Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn so wie wir den Unterschied einzelner Individuen nicht
aufheben können und wollen, so bleibt auch der Unterschied
zwischen den Ortsgruppen bestehen. Alles gliedert sich auf
natürliche Weise. Alle erworbenen Rechte werden geschützt,
jede neue Entwicklung erhält genügenden Spielraum.

Diese Dinge werden sämmtlich unseren Leuten deutlich
bekannt sein.

So wie wir die Anderen nicht überrumpeln oder betrügen,
so täuschen wir uns auch selbst nicht.

Von vornherein wird alles auf eine planvolle Art festgestellt
sein. An der Ausarbeitung dieses Planes, den ich nur
anzudeuten vermag, werden sich unsere scharfsinnigsten Köpfe
betheiligen. Alle socialwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften
der Zeit, in der wir leben, und der immer
höheren Zeit, in welche die langwierige Ausführung des Planes
fallen wird, sind für den Zweck zu verwenden. Alle glücklichen
Erfindungen, die schon da sind und die noch kommen werden,
sind zu benützen. So kann es eine in der Geschichte beispiellose
Form der Landnahme und Staatgründung werden, mit bisher
nicht dagewesenen Chancen des Gelingens.



Verfassung.

Eine der von der Society einzusetzenden grossen Commissionen
wird der Rath der Staatsjuristen sein. Diese müssen eine
möglichst gute moderne Verfassung zustandebringen. Ich glaube,
eine gute Verfassung soll von mässiger Elasticität sein. In einem
anderen Werke habe ich auseinandergesetzt, welche Staatsformen
mir als die besten erscheinen. Ich halte die demokratische
Monarchie und die aristokratische Republik für die feinsten
Formen des Staates. Staatsform und Regierungsprincip müssen
in einem ausgleichenden Gegensatze zu einander stehen. Ich
bin ein überzeugter Freund monarchischer Einrichtungen, weil
sie eine beständige Politik ermöglichen und das mit der Staatserhaltung
verknüpfte Interesse einer geschichtlich berühmten,
zum Herrschen geborenen und erzogenen Familie vorstellen.
Unsere Geschichte ist jedoch so lange unterbrochen gewesen,
dass wir an die Einrichtung nicht mehr anknüpfen können. Der
blosse Versuch unterläge dem Fluche der Lächerlichkeit.

Denn so wie wir den Unterschied einzelner Individuen nicht
aufheben können und wollen, so bleibt auch der Unterschied
zwischen den Ortsgruppen bestehen. Alles gliedert sich auf
natürliche Weise. Alle erworbenen Rechte werden geschützt,
jede neue Entwicklung erhält genügenden Spielraum.

Diese Dinge werden sämmtlich unseren Leuten deutlich
bekannt sein.

So wie wir die Anderen nicht überrumpeln oder betrügen,
so täuschen wir uns auch selbst nicht.

Von vornherein wird alles auf eine planvolle Art festgestellt
sein. An der Ausarbeitung dieses Planes, den ich nur
anzudeuten vermag, werden sich unsere scharfsinnigsten Köpfe
betheiligen. Alle socialwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften
der Zeit, in der wir leben, und der immer
höheren Zeit, in welche die langwierige Ausführung des Planes
fallen wird, sind für den Zweck zu verwenden. Alle glücklichen
Erfindungen, die schon da sind und die noch kommen werden,
sind zu benützen. So kann es eine in der Geschichte beispiellose
Form der Landnahme und Staatgründung werden, mit bisher
nicht dagewesenen Chancen des Gelingens.



Verfassung.

