Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

mathematische Probleme.
Formen mit beliebig vielen Variabeln und beliebigen algebraischen
Zahlencoefficienten erfolgreich in Angriff zu nehmen
. Damit gelangen
wir insbesondere zu der interessanten Aufgabe, eine vorgelegte
quadratische Gleichung beliebig vieler Variabeln mit algebraischen
Zahlencoefficienten in solchen ganzen oder gebrochenen Zahlen zu
lösen, die in dem durch die Coefficienten bestimmten algebraischen
Rationalitätsbereiche gelegen sind.


Den Uebergang zur Algebra und Functionentheorie möge das
folgende wichtige Problem bilden.

12. Ausdehnung des Kronekerschen Satzes über Abelsche Körper auf einen belie-
bigen algebraischen Rationalitätsbereich.

Von Kronecker rührt der Satz her, daß jeder Abelsche
Zahlkörper im Bereich der rationalen Zahlen durch Zusammen-
setzung aus Körpern von Einheitswurzeln entsteht. Dieser fun-
damentale Satz aus der Theorie der ganzzahligen Gleichungen ent-
hält zwei Aussagen, nämlich

erstens wird durch denselben die Frage nach der Anzahl
und Existenz derjenigen Gleichungen beantwortet, die einen vor-
geschriebenen Grad, eine vorgeschriebene Abelsche Gruppe und
eine vorgeschriebene Diskriminante in Bezug auf den Bereich der
rationalen Zahlen besitzen, und

zweitens wird behauptet, daß die Wurzeln solcher Glei-
chungen einen Bereich algebraischer Zahlen bilden, der genau mit
demjenigen Bereiche übereinstimmt, den man erhält, wenn man in
der Exponentialfunction eipz für das Argument z der Reihe nach
alle rationalen Zahlenwerte einträgt.

Die erste Aussage betrifft die Frage der Bestimmung ge-
wisser algebraischer Zahlen durch ihre Gruppe und ihre Verzwei-
gung; diese Frage entspricht also dem bekannten Problem der
Bestimmung algebraischer Functionen zu gegebener Riemann-
scher
Fläche. Die zweite Aussage liefert die verlangten Zahlen
durch ein transcendentes Mittel, nämlich durch die Exponential-
function eipz.

Da nächst dem Bereiche der rationalen Zahlen der Bereich
der imaginären quadratischen Zahlkörper der einfachste ist, so
entsteht die Aufgabe, den Kroneckerschen Satz auf diesen
Fall auszudehnen. Kronecker selbst hat die Behauptung aus-
gesprochen, daß die Abelschen Gleichungen im Bereiche eines
quadratischen Körpers durch die Transformationsgleichungen der
elliptischen Functionen mit singulären Moduln gegeben werden, so
daß hiernach die elliptische Function die Rolle der Exponential-

mathematische Probleme.
Formen mit beliebig vielen Variabeln und beliebigen algebraischen
Zahlencoefficienten erfolgreich in Angriff zu nehmen
. Damit gelangen
wir insbesondere zu der interessanten Aufgabe, eine vorgelegte
quadratische Gleichung beliebig vieler Variabeln mit algebraischen
Zahlencoefficienten in solchen ganzen oder gebrochenen Zahlen zu
lösen, die in dem durch die Coefficienten bestimmten algebraischen
Rationalitätsbereiche gelegen sind.


Den Uebergang zur Algebra und Functionentheorie möge das
folgende wichtige Problem bilden.

12. Ausdehnung des Kronekerschen Satzes über Abelsche Körper auf einen belie-
bigen algebraischen Rationalitätsbereich.

Von Kronecker rührt der Satz her, daß jeder Abelsche
Zahlkörper im Bereich der rationalen Zahlen durch Zusammen-
setzung aus Körpern von Einheitswurzeln entsteht. Dieser fun-
damentale Satz aus der Theorie der ganzzahligen Gleichungen ent-
hält zwei Aussagen, nämlich

erstens wird durch denselben die Frage nach der Anzahl
und Existenz derjenigen Gleichungen beantwortet, die einen vor-
geschriebenen Grad, eine vorgeschriebene Abelsche Gruppe und
eine vorgeschriebene Diskriminante in Bezug auf den Bereich der
rationalen Zahlen besitzen, und

zweitens wird behauptet, daß die Wurzeln solcher Glei-
chungen einen Bereich algebraischer Zahlen bilden, der genau mit
demjenigen Bereiche übereinstimmt, den man erhält, wenn man in
der Exponentialfunction eiπz für das Argument z der Reihe nach
alle rationalen Zahlenwerte einträgt.

