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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt. Von den verschiedenen Charakteren
jähling herüberstürzend über die Versperrung von Felsen, die sich seinem Lauf entge-
gensetzen, endlich in diesem engen Thale einen kleinen Raum, wo sein schäumendes
und zusammengedrängtes Wasser einen Augenblick der Ruhe genießen kann. Ein
Gehölz von alten grünen Eichen ragt über den sanften Abhang des Ufers herüber;
unter ihrem geheimnißvollen Schatten liegt ein Teppich von feinem Moos. Das
helle und wenig tiefe Wasser vermischt sich mit den krummen Stämmen, und seine
Wellen, die über den vielfarbigen Kiesel spielen, laden ein, sich darin abzukühlen;
Blumen von einfachem gewürzhaften Geruch, heilsame Kräuter, und das Harz wohl-
riechender Fichten, erfüllen die Luft mit balsamischen Düften. An dem Ausgange
des Eichenwaldes erblickt man mitten durch einen Baumgarten, dessen Bäume mit
Weinranken umschlungen und mit allen Arten von Früchten belastet sind, eine Hütte;
ihr strohernes Dach bedeckt und beherbergt alles Geräth der ländlichen Wirthschaft.
Die Hütte ist aus Tannenbretern von der Hand des Bewohners zusammengefügt;
anstatt der Ordnungen der Architektur bildet blos ein Weingeländer einen bedeckten
Gang; allein das Inwendige ist netter, als der Palast des Fürsten. Wenn die
Speisen hier nicht mit dem Gift aus Indien zubereitet sind, so sind sie doch ausge-
sucht, von einem reinen und gesunden Geschmack. Dieser ruhige Aufenthalt ward
von der Liebe aufgefunden, und wird von dem Glücke bewohnt." *)

Dies sind die romantischen Scenen, welche die Natur nur selten und in den ab-
gelegenen Winkeln, wo sie dem Menschen eine Zuflucht zur Freyheit und zur Ruhe
aufbewahrt, zu bilden pflegt, Scenen, die in der Natur selbst betrachtet werden
müssen, weil sie auch in der besten Beschreibung verlieren, und selbst den Nachbil-
dungen der Kunst ausweichen.

5.

Größe und Dunkelheit bilden die feyerliche (ernsthafte, erhabene, majestä-
tische)
Gegend. Daß die erste Eigenschaft zur Bestimmung dieses Charakters un-
entbehrlich ist, kann keinem Zweifel unterworfen seyn; allein auch die Dunkelheit ver-
stärkt seinen Eindruck, wie schon die Griechen in ihren Tempeln, wie schon die Drui-
den
in ihren Eichenwäldern empfanden. Die Stille, die einen erhabenen Gegen-
stand umschwebt, vermehrt das Feyerliche. Allein weil ein starkes Getöse, der
Sturm im Walde und auf dem Meere, das Toben der Wasserfälle, erhabene Em-
pfindungen erwecken, so gehören sie eben so, wie tiefe Stille, zum Ausdruck dieses
Charakters. Gebirge, Felsen, zumal wenn sie kahl oder dunkel und schwarz da liegen,

hohe
*) De la Composition des Paysages &c. S. 129-133.

Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren
jaͤhling heruͤberſtuͤrzend uͤber die Verſperrung von Felſen, die ſich ſeinem Lauf entge-
genſetzen, endlich in dieſem engen Thale einen kleinen Raum, wo ſein ſchaͤumendes
und zuſammengedraͤngtes Waſſer einen Augenblick der Ruhe genießen kann. Ein
Gehoͤlz von alten gruͤnen Eichen ragt uͤber den ſanften Abhang des Ufers heruͤber;
unter ihrem geheimnißvollen Schatten liegt ein Teppich von feinem Moos. Das
helle und wenig tiefe Waſſer vermiſcht ſich mit den krummen Staͤmmen, und ſeine
Wellen, die uͤber den vielfarbigen Kieſel ſpielen, laden ein, ſich darin abzukuͤhlen;
Blumen von einfachem gewuͤrzhaften Geruch, heilſame Kraͤuter, und das Harz wohl-
riechender Fichten, erfuͤllen die Luft mit balſamiſchen Duͤften. An dem Ausgange
des Eichenwaldes erblickt man mitten durch einen Baumgarten, deſſen Baͤume mit
Weinranken umſchlungen und mit allen Arten von Fruͤchten belaſtet ſind, eine Huͤtte;
ihr ſtrohernes Dach bedeckt und beherbergt alles Geraͤth der laͤndlichen Wirthſchaft.
Die Huͤtte iſt aus Tannenbretern von der Hand des Bewohners zuſammengefuͤgt;
anſtatt der Ordnungen der Architektur bildet blos ein Weingelaͤnder einen bedeckten
Gang; allein das Inwendige iſt netter, als der Palaſt des Fuͤrſten. Wenn die
Speiſen hier nicht mit dem Gift aus Indien zubereitet ſind, ſo ſind ſie doch ausge-
ſucht, von einem reinen und geſunden Geſchmack. Dieſer ruhige Aufenthalt ward
von der Liebe aufgefunden, und wird von dem Gluͤcke bewohnt.“ *)

Dies ſind die romantiſchen Scenen, welche die Natur nur ſelten und in den ab-
gelegenen Winkeln, wo ſie dem Menſchen eine Zuflucht zur Freyheit und zur Ruhe
aufbewahrt, zu bilden pflegt, Scenen, die in der Natur ſelbſt betrachtet werden
muͤſſen, weil ſie auch in der beſten Beſchreibung verlieren, und ſelbſt den Nachbil-
dungen der Kunſt ausweichen.

