Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Abschnitt. Von den verschiedenen Charakteren
schneller nach Feldblümchen in die nahe Wiese eilt, und da erreicht vom Stral der
Abendsonne verschönert dahinschimmert! Den schönsten Anblick gewährt das Wasser
von einer Anhöhe betrachtet, wenn es bald in lieblichen Krümmungen um ein Gehü-
gel, ein Gehölz, ein Gebüsch oder kleine Inseln, oder Dorfschaften und Meyerhöfe
seinen silbernen Strom schlängelt, bald von den Seiten eines herabhangenden Ber-
ges, von schattenwollen Gruppen von Bäumen, oder von einem Hain verdeckt hier
in einer dunkeln Tiefe schleicht, dort durch unerwartete Oeffnungen der Waldung blen-
dend hervorstralt: eine solche Scene in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, mit allen
Spielen der Wiederscheine, mit allen Schönheiten der Beleuchtung und der Beschat-
tung, von einer Anhöhe genossen, giebt Empfindungen, die alle Beschreibung
übersteigen.

Es ist fast keine Scene, deren Eindruck nicht durch Wasser erhöhet oder ge-
mildert, keine Bewegung, die nicht dadurch erweckt, oder unterdrückt, oder besänf-
tigt werden sollte; so allgemein ist die Kraft dieses Elements.

9.
Wiesen.

Wiesen, die zum Theil zu den Ebenen gehören, sind, selbst bey einer beträcht-
lichen Länge und Ausbreitung, keines erhabenen Charakters fähig; sie bleiben in dem
Bezirk einer mittlern Beschaffenheit und mäßiger Bewegungen. Indessen sind sie
überaus sanfte, ruhige und einnehmende Auftritte der Natur, deren Charakter in dem
Freyen und Ländlichen besteht; sie rufen die lieblichen Bilder der arkadischen Hirten-
welt zurück, und scheinen auf eine vorzügliche Art der Empfindung der Ruhe und der
stillen Ergötzung des Landlebens gewidmet zu seyn.

Die Schönheit der Wiesen besteht zuvörderst in den sanftgekrümmten Linien,
die ihren Umkreis bezeichnen. Alles Regelmäßige, Eckige, Scharfe muß von ihrer
Figur ausgeschlossen seyn; aber kleine Rundungen und mäßige Einbiegungen helfen
der Einförmigkeit mit dem Genuß der Abwechselung ab. Demnächst wird ihre
Schönheit durch das Lebhafte und Frische ihres Grüns, durch Unterbrechungen und
Schattirungen mit einzelnen Bäumen, und durch ihre Einfassung und Verbindung
mit Hügeln, Felsen und Gehölz bestimmt. Bey ausgebreiteten Wiesen fallen kleine
Unterbrechungen, die schon an sich den Ueberdruß des Einförmigen und Leeren hem-
men, sehr angenehm ins Auge; sie müssen aber kein niedriges Gesträuch und Busch-
werk seyn, sondern wenige, edel gewachsene, nicht zu nah zusammengedrängte Bäu-
me mit einem Laub, das gegen die Farbe der Wiese absticht. Nackte, rauhe, vor-

über-

Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren
ſchneller nach Feldbluͤmchen in die nahe Wieſe eilt, und da erreicht vom Stral der
Abendſonne verſchoͤnert dahinſchimmert! Den ſchoͤnſten Anblick gewaͤhrt das Waſſer
von einer Anhoͤhe betrachtet, wenn es bald in lieblichen Kruͤmmungen um ein Gehuͤ-
gel, ein Gehoͤlz, ein Gebuͤſch oder kleine Inſeln, oder Dorfſchaften und Meyerhoͤfe
ſeinen ſilbernen Strom ſchlaͤngelt, bald von den Seiten eines herabhangenden Ber-
ges, von ſchattenwollen Gruppen von Baͤumen, oder von einem Hain verdeckt hier
in einer dunkeln Tiefe ſchleicht, dort durch unerwartete Oeffnungen der Waldung blen-
dend hervorſtralt: eine ſolche Scene in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, mit allen
Spielen der Wiederſcheine, mit allen Schoͤnheiten der Beleuchtung und der Beſchat-
tung, von einer Anhoͤhe genoſſen, giebt Empfindungen, die alle Beſchreibung
uͤberſteigen.