Die erste Aussage betrifft die Frage der Bestimmung ge-
wisser algebraischer Zahlen durch ihre Gruppe und ihre Verzwei-
gung; diese Frage entspricht also dem bekannten Problem der
Bestimmung algebraischer Functionen zu gegebener Riemann-
scher
Fläche. Die zweite Aussage liefert die verlangten Zahlen
durch ein transcendentes Mittel, nämlich durch die Exponential-
function eiπz.

Da nächst dem Bereiche der rationalen Zahlen der Bereich
der imaginären quadratischen Zahlkörper der einfachste ist, so
entsteht die Aufgabe, den Kroneckerschen Satz auf diesen
Fall auszudehnen. Kronecker selbst hat die Behauptung aus-
gesprochen, daß die Abelschen Gleichungen im Bereiche eines
quadratischen Körpers durch die Transformationsgleichungen der
elliptischen Functionen mit singulären Moduln gegeben werden, so
daß hiernach die elliptische Function die Rolle der Exponential-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="277"/><fw place="top" type="header">mathematische Probleme.</fw><lb/><hi rendition="#i">Formen mit beliebig vielen Variabeln und beliebigen algebraischen<lb/>
Zahlencoefficienten erfolgreich in Angriff zu nehmen</hi>. Damit gelangen<lb/>
wir insbesondere zu der interessanten Aufgabe, eine vorgelegte<lb/>
quadratische Gleichung beliebig vieler Variabeln mit algebraischen<lb/>
Zahlencoefficienten in solchen ganzen oder gebrochenen Zahlen zu<lb/>
lösen, die in dem durch die Coefficienten bestimmten algebraischen<lb/>
Rationalitätsbereiche gelegen sind.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Den Uebergang zur Algebra und Functionentheorie möge das<lb/>
folgende wichtige Problem bilden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>12. Ausdehnung des Kronekerschen Satzes über Abelsche Körper auf einen belie-<lb/>
bigen algebraischen Rationalitätsbereich.</head><lb/>
          <p>Von <hi rendition="#g">Kronecker</hi> rührt der Satz her, daß jeder <hi rendition="#g">Abelsche</hi><lb/>
Zahlkörper im Bereich der rationalen Zahlen durch Zusammen-<lb/>
setzung aus Körpern von Einheitswurzeln entsteht. Dieser fun-<lb/>
damentale Satz aus der Theorie der ganzzahligen Gleichungen ent-<lb/>
hält zwei Aussagen, nämlich</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">erstens</hi> wird durch denselben die Frage nach der Anzahl<lb/>
und Existenz derjenigen Gleichungen beantwortet, die einen vor-<lb/>
geschriebenen Grad, eine vorgeschriebene <hi rendition="#g">Abelsche</hi> Gruppe und<lb/>
eine vorgeschriebene Diskriminante in Bezug auf den Bereich der<lb/>
rationalen Zahlen besitzen, und</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">zweitens</hi> wird behauptet, daß die Wurzeln solcher Glei-<lb/>
chungen einen Bereich algebraischer Zahlen bilden, der genau mit<lb/>
demjenigen Bereiche übereinstimmt, den man erhält, wenn man in<lb/>
der Exponentialfunction <hi rendition="#i">e<hi rendition="#sup">i&#x03C0;z</hi></hi> für das Argument <hi rendition="#i">z</hi> der Reihe nach<lb/>
alle rationalen Zahlenwerte einträgt.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">erste</hi> Aussage betrifft die Frage der Bestimmung ge-<lb/>
wisser algebraischer Zahlen durch ihre Gruppe und ihre Verzwei-<lb/>
gung; diese Frage entspricht also dem bekannten Problem der<lb/>
Bestimmung algebraischer Functionen zu gegebener <hi rendition="#g">Riemann-<lb/>
scher</hi> Fläche. Die <hi rendition="#g">zweite</hi> Aussage liefert die verlangten Zahlen<lb/>
