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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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Dritter Abschnitt.


Es ist ein angenommener Satz unter den
Theoristen der schönen Künste, daß nur
die beiden feinern Sinne uns Jdeen des
Schönen gewähren, daß es also auch nur für sie,
für Auge und Ohr, schöne Künste gebe. Der
Satz ist demonstrirt, folglich muß er wahr seyn,
und da aus ihm so viel andre Sätze demonstrirt
sind, und das Kartenhäuschen der Theorie aller
schönen Künste und Wissenschaft doch so wohlbe-
stallt dasteht, "durch die Stäbe der Schreiber ge-
messen und geordnet": k) so soll mein Stab ihnen
mindstens nicht näher kommen, als der Bildsäule,
die ich betrachte, Raum zu stehen Noth ist.

Mich dünkt, P. Kastells Farbenklavier hat
gnug gezeigt, was eine schöne Kunst von Farben
fürs Gesicht sei und was sie für Würkung thue?
Es sind viel falsche oder Halbgründe angeführt,
warum diese Kunst nicht gelang? der wahre,
mindstens der natürlichste ist der, daß das Ge-
sicht ohne Beitrag wesentlicherer Sinne nur eine
Licht- und Farbentafel, mithin das flachste Ge-

danken-
k) Richt. 5, 14. 4 Mos. 21, 18.


Dritter Abſchnitt.


Es iſt ein angenommener Satz unter den
Theoriſten der ſchoͤnen Kuͤnſte, daß nur
die beiden feinern Sinne uns Jdeen des
Schoͤnen gewaͤhren, daß es alſo auch nur fuͤr ſie,
fuͤr Auge und Ohr, ſchoͤne Kuͤnſte gebe. Der
Satz iſt demonſtrirt, folglich muß er wahr ſeyn,
und da aus ihm ſo viel andre Saͤtze demonſtrirt
ſind, und das Kartenhaͤuschen der Theorie aller
ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaft doch ſo wohlbe-
ſtallt daſteht, „durch die Staͤbe der Schreiber ge-
meſſen und geordnet“: k) ſo ſoll mein Stab ihnen
mindſtens nicht naͤher kommen, als der Bildſaͤule,
die ich betrachte, Raum zu ſtehen Noth iſt.

Mich duͤnkt, P. Kaſtells Farbenklavier hat
gnug gezeigt, was eine ſchoͤne Kunſt von Farben
fuͤrs Geſicht ſei und was ſie fuͤr Wuͤrkung thue?
Es ſind viel falſche oder Halbgruͤnde angefuͤhrt,
warum dieſe Kunſt nicht gelang? der wahre,
mindſtens der natuͤrlichſte iſt der, daß das Ge-
ſicht ohne Beitrag weſentlicherer Sinne nur eine
Licht- und Farbentafel, mithin das flachſte Ge-

danken-
k) Richt. 5, 14. 4 Moſ. 21, 18.
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[62/0065] Dritter Abſchnitt. Es iſt ein angenommener Satz unter den Theoriſten der ſchoͤnen Kuͤnſte, daß nur die beiden feinern Sinne uns Jdeen des Schoͤnen gewaͤhren, daß es alſo auch nur fuͤr ſie, fuͤr Auge und Ohr, ſchoͤne Kuͤnſte gebe. Der Satz iſt demonſtrirt, folglich muß er wahr ſeyn, und da aus ihm ſo viel andre Saͤtze demonſtrirt ſind, und das Kartenhaͤuschen der Theorie aller ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaft doch ſo wohlbe- ſtallt daſteht, „durch die Staͤbe der Schreiber ge- meſſen und geordnet“: k) ſo ſoll mein Stab ihnen mindſtens nicht naͤher kommen, als der Bildſaͤule, die ich betrachte, Raum zu ſtehen Noth iſt. Mich duͤnkt, P. Kaſtells Farbenklavier hat gnug gezeigt, was eine ſchoͤne Kunſt von Farben fuͤrs Geſicht ſei und was ſie fuͤr Wuͤrkung thue? Es ſind viel falſche oder Halbgruͤnde angefuͤhrt, warum dieſe Kunſt nicht gelang? der wahre, mindſtens der natuͤrlichſte iſt der, daß das Ge- ſicht ohne Beitrag weſentlicherer Sinne nur eine Licht- und Farbentafel, mithin das flachſte Ge- danken- k) Richt. 5, 14. 4 Moſ. 21, 18.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/65>, abgerufen am 21.11.2024.