Es iſt faſt keine Scene, deren Eindruck nicht durch Waſſer erhoͤhet oder ge-
mildert, keine Bewegung, die nicht dadurch erweckt, oder unterdruͤckt, oder beſaͤnf-
tigt werden ſollte; ſo allgemein iſt die Kraft dieſes Elements.

9.
Wieſen.

Wieſen, die zum Theil zu den Ebenen gehoͤren, ſind, ſelbſt bey einer betraͤcht-
lichen Laͤnge und Ausbreitung, keines erhabenen Charakters faͤhig; ſie bleiben in dem
Bezirk einer mittlern Beſchaffenheit und maͤßiger Bewegungen. Indeſſen ſind ſie
uͤberaus ſanfte, ruhige und einnehmende Auftritte der Natur, deren Charakter in dem
Freyen und Laͤndlichen beſteht; ſie rufen die lieblichen Bilder der arkadiſchen Hirten-
welt zuruͤck, und ſcheinen auf eine vorzuͤgliche Art der Empfindung der Ruhe und der
ſtillen Ergoͤtzung des Landlebens gewidmet zu ſeyn.

Die Schoͤnheit der Wieſen beſteht zuvoͤrderſt in den ſanftgekruͤmmten Linien,
die ihren Umkreis bezeichnen. Alles Regelmaͤßige, Eckige, Scharfe muß von ihrer
Figur ausgeſchloſſen ſeyn; aber kleine Rundungen und maͤßige Einbiegungen helfen
der Einfoͤrmigkeit mit dem Genuß der Abwechſelung ab. Demnaͤchſt wird ihre
Schoͤnheit durch das Lebhafte und Friſche ihres Gruͤns, durch Unterbrechungen und
Schattirungen mit einzelnen Baͤumen, und durch ihre Einfaſſung und Verbindung
mit Huͤgeln, Felſen und Gehoͤlz beſtimmt. Bey ausgebreiteten Wieſen fallen kleine
Unterbrechungen, die ſchon an ſich den Ueberdruß des Einfoͤrmigen und Leeren hem-
men, ſehr angenehm ins Auge; ſie muͤſſen aber kein niedriges Geſtraͤuch und Buſch-
werk ſeyn, ſondern wenige, edel gewachſene, nicht zu nah zuſammengedraͤngte Baͤu-
me mit einem Laub, das gegen die Farbe der Wieſe abſticht. Nackte, rauhe, vor-