durch ein transcendentes Mittel, nämlich durch die Exponential-<lb/>
function <hi rendition="#i">e<hi rendition="#sup">i&#x03C0;z</hi></hi>.</p><lb/>
          <p>Da nächst dem Bereiche der rationalen Zahlen der Bereich<lb/>
der imaginären quadratischen Zahlkörper der einfachste ist, so<lb/>
entsteht die Aufgabe, den <hi rendition="#g">Kroneckerschen</hi> Satz auf diesen<lb/>
Fall auszudehnen. <hi rendition="#g">Kronecker</hi> selbst hat die Behauptung aus-<lb/>
gesprochen, daß die <hi rendition="#g">Abelschen</hi> Gleichungen im Bereiche eines<lb/>
quadratischen Körpers durch die Transformationsgleichungen der<lb/>
elliptischen Functionen mit singulären Moduln gegeben werden, so<lb/>
daß hiernach die elliptische Function die Rolle der Exponential-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0033] mathematische Probleme. Formen mit beliebig vielen Variabeln und beliebigen algebraischen Zahlencoefficienten erfolgreich in Angriff zu nehmen. Damit gelangen wir insbesondere zu der interessanten Aufgabe, eine vorgelegte quadratische Gleichung beliebig vieler Variabeln mit algebraischen Zahlencoefficienten in solchen ganzen oder gebrochenen Zahlen zu lösen, die in dem durch die Coefficienten bestimmten algebraischen Rationalitätsbereiche gelegen sind. Den Uebergang zur Algebra und Functionentheorie möge das folgende wichtige Problem bilden. 12. Ausdehnung des Kronekerschen Satzes über Abelsche Körper auf einen belie- bigen algebraischen Rationalitätsbereich. Von Kronecker rührt der Satz her, daß jeder Abelsche Zahlkörper im Bereich der rationalen Zahlen durch Zusammen- setzung aus Körpern von Einheitswurzeln entsteht. Dieser fun- damentale Satz aus der Theorie der ganzzahligen Gleichungen ent- hält zwei Aussagen, nämlich erstens wird durch denselben die Frage nach der Anzahl und Existenz derjenigen Gleichungen beantwortet, die einen vor- geschriebenen Grad, eine vorgeschriebene Abelsche Gruppe und eine vorgeschriebene Diskriminante in Bezug auf den Bereich der rationalen Zahlen besitzen, und zweitens wird behauptet, daß die Wurzeln solcher Glei- chungen einen Bereich algebraischer Zahlen bilden, der genau mit demjenigen Bereiche übereinstimmt, den man erhält, wenn man in der Exponentialfunction eiπz für das Argument z der Reihe nach alle rationalen Zahlenwerte einträgt. Die erste Aussage betrifft die Frage der Bestimmung ge- wisser algebraischer Zahlen durch ihre Gruppe und ihre Verzwei- gung; diese Frage entspricht also dem bekannten Problem der Bestimmung algebraischer Functionen zu gegebener Riemann- scher Fläche. Die zweite Aussage liefert die verlangten Zahlen durch ein transcendentes Mittel, nämlich durch die Exponential- function eiπz. Da nächst dem Bereiche der rationalen Zahlen der Bereich der imaginären quadratischen Zahlkörper der einfachste ist, so entsteht die Aufgabe, den Kroneckerschen Satz auf diesen Fall auszudehnen. Kronecker selbst hat die Behauptung aus- gesprochen, daß die Abelschen Gleichungen im Bereiche eines quadratischen Körpers durch die Transformationsgleichungen der elliptischen Functionen mit singulären Moduln gegeben werden, so daß hiernach die elliptische Function die Rolle der Exponential-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900/33
Zitationshilfe: Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900/33>, abgerufen am 22.12.2024.