Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Wasser.

Bäche empfehlen sich übrigens mit einem so mannichfaltigen Reiz, daß man
sich nicht genug über den seltsamen Geschmack verwundern kann, der ihnen so lange die
einförmigen und ekelhaften Canäle mit stehendem faulenden Wasser vorgezogen hat.
Indessen daß die Nationen in Europa, die am meisten auf Feinheit der Empfindung
Anspruch machen, sich an diesen Pfützen ergötzten, so empfieng der nach der Natur
denkende Schweizer, den sie so oft seiner Rohigkeit wegen verschrien, mit Gefühl
die hellen Bäche, die ihm von seinen Gebürgen zuflossen, um damit seine durch ihre
Einfalt reizenden Lustplätze zu beleben. Sie waren bey ihm eher, als bey den Brit-
ten
, eine Zierde der Gärten; denn bey ihm hatten sie nie ihre Vorrechte verloren.

[Abbildung]
8.
Wasserguß.

Lebhaftigkeit ist nach verschiedenen Graden der allgemeine Charakter der fallen-
den Wasser. Sie kündigen überall dem Ohre, auch wenn das Auge sie nicht ent-
deckt, ihre Gegenwart an, von dem leichten anmuthigen Geplätscher bis zu dem
wildbrausenden Getöse. Sie beleben die Landschaft nicht blos für das Auge, son-
dern auch zugleich für das Gehör; und ihre Eindrücke drängen sich verstärkt der Seele zu.

Der erste Begriff bey fallenden Wassern ist der, daß sie von einer Höhe kom-
men, von Hügeln, von Bergen, von Gebürgen, und von Felsen. Diese dienen

ihnen
II Band. P
Vom Waſſer.

Baͤche empfehlen ſich uͤbrigens mit einem ſo mannichfaltigen Reiz, daß man
ſich nicht genug uͤber den ſeltſamen Geſchmack verwundern kann, der ihnen ſo lange die
einfoͤrmigen und ekelhaften Canaͤle mit ſtehendem faulenden Waſſer vorgezogen hat.
Indeſſen daß die Nationen in Europa, die am meiſten auf Feinheit der Empfindung
Anſpruch machen, ſich an dieſen Pfuͤtzen ergoͤtzten, ſo empfieng der nach der Natur
denkende Schweizer, den ſie ſo oft ſeiner Rohigkeit wegen verſchrien, mit Gefuͤhl
die hellen Baͤche, die ihm von ſeinen Gebuͤrgen zufloſſen, um damit ſeine durch ihre
Einfalt reizenden Luſtplaͤtze zu beleben. Sie waren bey ihm eher, als bey den Brit-
ten
, eine Zierde der Gaͤrten; denn bey ihm hatten ſie nie ihre Vorrechte verloren.

[Abbildung]
8.
Waſſerguß.

Lebhaftigkeit iſt nach verſchiedenen Graden der allgemeine Charakter der fallen-
den Waſſer. Sie kuͤndigen uͤberall dem Ohre, auch wenn das Auge ſie nicht ent-
deckt, ihre Gegenwart an, von dem leichten anmuthigen Geplaͤtſcher bis zu dem
wildbrauſenden Getoͤſe. Sie beleben die Landſchaft nicht blos fuͤr das Auge, ſon-
dern auch zugleich fuͤr das Gehoͤr; und ihre Eindruͤcke draͤngen ſich verſtaͤrkt der Seele zu.

Der erſte Begriff bey fallenden Waſſern iſt der, daß ſie von einer Hoͤhe kom-
men, von Huͤgeln, von Bergen, von Gebuͤrgen, und von Felſen. Dieſe dienen

