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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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mit Händewinken. Theurer Sor Gigi, sagte er, laßt
Euch nicht stören! wir kennen einander. -- Er sah
nun erst, daß die Augen des würdigen Mannes feucht
schimmerten und daß er nur im Essen fortfuhr, um
seine verlegene Freude nicht offenbar zu machen. Er
ist ein Sänger, raunte Bianchi seinem Begleiter zu,
der sich zu den Kirchen hält und bei Festen mitsingt.
Sie haben ihn scheeren wollen, weil er Bildung hat
und was vorstellt; aber er hat ihnen die Feige ge¬
boten. Das sind Alles freie Leute, so viel hier sitzen.
Kommt, mein Freund Gigi macht uns Platz neben sich.

Indessen kam der Bursch, fegte mit einem nicht
sehr saubern Tuche die Tischplatte und stellte die
große offne Flasche vor die Beiden. Theodor nahm
Platz, während Bianchi noch hie und da Hände zu
drücken und neugierigen Fragen zu antworten hatte.
Eine qualmende Messinglampe leuchtete mit ihren
drei rothen Flämmchen über den Tisch. Der junge
Mann brauchte einige Zeit, sich an den Dunst und
Tabacksdampf, durch den der Geruch des siedenden
Oels hinzog, zu gewöhnen. Bald aber vergaß er
Alles über dem Anblick eines auffallenden Paars, das
ihm gegenüber am Tisch saß. Es war ein junges
Mädchen in der Tracht derer von Albano; die rothe
Jacke umschloß knapp den eben erst gereiften Busen,
darüber war das Spitzentuch gefaltet und große sil¬
berne Nadeln hielten über den Flechten das flache

mit Händewinken. Theurer Sor Gigi, ſagte er, laßt
Euch nicht ſtören! wir kennen einander. — Er ſah
nun erſt, daß die Augen des würdigen Mannes feucht
ſchimmerten und daß er nur im Eſſen fortfuhr, um
ſeine verlegene Freude nicht offenbar zu machen. Er
iſt ein Sänger, raunte Bianchi ſeinem Begleiter zu,
der ſich zu den Kirchen hält und bei Feſten mitſingt.
Sie haben ihn ſcheeren wollen, weil er Bildung hat
und was vorſtellt; aber er hat ihnen die Feige ge¬
boten. Das ſind Alles freie Leute, ſo viel hier ſitzen.
Kommt, mein Freund Gigi macht uns Platz neben ſich.

Indeſſen kam der Burſch, fegte mit einem nicht
ſehr ſaubern Tuche die Tiſchplatte und ſtellte die
große offne Flaſche vor die Beiden. Theodor nahm
Platz, während Bianchi noch hie und da Hände zu
drücken und neugierigen Fragen zu antworten hatte.
Eine qualmende Meſſinglampe leuchtete mit ihren
drei rothen Flämmchen über den Tiſch. Der junge
Mann brauchte einige Zeit, ſich an den Dunſt und
Tabacksdampf, durch den der Geruch des ſiedenden
Oels hinzog, zu gewöhnen. Bald aber vergaß er
Alles über dem Anblick eines auffallenden Paars, das
ihm gegenüber am Tiſch ſaß. Es war ein junges
Mädchen in der Tracht derer von Albano; die rothe
Jacke umſchloß knapp den eben erſt gereiften Buſen,
darüber war das Spitzentuch gefaltet und große ſil¬
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[172/0184] mit Händewinken. Theurer Sor Gigi, ſagte er, laßt Euch nicht ſtören! wir kennen einander. — Er ſah nun erſt, daß die Augen des würdigen Mannes feucht ſchimmerten und daß er nur im Eſſen fortfuhr, um ſeine verlegene Freude nicht offenbar zu machen. Er iſt ein Sänger, raunte Bianchi ſeinem Begleiter zu, der ſich zu den Kirchen hält und bei Feſten mitſingt. Sie haben ihn ſcheeren wollen, weil er Bildung hat und was vorſtellt; aber er hat ihnen die Feige ge¬ boten. Das ſind Alles freie Leute, ſo viel hier ſitzen. Kommt, mein Freund Gigi macht uns Platz neben ſich. Indeſſen kam der Burſch, fegte mit einem nicht ſehr ſaubern Tuche die Tiſchplatte und ſtellte die große offne Flaſche vor die Beiden. Theodor nahm Platz, während Bianchi noch hie und da Hände zu drücken und neugierigen Fragen zu antworten hatte. Eine qualmende Meſſinglampe leuchtete mit ihren drei rothen Flämmchen über den Tiſch. Der junge Mann brauchte einige Zeit, ſich an den Dunſt und Tabacksdampf, durch den der Geruch des ſiedenden Oels hinzog, zu gewöhnen. Bald aber vergaß er Alles über dem Anblick eines auffallenden Paars, das ihm gegenüber am Tiſch ſaß. Es war ein junges Mädchen in der Tracht derer von Albano; die rothe Jacke umſchloß knapp den eben erſt gereiften Buſen, darüber war das Spitzentuch gefaltet und große ſil¬ berne Nadeln hielten über den Flechten das flache

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/184>, abgerufen am 26.04.2024.