5.

Groͤße und Dunkelheit bilden die feyerliche (ernſthafte, erhabene, majeſtaͤ-
tiſche)
Gegend. Daß die erſte Eigenſchaft zur Beſtimmung dieſes Charakters un-
entbehrlich iſt, kann keinem Zweifel unterworfen ſeyn; allein auch die Dunkelheit ver-
ſtaͤrkt ſeinen Eindruck, wie ſchon die Griechen in ihren Tempeln, wie ſchon die Drui-
den
in ihren Eichenwaͤldern empfanden. Die Stille, die einen erhabenen Gegen-
ſtand umſchwebt, vermehrt das Feyerliche. Allein weil ein ſtarkes Getoͤſe, der
Sturm im Walde und auf dem Meere, das Toben der Waſſerfaͤlle, erhabene Em-
pfindungen erwecken, ſo gehoͤren ſie eben ſo, wie tiefe Stille, zum Ausdruck dieſes
Charakters. Gebirge, Felſen, zumal wenn ſie kahl oder dunkel und ſchwarz da liegen,

hohe
*) De la Compoſition des Payſages &c. S. 129-133.
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[220/0234] Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren jaͤhling heruͤberſtuͤrzend uͤber die Verſperrung von Felſen, die ſich ſeinem Lauf entge- genſetzen, endlich in dieſem engen Thale einen kleinen Raum, wo ſein ſchaͤumendes und zuſammengedraͤngtes Waſſer einen Augenblick der Ruhe genießen kann. Ein Gehoͤlz von alten gruͤnen Eichen ragt uͤber den ſanften Abhang des Ufers heruͤber; unter ihrem geheimnißvollen Schatten liegt ein Teppich von feinem Moos. Das helle und wenig tiefe Waſſer vermiſcht ſich mit den krummen Staͤmmen, und ſeine Wellen, die uͤber den vielfarbigen Kieſel ſpielen, laden ein, ſich darin abzukuͤhlen; Blumen von einfachem gewuͤrzhaften Geruch, heilſame Kraͤuter, und das Harz wohl- riechender Fichten, erfuͤllen die Luft mit balſamiſchen Duͤften. An dem Ausgange des Eichenwaldes erblickt man mitten durch einen Baumgarten, deſſen Baͤume mit Weinranken umſchlungen und mit allen Arten von Fruͤchten belaſtet ſind, eine Huͤtte; ihr ſtrohernes Dach bedeckt und beherbergt alles Geraͤth der laͤndlichen Wirthſchaft. Die Huͤtte iſt aus Tannenbretern von der Hand des Bewohners zuſammengefuͤgt; anſtatt der Ordnungen der Architektur bildet blos ein Weingelaͤnder einen bedeckten Gang; allein das Inwendige iſt netter, als der Palaſt des Fuͤrſten. Wenn die Speiſen hier nicht mit dem Gift aus Indien zubereitet ſind, ſo ſind ſie doch ausge- ſucht, von einem reinen und geſunden Geſchmack. Dieſer ruhige Aufenthalt ward von der Liebe aufgefunden, und wird von dem Gluͤcke bewohnt.“ *) Dies ſind die romantiſchen Scenen, welche die Natur nur ſelten und in den ab- gelegenen Winkeln, wo ſie dem Menſchen eine Zuflucht zur Freyheit und zur Ruhe aufbewahrt, zu bilden pflegt, Scenen, die in der Natur ſelbſt betrachtet werden muͤſſen, weil ſie auch in der beſten Beſchreibung verlieren, und ſelbſt den Nachbil- dungen der Kunſt ausweichen. 5. Groͤße und Dunkelheit bilden die feyerliche (ernſthafte, erhabene, majeſtaͤ- tiſche) Gegend. Daß die erſte Eigenſchaft zur Beſtimmung dieſes Charakters un- entbehrlich iſt, kann keinem Zweifel unterworfen ſeyn; allein auch die Dunkelheit ver- ſtaͤrkt ſeinen Eindruck, wie ſchon die Griechen in ihren Tempeln, wie ſchon die Drui- den in ihren Eichenwaͤldern empfanden. Die Stille, die einen erhabenen Gegen- ſtand umſchwebt, vermehrt das Feyerliche. Allein weil ein ſtarkes Getoͤſe, der Sturm im Walde und auf dem Meere, das Toben der Waſſerfaͤlle, erhabene Em- pfindungen erwecken, ſo gehoͤren ſie eben ſo, wie tiefe Stille, zum Ausdruck dieſes Charakters. Gebirge, Felſen, zumal wenn ſie kahl oder dunkel und ſchwarz da liegen, hohe *) De la Compoſition des Payſages &c. S. 129-133.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/234>, abgerufen am 21.11.2024.