Eine der von der Society einzusetzenden grossen Commissionen
wird der Rath der Staatsjuristen sein. Diese müssen eine
möglichst gute moderne Verfassung zustandebringen. Ich glaube,
eine gute Verfassung soll von mässiger Elasticität sein. In einem
anderen Werke habe ich auseinandergesetzt, welche Staatsformen
mir als die besten erscheinen. Ich halte die demokratische
Monarchie und die aristokratische Republik für die feinsten
Formen des Staates. Staatsform und Regierungsprincip müssen
in einem ausgleichenden Gegensatze zu einander stehen. Ich
bin ein überzeugter Freund monarchischer Einrichtungen, weil
sie eine beständige Politik ermöglichen und das mit der Staatserhaltung
verknüpfte Interesse einer geschichtlich berühmten,
zum Herrschen geborenen und erzogenen Familie vorstellen.
Unsere Geschichte ist jedoch so lange unterbrochen gewesen,
dass wir an die Einrichtung nicht mehr anknüpfen können. Der
blosse Versuch unterläge dem Fluche der Lächerlichkeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073"/>
Denn so wie wir den Unterschied einzelner Individuen nicht<lb/>
aufheben können und wollen, so bleibt auch der Unterschied<lb/>
zwischen den Ortsgruppen bestehen. Alles gliedert sich auf<lb/>
natürliche Weise. Alle erworbenen Rechte werden geschützt,<lb/>
jede neue Entwicklung erhält genügenden Spielraum.<lb/></p>
          <p>Diese Dinge werden sämmtlich unseren Leuten deutlich<lb/>
bekannt sein.<lb/></p>
          <p>So wie wir die Anderen nicht überrumpeln oder betrügen,<lb/>
so täuschen wir uns auch selbst nicht.<lb/></p>
          <p>Von vornherein wird alles auf eine planvolle Art festgestellt<lb/>
sein. An der Ausarbeitung dieses Planes, den ich nur<lb/>
anzudeuten vermag, werden sich unsere scharfsinnigsten Köpfe<lb/>
betheiligen. Alle socialwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften<lb/>
der Zeit, in der wir leben, und der immer<lb/>
höheren Zeit, in welche die langwierige Ausführung des Planes<lb/>
fallen wird, sind für den Zweck zu verwenden. Alle glücklichen<lb/>
Erfindungen, die schon da sind und die noch kommen werden,<lb/>
sind zu benützen. So kann es eine in der Geschichte beispiellose<lb/>
Form der Landnahme und Staatgründung werden, mit bisher<lb/>
nicht dagewesenen Chancen des Gelingens.<lb/></p>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>Verfassung.<lb/></head>
          <p>Eine der von der Society einzusetzenden grossen Commissionen<lb/>
wird der Rath der Staatsjuristen sein. Diese müssen eine<lb/>
möglichst gute moderne Verfassung zustandebringen. Ich glaube,<lb/>
eine gute Verfassung soll von mässiger Elasticität sein. In einem<lb/>
anderen Werke habe ich auseinandergesetzt, welche Staatsformen<lb/>
mir als die besten erscheinen. Ich halte die demokratische<lb/>
Monarchie und die aristokratische Republik für die feinsten<lb/>
Formen des Staates. Staatsform und Regierungsprincip müssen<lb/>
in einem ausgleichenden Gegensatze zu einander stehen. Ich<lb/>
bin ein überzeugter Freund monarchischer Einrichtungen, weil<lb/>
sie eine beständige Politik ermöglichen und das mit der Staatserhaltung<lb/>
verknüpfte Interesse einer geschichtlich berühmten,<lb/>
zum Herrschen geborenen und erzogenen Familie vorstellen.<lb/>
Unsere Geschichte ist jedoch so lange unterbrochen gewesen,<lb/>
dass wir an die Einrichtung nicht mehr anknüpfen können. Der<lb/>
blosse Versuch unterläge dem Fluche der Lächerlichkeit.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] Denn so wie wir den Unterschied einzelner Individuen nicht aufheben können und wollen, so bleibt auch der Unterschied zwischen den Ortsgruppen bestehen. Alles gliedert sich auf natürliche Weise. Alle erworbenen Rechte werden geschützt, jede neue Entwicklung erhält genügenden Spielraum. Diese Dinge werden sämmtlich unseren Leuten deutlich bekannt sein. So wie wir die Anderen nicht überrumpeln oder betrügen, so täuschen wir uns auch selbst nicht. Von vornherein wird alles auf eine planvolle Art festgestellt sein. An der Ausarbeitung dieses Planes, den ich nur anzudeuten vermag, werden sich unsere scharfsinnigsten Köpfe betheiligen. Alle socialwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Zeit, in der wir leben, und der immer höheren Zeit, in welche die langwierige Ausführung des Planes fallen wird, sind für den Zweck zu verwenden. Alle glücklichen Erfindungen, die schon da sind und die noch kommen werden, sind zu benützen. So kann es eine in der Geschichte beispiellose Form der Landnahme und Staatgründung werden, mit bisher nicht dagewesenen Chancen des Gelingens. Verfassung. Eine der von der Society einzusetzenden grossen Commissionen wird der Rath der Staatsjuristen sein. Diese müssen eine möglichst gute moderne Verfassung zustandebringen. Ich glaube, eine gute Verfassung soll von mässiger Elasticität sein. In einem anderen Werke habe ich auseinandergesetzt, welche Staatsformen mir als die besten erscheinen. Ich halte die demokratische Monarchie und die aristokratische Republik für die feinsten Formen des Staates. Staatsform und Regierungsprincip müssen in einem ausgleichenden Gegensatze zu einander stehen. Ich bin ein überzeugter Freund monarchischer Einrichtungen, weil sie eine beständige Politik ermöglichen und das mit der Staatserhaltung verknüpfte Interesse einer geschichtlich berühmten, zum Herrschen geborenen und erzogenen Familie vorstellen. Unsere Geschichte ist jedoch so lange unterbrochen gewesen, dass wir an die Einrichtung nicht mehr anknüpfen können. Der blosse Versuch unterläge dem Fluche der Lächerlichkeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Austrian Literature Online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde beibehalten, die Silbentrennung aber wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/73
Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/73>, abgerufen am 30.12.2024.