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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt. Untersuchung des alten
2.

Was über den engländischen Geschmack bey der Erzählung von seiner Einfüh-
rung gesagt ist, lehrt schon, daß er, überhaupt genommen, der Geschmack der Natur
und der Vernunft ist, gerade den Künsteleyen und dem falschen Witz der alten Ma-
nier entgegengestellt. Indessen ist dieser Geschmack, bey der Auswahl der schönen
Gemälde der Natur, die mit Wahrheit und Simplicität zur Seele reden, bey den
freyen, anmuthigen und edlen Scenen und Anordnungen, die er sich eigen gemacht
hat, nicht ganz von Eigensinn und Ausschweifung frey. Hier sind nur einige Be-
merkungen; andere wird man an andern Stellen finden.

Man könnte fast sagen, daß in dem engländischen Geschmack das Natürliche,
so wie in den französischen Gärten das Künstliche, übertrieben wird. Die gar zu
besorgte Liebe des Natürlichen wird nicht allein Verschönerungen der Kunst, die noch
immer zuläßig sind, sondern sogar manchen Gegenständen der Natur selbst feindselig.
Man zieht wilde Stämme schönen Fruchtbäumen, ausländische Gewächse einhei-
mischem Baumwerk zu parteyisch vor. Man sucht alles zu sehr in die Wildniß
übergehen zu lassen, und die Gärten sind oft von gemeinen Feldern wenig unter-
schieden.

Man verwirft aus eben dieser gar zu ängstlichen Nachahmung der Natur alles,
was die nachhelfende Hand des Menschen verrathen könnte; man will nichts anders,
als in einer gebogenen Linie sehen, keine gerade Gänge, Alleen, Blumenbeete, die
bey der gehörigen Anlage und Einschränkung doch nichts haben, das wider das Na-
türliche streitet.

Man übertreibt dabey auf einer andern Seite wieder das Künstliche. Alle
Arten von Gebäuden alter und neuer Zeiten werden ohne Unterschied in die brittischen
Parks aufgenommen; und man erblickt nicht felten einen ägyptischen Obelisk, eine
griechische Rotunde, ein römisches Grabmal, eine gothische Kirche, eine türki-
sche
Moschee und einen chinesischen Tempel, aus einem einzigen Gesichtspunkt.
Man vergißt, bey der Vermengung so mancherley ausländischer Bauarten, die Un-
schicklichkeit und den Widerspruch der Bewegungen, die dadurch in der Seele erregt
werden. Man vergißt, daß Gebäude nicht blos zur Anfüllung eines Platzes, nicht
blos zur Bezeichnung und Verschönerung der Prospecte, welches in der That eine
noch zu unerhebliche Bestimmung seyn würde, dienen, daß sie nicht bloße Gegenstän-
de, sondern Gegenstände von einer Bedeutung und einem Charakter seyn sollen, der
mit dem Charakter des Landes und des Orts besonders harmonirt.

Die
Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten
2.

Was uͤber den englaͤndiſchen Geſchmack bey der Erzaͤhlung von ſeiner Einfuͤh-
rung geſagt iſt, lehrt ſchon, daß er, uͤberhaupt genommen, der Geſchmack der Natur
und der Vernunft iſt, gerade den Kuͤnſteleyen und dem falſchen Witz der alten Ma-
nier entgegengeſtellt. Indeſſen iſt dieſer Geſchmack, bey der Auswahl der ſchoͤnen
Gemaͤlde der Natur, die mit Wahrheit und Simplicitaͤt zur Seele reden, bey den
freyen, anmuthigen und edlen Scenen und Anordnungen, die er ſich eigen gemacht
hat, nicht ganz von Eigenſinn und Ausſchweifung frey. Hier ſind nur einige Be-
merkungen; andere wird man an andern Stellen finden.

Man koͤnnte faſt ſagen, daß in dem englaͤndiſchen Geſchmack das Natuͤrliche,
ſo wie in den franzoͤſiſchen Gaͤrten das Kuͤnſtliche, uͤbertrieben wird. Die gar zu
beſorgte Liebe des Natuͤrlichen wird nicht allein Verſchoͤnerungen der Kunſt, die noch
immer zulaͤßig ſind, ſondern ſogar manchen Gegenſtaͤnden der Natur ſelbſt feindſelig.
Man zieht wilde Staͤmme ſchoͤnen Fruchtbaͤumen, auslaͤndiſche Gewaͤchſe einhei-
miſchem Baumwerk zu parteyiſch vor. Man ſucht alles zu ſehr in die Wildniß
uͤbergehen zu laſſen, und die Gaͤrten ſind oft von gemeinen Feldern wenig unter-
ſchieden.

Man verwirft aus eben dieſer gar zu aͤngſtlichen Nachahmung der Natur alles,
was die nachhelfende Hand des Menſchen verrathen koͤnnte; man will nichts anders,
als in einer gebogenen Linie ſehen, keine gerade Gaͤnge, Alleen, Blumenbeete, die
bey der gehoͤrigen Anlage und Einſchraͤnkung doch nichts haben, das wider das Na-
tuͤrliche ſtreitet.