ihnen
II Band. P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <pb facs="#f0117" n="113"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vom Wa&#x017F;&#x017F;er.</hi> </fw><lb/>
          <p>Ba&#x0364;che empfehlen &#x017F;ich u&#x0364;brigens mit einem &#x017F;o mannichfaltigen Reiz, daß man<lb/>
&#x017F;ich nicht genug u&#x0364;ber den &#x017F;elt&#x017F;amen Ge&#x017F;chmack verwundern kann, der ihnen &#x017F;o lange die<lb/>
einfo&#x0364;rmigen und ekelhaften Cana&#x0364;le mit &#x017F;tehendem faulenden Wa&#x017F;&#x017F;er vorgezogen hat.<lb/>
Inde&#x017F;&#x017F;en daß die Nationen in <hi rendition="#fr">Europa</hi>, die am mei&#x017F;ten auf Feinheit der Empfindung<lb/>
An&#x017F;pruch machen, &#x017F;ich an die&#x017F;en Pfu&#x0364;tzen ergo&#x0364;tzten, &#x017F;o empfieng der nach der Natur<lb/>
denkende <hi rendition="#fr">Schweizer</hi>, den &#x017F;ie &#x017F;o oft &#x017F;einer Rohigkeit wegen ver&#x017F;chrien, mit Gefu&#x0364;hl<lb/>
die hellen Ba&#x0364;che, die ihm von &#x017F;einen Gebu&#x0364;rgen zuflo&#x017F;&#x017F;en, um damit &#x017F;eine durch ihre<lb/>
Einfalt reizenden Lu&#x017F;tpla&#x0364;tze zu beleben. Sie waren bey ihm eher, als bey den <hi rendition="#fr">Brit-<lb/>
ten</hi>, eine Zierde der Ga&#x0364;rten; denn bey ihm hatten &#x017F;ie nie ihre Vorrechte verloren.</p><lb/>
          <figure/>
        </div>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#b">8.<lb/><hi rendition="#g">Wa&#x017F;&#x017F;erguß</hi>.</hi> </head><lb/>
          <p>Lebhaftigkeit i&#x017F;t nach ver&#x017F;chiedenen Graden der allgemeine Charakter der fallen-<lb/>
den Wa&#x017F;&#x017F;er. Sie ku&#x0364;ndigen u&#x0364;berall dem Ohre, auch wenn das Auge &#x017F;ie nicht ent-<lb/>
deckt, ihre Gegenwart an, von dem leichten anmuthigen Gepla&#x0364;t&#x017F;cher bis zu dem<lb/>
wildbrau&#x017F;enden Geto&#x0364;&#x017F;e. Sie beleben die Land&#x017F;chaft nicht blos fu&#x0364;r das Auge, &#x017F;on-<lb/>
dern auch zugleich fu&#x0364;r das Geho&#x0364;r; und ihre Eindru&#x0364;cke dra&#x0364;ngen &#x017F;ich ver&#x017F;ta&#x0364;rkt der Seele zu.</p><lb/>
          <p>Der er&#x017F;te Begriff bey fallenden Wa&#x017F;&#x017F;ern i&#x017F;t der, daß &#x017F;ie von einer Ho&#x0364;he kom-<lb/>
men, von Hu&#x0364;geln, von Bergen, von Gebu&#x0364;rgen, und von Fel&#x017F;en. Die&#x017F;e dienen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> P</fw><fw place="bottom" type="catch">ihnen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0117] Vom Waſſer. Baͤche empfehlen ſich uͤbrigens mit einem ſo mannichfaltigen Reiz, daß man ſich nicht genug uͤber den ſeltſamen Geſchmack verwundern kann, der ihnen ſo lange die einfoͤrmigen und ekelhaften Canaͤle mit ſtehendem faulenden Waſſer vorgezogen hat. Indeſſen daß die Nationen in Europa, die am meiſten auf Feinheit der Empfindung Anſpruch machen, ſich an dieſen Pfuͤtzen ergoͤtzten, ſo empfieng der nach der Natur denkende Schweizer, den ſie ſo oft ſeiner Rohigkeit wegen verſchrien, mit Gefuͤhl die hellen Baͤche, die ihm von ſeinen Gebuͤrgen zufloſſen, um damit ſeine durch ihre Einfalt reizenden Luſtplaͤtze zu beleben. Sie waren bey ihm eher, als bey den Brit- ten, eine Zierde der Gaͤrten; denn bey ihm hatten ſie nie ihre Vorrechte verloren. [Abbildung] 8. Waſſerguß. Lebhaftigkeit iſt nach verſchiedenen Graden der allgemeine Charakter der fallen- den Waſſer. Sie kuͤndigen uͤberall dem Ohre, auch wenn das Auge ſie nicht ent- deckt, ihre Gegenwart an, von dem leichten anmuthigen Geplaͤtſcher bis zu dem wildbrauſenden Getoͤſe. Sie beleben die Landſchaft nicht blos fuͤr das Auge, ſon- dern auch zugleich fuͤr das Gehoͤr; und ihre Eindruͤcke draͤngen ſich verſtaͤrkt der Seele zu. Der erſte Begriff bey fallenden Waſſern iſt der, daß ſie von einer Hoͤhe kom- men, von Huͤgeln, von Bergen, von Gebuͤrgen, und von Felſen. Dieſe dienen ihnen II Band. P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/117
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/117>, abgerufen am 21.12.2024.