uͤber-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <p><pb facs="#f0216" n="202"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweyter Ab&#x017F;chnitt. Von den ver&#x017F;chiedenen Charakteren</hi></fw><lb/>
&#x017F;chneller nach Feldblu&#x0364;mchen in die nahe Wie&#x017F;e eilt, und da erreicht vom Stral der<lb/>
Abend&#x017F;onne ver&#x017F;cho&#x0364;nert dahin&#x017F;chimmert! Den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Anblick gewa&#x0364;hrt das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
von einer Anho&#x0364;he betrachtet, wenn es bald in lieblichen Kru&#x0364;mmungen um ein Gehu&#x0364;-<lb/>
gel, ein Geho&#x0364;lz, ein Gebu&#x0364;&#x017F;ch oder kleine In&#x017F;eln, oder Dorf&#x017F;chaften und Meyerho&#x0364;fe<lb/>
&#x017F;einen &#x017F;ilbernen Strom &#x017F;chla&#x0364;ngelt, bald von den Seiten eines herabhangenden Ber-<lb/>
ges, von &#x017F;chattenwollen Gruppen von Ba&#x0364;umen, oder von einem Hain verdeckt hier<lb/>
in einer dunkeln Tiefe &#x017F;chleicht, dort durch unerwartete Oeffnungen der Waldung blen-<lb/>
dend hervor&#x017F;tralt: eine &#x017F;olche Scene in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, mit allen<lb/>
Spielen der Wieder&#x017F;cheine, mit allen Scho&#x0364;nheiten der Beleuchtung und der Be&#x017F;chat-<lb/>
tung, von einer Anho&#x0364;he geno&#x017F;&#x017F;en, giebt Empfindungen, die alle Be&#x017F;chreibung<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;teigen.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t fa&#x017F;t keine Scene, deren Eindruck nicht durch Wa&#x017F;&#x017F;er erho&#x0364;het oder ge-<lb/>
mildert, keine Bewegung, die nicht dadurch erweckt, oder unterdru&#x0364;ckt, oder be&#x017F;a&#x0364;nf-<lb/>
tigt werden &#x017F;ollte; &#x017F;o allgemein i&#x017F;t die Kraft die&#x017F;es Elements.</p>
          </div><lb/>
          <div n="4">
            <head> <hi rendition="#b">9.<lb/><hi rendition="#g">Wie&#x017F;en</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p>Wie&#x017F;en, die zum Theil zu den Ebenen geho&#x0364;ren, &#x017F;ind, &#x017F;elb&#x017F;t bey einer betra&#x0364;cht-<lb/>
lichen La&#x0364;nge und Ausbreitung, keines erhabenen Charakters fa&#x0364;hig; &#x017F;ie bleiben in dem<lb/>
Bezirk einer mittlern Be&#x017F;chaffenheit und ma&#x0364;ßiger Bewegungen. Inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/>
u&#x0364;beraus &#x017F;anfte, ruhige und einnehmende Auftritte der Natur, deren Charakter in dem<lb/>
Freyen und La&#x0364;ndlichen be&#x017F;teht; &#x017F;ie rufen die lieblichen Bilder der <hi rendition="#fr">arkadi&#x017F;chen</hi> Hirten-<lb/>
welt zuru&#x0364;ck, und &#x017F;cheinen auf eine vorzu&#x0364;gliche Art der Empfindung der Ruhe und der<lb/>
&#x017F;tillen Ergo&#x0364;tzung des Landlebens gewidmet zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Die Scho&#x0364;nheit der Wie&#x017F;en be&#x017F;teht zuvo&#x0364;rder&#x017F;t in den &#x017F;anftgekru&#x0364;mmten Linien,<lb/>
die ihren Umkreis bezeichnen. Alles Regelma&#x0364;ßige, Eckige, Scharfe muß von ihrer<lb/>
Figur ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn; aber kleine Rundungen und ma&#x0364;ßige Einbiegungen helfen<lb/>
der Einfo&#x0364;rmigkeit mit dem Genuß der Abwech&#x017F;elung ab. Demna&#x0364;ch&#x017F;t wird ihre<lb/>
Scho&#x0364;nheit durch das Lebhafte und Fri&#x017F;che ihres Gru&#x0364;ns, durch Unterbrechungen und<lb/>
Schattirungen mit einzelnen Ba&#x0364;umen, und durch ihre Einfa&#x017F;&#x017F;ung und Verbindung<lb/>