Man uͤbertreibt dabey auf einer andern Seite wieder das Kuͤnſtliche. Alle
Arten von Gebaͤuden alter und neuer Zeiten werden ohne Unterſchied in die brittiſchen
Parks aufgenommen; und man erblickt nicht felten einen aͤgyptiſchen Obelisk, eine
griechiſche Rotunde, ein roͤmiſches Grabmal, eine gothiſche Kirche, eine tuͤrki-
ſche
Moſchee und einen chineſiſchen Tempel, aus einem einzigen Geſichtspunkt.
Man vergißt, bey der Vermengung ſo mancherley auslaͤndiſcher Bauarten, die Un-
ſchicklichkeit und den Widerſpruch der Bewegungen, die dadurch in der Seele erregt
werden. Man vergißt, daß Gebaͤude nicht blos zur Anfuͤllung eines Platzes, nicht
blos zur Bezeichnung und Verſchoͤnerung der Proſpecte, welches in der That eine
noch zu unerhebliche Beſtimmung ſeyn wuͤrde, dienen, daß ſie nicht bloße Gegenſtaͤn-
de, ſondern Gegenſtaͤnde von einer Bedeutung und einem Charakter ſeyn ſollen, der
mit dem Charakter des Landes und des Orts beſonders harmonirt.

Die
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[142/0156] Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten 2. Was uͤber den englaͤndiſchen Geſchmack bey der Erzaͤhlung von ſeiner Einfuͤh- rung geſagt iſt, lehrt ſchon, daß er, uͤberhaupt genommen, der Geſchmack der Natur und der Vernunft iſt, gerade den Kuͤnſteleyen und dem falſchen Witz der alten Ma- nier entgegengeſtellt. Indeſſen iſt dieſer Geſchmack, bey der Auswahl der ſchoͤnen Gemaͤlde der Natur, die mit Wahrheit und Simplicitaͤt zur Seele reden, bey den freyen, anmuthigen und edlen Scenen und Anordnungen, die er ſich eigen gemacht hat, nicht ganz von Eigenſinn und Ausſchweifung frey. Hier ſind nur einige Be- merkungen; andere wird man an andern Stellen finden. Man koͤnnte faſt ſagen, daß in dem englaͤndiſchen Geſchmack das Natuͤrliche, ſo wie in den franzoͤſiſchen Gaͤrten das Kuͤnſtliche, uͤbertrieben wird. Die gar zu beſorgte Liebe des Natuͤrlichen wird nicht allein Verſchoͤnerungen der Kunſt, die noch immer zulaͤßig ſind, ſondern ſogar manchen Gegenſtaͤnden der Natur ſelbſt feindſelig. Man zieht wilde Staͤmme ſchoͤnen Fruchtbaͤumen, auslaͤndiſche Gewaͤchſe einhei- miſchem Baumwerk zu parteyiſch vor. Man ſucht alles zu ſehr in die Wildniß uͤbergehen zu laſſen, und die Gaͤrten ſind oft von gemeinen Feldern wenig unter- ſchieden. Man verwirft aus eben dieſer gar zu aͤngſtlichen Nachahmung der Natur alles, was die nachhelfende Hand des Menſchen verrathen koͤnnte; man will nichts anders, als in einer gebogenen Linie ſehen, keine gerade Gaͤnge, Alleen, Blumenbeete, die bey der gehoͤrigen Anlage und Einſchraͤnkung doch nichts haben, das wider das Na- tuͤrliche ſtreitet. Man uͤbertreibt dabey auf einer andern Seite wieder das Kuͤnſtliche. Alle Arten von Gebaͤuden alter und neuer Zeiten werden ohne Unterſchied in die brittiſchen Parks aufgenommen; und man erblickt nicht felten einen aͤgyptiſchen Obelisk, eine griechiſche Rotunde, ein roͤmiſches Grabmal, eine gothiſche Kirche, eine tuͤrki- ſche Moſchee und einen chineſiſchen Tempel, aus einem einzigen Geſichtspunkt. Man vergißt, bey der Vermengung ſo mancherley auslaͤndiſcher Bauarten, die Un- ſchicklichkeit und den Widerſpruch der Bewegungen, die dadurch in der Seele erregt werden. Man vergißt, daß Gebaͤude nicht blos zur Anfuͤllung eines Platzes, nicht blos zur Bezeichnung und Verſchoͤnerung der Proſpecte, welches in der That eine noch zu unerhebliche Beſtimmung ſeyn wuͤrde, dienen, daß ſie nicht bloße Gegenſtaͤn- de, ſondern Gegenſtaͤnde von einer Bedeutung und einem Charakter ſeyn ſollen, der mit dem Charakter des Landes und des Orts beſonders harmonirt. Die

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/156>, abgerufen am 21.11.2024.