Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten der Alten und der Neuen.
I. Ursprung der Gärten.
Die Natur hatte den Menschen gebildet, die Freuden der schönen Jahrszeiten zu genießen, und die Vortheile des Landlebens mußten sich ihm bald zum frühen Genuß ankündigen. Aber die Spuren der Gartenkunst sind nur erst in den Zeiten des Lichts, der Ruhe und der gemilderten Sitten aufzusuchen. Was kann man hoffen, davon bey Völkern zu finden, die noch in dem Stande der ersten Wildheit leben, deren ganze Thätigkeit auf die Befriedigung ihrer vielen natürlichen Bedürf- nisse eingeschränkt ist, die von der Noth zur Jagd und zum unstäten Leben hingerissen werden? Eben so wenig können Gärten bey einem Volke empor kommen, das be- ständig in den Waffen steht, Unruhe sucht, wenn es sie nicht hat, und mehr Ver- gnügen in Anfällen und Herumschweifungen sindet, als in der Vertheidigung und dem Anbau einer Gegend. Auch alsdann, wenn der Mensch sich der rauhen Lebens- art entwöhnet, wenn er Sicherheit und Gemächlichkeit zu lieben anfängt, wenn er unter dem Schatten des Friedens sein Eigenthum bebauen und sich daran ergötzen lernt, gehört doch noch eine gewisse Verfeinerung seiner Sinne und seiner Gefühle dazu, ehe er Lustgärten von einiger Bedeutung anzulegen fähig seyn wird. Der Geist muß sich erst an die Scenen der Ruhe und der natürlichen Schönheit gewöhnet haben, das Auge zur Wahrnehmung landschaftlicher Reize geübt seyn, und das Herz sich leicht und gerne milden Eindrücken eröffnen. Ja, die Erfahrung lehrt, daß, wenn Zeitalter schon zu einem feinen Geschmacke gelangten, sie weit eher schöne Ge- bäude zu errichten und vortreffliche Gemälde auszuführen wußten, als Gärten wohl anzulegen; als wenn die Gartenkunst, die doch so nahe mit der Natur verwandt ist,
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Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten der Alten und der Neuen.
I. Urſprung der Gaͤrten.
Die Natur hatte den Menſchen gebildet, die Freuden der ſchoͤnen Jahrszeiten zu genießen, und die Vortheile des Landlebens mußten ſich ihm bald zum fruͤhen Genuß ankuͤndigen. Aber die Spuren der Gartenkunſt ſind nur erſt in den Zeiten des Lichts, der Ruhe und der gemilderten Sitten aufzuſuchen. Was kann man hoffen, davon bey Voͤlkern zu finden, die noch in dem Stande der erſten Wildheit leben, deren ganze Thaͤtigkeit auf die Befriedigung ihrer vielen natuͤrlichen Beduͤrf- niſſe eingeſchraͤnkt iſt, die von der Noth zur Jagd und zum unſtaͤten Leben hingeriſſen werden? Eben ſo wenig koͤnnen Gaͤrten bey einem Volke empor kommen, das be- ſtaͤndig in den Waffen ſteht, Unruhe ſucht, wenn es ſie nicht hat, und mehr Ver- gnuͤgen in Anfaͤllen und Herumſchweifungen ſindet, als in der Vertheidigung und dem Anbau einer Gegend. Auch alsdann, wenn der Menſch ſich der rauhen Lebens- art entwoͤhnet, wenn er Sicherheit und Gemaͤchlichkeit zu lieben anfaͤngt, wenn er unter dem Schatten des Friedens ſein Eigenthum bebauen und ſich daran ergoͤtzen lernt, gehoͤrt doch noch eine gewiſſe Verfeinerung ſeiner Sinne und ſeiner Gefuͤhle dazu, ehe er Luſtgaͤrten von einiger Bedeutung anzulegen faͤhig ſeyn wird. Der Geiſt muß ſich erſt an die Scenen der Ruhe und der natuͤrlichen Schoͤnheit gewoͤhnet haben, das Auge zur Wahrnehmung landſchaftlicher Reize geuͤbt ſeyn, und das Herz ſich leicht und gerne milden Eindruͤcken eroͤffnen. Ja, die Erfahrung lehrt, daß, wenn Zeitalter ſchon zu einem feinen Geſchmacke gelangten, ſie weit eher ſchoͤne Ge- baͤude zu errichten und vortreffliche Gemaͤlde auszufuͤhren wußten, als Gaͤrten wohl anzulegen; als wenn die Gartenkunſt, die doch ſo nahe mit der Natur verwandt iſt,
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Erſter Abſchnitt.
Ausſicht in die Gaͤrten der Alten und der Neuen.
I.
Urſprung der Gaͤrten.
Die Natur hatte den Menſchen gebildet, die Freuden der ſchoͤnen Jahrszeiten zu
genießen, und die Vortheile des Landlebens mußten ſich ihm bald zum fruͤhen
Genuß ankuͤndigen. Aber die Spuren der Gartenkunſt ſind nur erſt in den Zeiten
des Lichts, der Ruhe und der gemilderten Sitten aufzuſuchen. Was kann man
hoffen, davon bey Voͤlkern zu finden, die noch in dem Stande der erſten Wildheit
leben, deren ganze Thaͤtigkeit auf die Befriedigung ihrer vielen natuͤrlichen Beduͤrf-
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werden? Eben ſo wenig koͤnnen Gaͤrten bey einem Volke empor kommen, das be-
ſtaͤndig in den Waffen ſteht, Unruhe ſucht, wenn es ſie nicht hat, und mehr Ver-
gnuͤgen in Anfaͤllen und Herumſchweifungen ſindet, als in der Vertheidigung und
dem Anbau einer Gegend. Auch alsdann, wenn der Menſch ſich der rauhen Lebens-
art entwoͤhnet, wenn er Sicherheit und Gemaͤchlichkeit zu lieben anfaͤngt, wenn er
unter dem Schatten des Friedens ſein Eigenthum bebauen und ſich daran ergoͤtzen
lernt, gehoͤrt doch noch eine gewiſſe Verfeinerung ſeiner Sinne und ſeiner Gefuͤhle
dazu, ehe er Luſtgaͤrten von einiger Bedeutung anzulegen faͤhig ſeyn wird. Der
Geiſt muß ſich erſt an die Scenen der Ruhe und der natuͤrlichen Schoͤnheit gewoͤhnet
haben, das Auge zur Wahrnehmung landſchaftlicher Reize geuͤbt ſeyn, und das Herz
ſich leicht und gerne milden Eindruͤcken eroͤffnen. Ja, die Erfahrung lehrt, daß,
wenn Zeitalter ſchon zu einem feinen Geſchmacke gelangten, ſie weit eher ſchoͤne Ge-
baͤude zu errichten und vortreffliche Gemaͤlde auszufuͤhren wußten, als Gaͤrten wohl
anzulegen; als wenn die Gartenkunſt, die doch ſo nahe mit der Natur verwandt iſt,
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/17>, abgerufen am 03.03.2025.
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