mit Hu&#x0364;geln, Fel&#x017F;en und Geho&#x0364;lz be&#x017F;timmt. Bey ausgebreiteten Wie&#x017F;en fallen kleine<lb/>
Unterbrechungen, die &#x017F;chon an &#x017F;ich den Ueberdruß des Einfo&#x0364;rmigen und Leeren hem-<lb/>
men, &#x017F;ehr angenehm ins Auge; &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aber kein niedriges Ge&#x017F;tra&#x0364;uch und Bu&#x017F;ch-<lb/>
werk &#x017F;eyn, &#x017F;ondern wenige, edel gewach&#x017F;ene, nicht zu nah zu&#x017F;ammengedra&#x0364;ngte Ba&#x0364;u-<lb/>
me mit einem Laub, das gegen die Farbe der Wie&#x017F;e ab&#x017F;ticht. Nackte, rauhe, vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">u&#x0364;ber-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0216] Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren ſchneller nach Feldbluͤmchen in die nahe Wieſe eilt, und da erreicht vom Stral der Abendſonne verſchoͤnert dahinſchimmert! Den ſchoͤnſten Anblick gewaͤhrt das Waſſer von einer Anhoͤhe betrachtet, wenn es bald in lieblichen Kruͤmmungen um ein Gehuͤ- gel, ein Gehoͤlz, ein Gebuͤſch oder kleine Inſeln, oder Dorfſchaften und Meyerhoͤfe ſeinen ſilbernen Strom ſchlaͤngelt, bald von den Seiten eines herabhangenden Ber- ges, von ſchattenwollen Gruppen von Baͤumen, oder von einem Hain verdeckt hier in einer dunkeln Tiefe ſchleicht, dort durch unerwartete Oeffnungen der Waldung blen- dend hervorſtralt: eine ſolche Scene in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, mit allen Spielen der Wiederſcheine, mit allen Schoͤnheiten der Beleuchtung und der Beſchat- tung, von einer Anhoͤhe genoſſen, giebt Empfindungen, die alle Beſchreibung uͤberſteigen. Es iſt faſt keine Scene, deren Eindruck nicht durch Waſſer erhoͤhet oder ge- mildert, keine Bewegung, die nicht dadurch erweckt, oder unterdruͤckt, oder beſaͤnf- tigt werden ſollte; ſo allgemein iſt die Kraft dieſes Elements. 9. Wieſen. Wieſen, die zum Theil zu den Ebenen gehoͤren, ſind, ſelbſt bey einer betraͤcht- lichen Laͤnge und Ausbreitung, keines erhabenen Charakters faͤhig; ſie bleiben in dem Bezirk einer mittlern Beſchaffenheit und maͤßiger Bewegungen. Indeſſen ſind ſie uͤberaus ſanfte, ruhige und einnehmende Auftritte der Natur, deren Charakter in dem Freyen und Laͤndlichen beſteht; ſie rufen die lieblichen Bilder der arkadiſchen Hirten- welt zuruͤck, und ſcheinen auf eine vorzuͤgliche Art der Empfindung der Ruhe und der ſtillen Ergoͤtzung des Landlebens gewidmet zu ſeyn. Die Schoͤnheit der Wieſen beſteht zuvoͤrderſt in den ſanftgekruͤmmten Linien, die ihren Umkreis bezeichnen. Alles Regelmaͤßige, Eckige, Scharfe muß von ihrer Figur ausgeſchloſſen ſeyn; aber kleine Rundungen und maͤßige Einbiegungen helfen der Einfoͤrmigkeit mit dem Genuß der Abwechſelung ab. Demnaͤchſt wird ihre Schoͤnheit durch das Lebhafte und Friſche ihres Gruͤns, durch Unterbrechungen und Schattirungen mit einzelnen Baͤumen, und durch ihre Einfaſſung und Verbindung mit Huͤgeln, Felſen und Gehoͤlz beſtimmt. Bey ausgebreiteten Wieſen fallen kleine Unterbrechungen, die ſchon an ſich den Ueberdruß des Einfoͤrmigen und Leeren hem- men, ſehr angenehm ins Auge; ſie muͤſſen aber kein niedriges Geſtraͤuch und Buſch- werk ſeyn, ſondern wenige, edel gewachſene, nicht zu nah zuſammengedraͤngte Baͤu- me mit einem Laub, das gegen die Farbe der Wieſe abſticht. Nackte, rauhe, vor- uͤber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/216
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/216>, abgerufen am 30.12.2024.