Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.Die Gruppenwanderung. Unsere Leute sollen in Gruppen mit einander auswandern. Im Elend wird Keiner reisen. Dem eleganten Behagen Man wird sich also in den Mittelständen lange und sorgfältig Für die passende Unterkunft der Aermeren wird das Die Gruppenwanderung. Unsere Leute sollen in Gruppen mit einander auswandern. Im Elend wird Keiner reisen. Dem eleganten Behagen Man wird sich also in den Mittelständen lange und sorgfältig Für die passende Unterkunft der Aermeren wird das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0056"/> <div n="2"> <head>Die Gruppenwanderung.<lb/></head> <p>Unsere Leute sollen in Gruppen mit einander auswandern.<lb/> In Gruppen von Familien und Freunden. Niemand wird gezwungen,<lb/> sich der Gruppe seines bisherigen Wohnortes anzuschliessen.<lb/> Jeder kann, nachdem er seine Angelegenheiten<lb/> liquidirt hat, fahren, wie er will. Jeder thut es ja auf eigene<lb/> Kosten, in der Bahn- und Schiffsclasse, die ihm zusagt. Unsere<lb/> Bahnzüge und unsere Schiffe werden vielleicht nur eine Classe<lb/> haben. Der Unterschied des Besitzes belästigt auf so langen<lb/> Reisen die Aermeren. Und wenn wir auch unsere Leute nicht<lb/> zu einer Unterhaltung hinüberführen, wollen wir ihnen doch<lb/> nicht unterwegs die Laune verderben.<lb/></p> <p>Im Elend wird Keiner reisen. Dem eleganten Behagen<lb/> hingegen soll Alles möglich sein. Man wird sich schon lange<lb/> vorher verabreden – es wird ja im günstigsten Falle noch<lb/> Jahre dauern, bis die Bewegung in einzelnen Besitzclassen in<lb/> Fluss kommt – die Wohlhabenden werden zu Reisegesellschaften<lb/> zusammentreten. Man nimmt die persönlichen Beziehungen<lb/> sämmtlich mit. Wir wissen ja, dass von den Reichsten abgesehen,<lb/> die Juden fast gar keinen Verkehr mit Christen haben. In<lb/> manchen Ländern ist es so, dass der Jude, der sich nicht ein<lb/> paar Tafelschmarotzer, Borgbrüder und Judenknechte aushält,<lb/> überhaupt keinen Christen kennt. Das Ghetto besteht innerlich<lb/> fort.<lb/></p> <p>Man wird sich also in den Mittelständen lange und sorgfältig<lb/> zur Abreise vorbereiten. Jeder Ort bildet seine Gruppe.<lb/> In den grossen Städten bilden sich nach Bezirken mehrere, die<lb/> mit einander durch gewählte Vertreter verkehren. Diese Bezirkseintheilung<lb/> hat nichts Obligatorisches. Sie ist eigentlich nur als<lb/> Erleichterung für die Minderbemittelten gedacht, und um während<lb/> der Fahrt kein Unbehagen, kein Heimweh aufkommen zu lassen.<lb/> Jeder ist frei, allein zu fahren oder sich welcher Ortsgruppe<lb/> immer anzuschliessen. Die Bedingungen – nach Classen eingetheilt – sind<lb/> für alle gleich. Wenn eine Reisegesellschaft<lb/> sich zahlreich genug organisirt, bekommt sie von der Company<lb/> einen ganzen Bahnzug und dann ein ganzes Schiff.<lb/></p> <p>Für die passende Unterkunft der Aermeren wird das<lb/> Quartieramt der Company gesorgt haben. In dem späteren Zeitpunkt,<lb/> wo die Wohlhabenden wandern, wird das erkannte, weil<lb/> leicht vorauszusehende Bedürfniss schon die Hotelbauten freier<lb/> Unternehmer hervorgerufen haben. Auch werden ja die wohlhabenden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
Die Gruppenwanderung.
Unsere Leute sollen in Gruppen mit einander auswandern.
In Gruppen von Familien und Freunden. Niemand wird gezwungen,
sich der Gruppe seines bisherigen Wohnortes anzuschliessen.
Jeder kann, nachdem er seine Angelegenheiten
liquidirt hat, fahren, wie er will. Jeder thut es ja auf eigene
Kosten, in der Bahn- und Schiffsclasse, die ihm zusagt. Unsere
Bahnzüge und unsere Schiffe werden vielleicht nur eine Classe
haben. Der Unterschied des Besitzes belästigt auf so langen
Reisen die Aermeren. Und wenn wir auch unsere Leute nicht
zu einer Unterhaltung hinüberführen, wollen wir ihnen doch
nicht unterwegs die Laune verderben.
Im Elend wird Keiner reisen. Dem eleganten Behagen
hingegen soll Alles möglich sein. Man wird sich schon lange
vorher verabreden – es wird ja im günstigsten Falle noch
Jahre dauern, bis die Bewegung in einzelnen Besitzclassen in
Fluss kommt – die Wohlhabenden werden zu Reisegesellschaften
zusammentreten. Man nimmt die persönlichen Beziehungen
sämmtlich mit. Wir wissen ja, dass von den Reichsten abgesehen,
die Juden fast gar keinen Verkehr mit Christen haben. In
manchen Ländern ist es so, dass der Jude, der sich nicht ein
paar Tafelschmarotzer, Borgbrüder und Judenknechte aushält,
überhaupt keinen Christen kennt. Das Ghetto besteht innerlich
fort.
Man wird sich also in den Mittelständen lange und sorgfältig
zur Abreise vorbereiten. Jeder Ort bildet seine Gruppe.
In den grossen Städten bilden sich nach Bezirken mehrere, die
mit einander durch gewählte Vertreter verkehren. Diese Bezirkseintheilung
hat nichts Obligatorisches. Sie ist eigentlich nur als
Erleichterung für die Minderbemittelten gedacht, und um während
der Fahrt kein Unbehagen, kein Heimweh aufkommen zu lassen.
Jeder ist frei, allein zu fahren oder sich welcher Ortsgruppe
immer anzuschliessen. Die Bedingungen – nach Classen eingetheilt – sind
für alle gleich. Wenn eine Reisegesellschaft
sich zahlreich genug organisirt, bekommt sie von der Company
einen ganzen Bahnzug und dann ein ganzes Schiff.
Für die passende Unterkunft der Aermeren wird das
Quartieramt der Company gesorgt haben. In dem späteren Zeitpunkt,
wo die Wohlhabenden wandern, wird das erkannte, weil
leicht vorauszusehende Bedürfniss schon die Hotelbauten freier
Unternehmer hervorgerufen haben. Auch werden ja die wohlhabenden
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