſchmack der Natur ſchildert uns Milton *) die reizende Laube
der Eva.
Ihr
*) Verlornes Paradies, 4. B. nach Zachariaͤs Ueberſetzung.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/75 |
Zitationshilfe: | Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/75>, abgerufen am 03.03.2025. |