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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Zweites Capitel.

In zwei Kammern des Pfarrhauses, die im obern
Geschoß nach Mitternacht gelegen waren, hatte man
die Kinder gebettet. Die Fenster waren in Erman¬
gelung der Läden mit dunkeln Tüchern sorglich ver¬
hangen, so daß vom hellsten Tage kaum ein Zwie¬
licht herein drang. Der geräumige stille Baumgarten
des Pfarrers verschattete zum Ueberfluß die Mauer
und hielt das Geräusch des täglichen Lebens fern.

Besonders für das Mädchen hatte der Arzt die
größte Vorsicht eingeschärft. Was an ihm gewesen,
sei geglückt. Nun müsse die Natur im Stillen das
Uebrige thun, und des Mädchens leicht erregbares
Wesen brauche der strengsten Pflege und Schonung.

Marlene war in der entscheidenden Stunde un¬
verzagt gewesen. Als ihre Mutter bei dem Schritt
des Arztes über den Flur in Weinen ausbrach, war
sie zu ihr getreten, um sie zu beschwichtigen.

Der Arzt fing mit dem Knaben an, der aufgeregt,
aber von gesundem Muth, niedersaß und Alles ertrug.
Nur wollte er nicht dulden, daß man ihn während
der Operation halte. Erst Marlenens Zureden bewog

Zweites Capitel.

In zwei Kammern des Pfarrhauſes, die im obern
Geſchoß nach Mitternacht gelegen waren, hatte man
die Kinder gebettet. Die Fenſter waren in Erman¬
gelung der Läden mit dunkeln Tüchern ſorglich ver¬
hangen, ſo daß vom hellſten Tage kaum ein Zwie¬
licht herein drang. Der geräumige ſtille Baumgarten
des Pfarrers verſchattete zum Ueberfluß die Mauer
und hielt das Geräuſch des täglichen Lebens fern.

Beſonders für das Mädchen hatte der Arzt die
größte Vorſicht eingeſchärft. Was an ihm geweſen,
ſei geglückt. Nun müſſe die Natur im Stillen das
Uebrige thun, und des Mädchens leicht erregbares
Weſen brauche der ſtrengſten Pflege und Schonung.

Marlene war in der entſcheidenden Stunde un¬
verzagt geweſen. Als ihre Mutter bei dem Schritt
des Arztes über den Flur in Weinen ausbrach, war
ſie zu ihr getreten, um ſie zu beſchwichtigen.

Der Arzt fing mit dem Knaben an, der aufgeregt,
aber von geſundem Muth, niederſaß und Alles ertrug.
Nur wollte er nicht dulden, daß man ihn während
der Operation halte. Erſt Marlenens Zureden bewog

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[10/0022] Zweites Capitel. In zwei Kammern des Pfarrhauſes, die im obern Geſchoß nach Mitternacht gelegen waren, hatte man die Kinder gebettet. Die Fenſter waren in Erman¬ gelung der Läden mit dunkeln Tüchern ſorglich ver¬ hangen, ſo daß vom hellſten Tage kaum ein Zwie¬ licht herein drang. Der geräumige ſtille Baumgarten des Pfarrers verſchattete zum Ueberfluß die Mauer und hielt das Geräuſch des täglichen Lebens fern. Beſonders für das Mädchen hatte der Arzt die größte Vorſicht eingeſchärft. Was an ihm geweſen, ſei geglückt. Nun müſſe die Natur im Stillen das Uebrige thun, und des Mädchens leicht erregbares Weſen brauche der ſtrengſten Pflege und Schonung. Marlene war in der entſcheidenden Stunde un¬ verzagt geweſen. Als ihre Mutter bei dem Schritt des Arztes über den Flur in Weinen ausbrach, war ſie zu ihr getreten, um ſie zu beſchwichtigen. Der Arzt fing mit dem Knaben an, der aufgeregt, aber von geſundem Muth, niederſaß und Alles ertrug. Nur wollte er nicht dulden, daß man ihn während der Operation halte. Erſt Marlenens Zureden bewog

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/22>, abgerufen am 23.11.2024.