Ein Theil unsrer besten Gedichte ist halb Morgenländisch: ihr Muster ist die schöne Natur des Orients: sie borgen den Mor- genländern Sitten und Geschmack ab -- und so werden sie Originale. Wenn nicht neue; so liefern sie doch wenigstens fremde Bilder, Gesinnungen und Erdichtungen. Darf man sie prüfen? Es ist mißlich; denn wie oft vermengt man aus Dummheit oder Bosheit, das, was man an Dichtern tadelt, mit dem, was man in andern Gesichtspunkten gern annehmen will: das, was wir nachah- men, mit demjenigen, was wir glauben. Jndeß wage ichs; und kann es wagen, da insonderheit ein großer Mann in Deutschland, der Morgenländische Philologie und dichte- rischen Geschmack genug besitzt, um hievon zu urtheilen, in einigen Stücken öffentlich Bahn gebrochen hat.
Kö[n]-
Von den Deutſch - Orientaliſchen Dichtern.
1.
Ein Theil unſrer beſten Gedichte iſt halb Morgenlaͤndiſch: ihr Muſter iſt die ſchoͤne Natur des Orients: ſie borgen den Mor- genlaͤndern Sitten und Geſchmack ab — und ſo werden ſie Originale. Wenn nicht neue; ſo liefern ſie doch wenigſtens fremde Bilder, Geſinnungen und Erdichtungen. Darf man ſie pruͤfen? Es iſt mißlich; denn wie oft vermengt man aus Dummheit oder Bosheit, das, was man an Dichtern tadelt, mit dem, was man in andern Geſichtspunkten gern annehmen will: das, was wir nachah- men, mit demjenigen, was wir glauben. Jndeß wage ichs; und kann es wagen, da inſonderheit ein großer Mann in Deutſchland, der Morgenlaͤndiſche Philologie und dichte- riſchen Geſchmack genug beſitzt, um hievon zu urtheilen, in einigen Stuͤcken oͤffentlich Bahn gebrochen hat.
Koͤ[n]-
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[207/0039]
Von den Deutſch - Orientaliſchen
Dichtern.
1.
Ein Theil unſrer beſten Gedichte iſt halb
Morgenlaͤndiſch: ihr Muſter iſt die ſchoͤne
Natur des Orients: ſie borgen den Mor-
genlaͤndern Sitten und Geſchmack ab —
und ſo werden ſie Originale. Wenn nicht
neue; ſo liefern ſie doch wenigſtens fremde
Bilder, Geſinnungen und Erdichtungen.
Darf man ſie pruͤfen? Es iſt mißlich; denn
wie oft vermengt man aus Dummheit oder
Bosheit, das, was man an Dichtern tadelt,
mit dem, was man in andern Geſichtspunkten
gern annehmen will: das, was wir nachah-
men, mit demjenigen, was wir glauben.
Jndeß wage ichs; und kann es wagen, da
inſonderheit ein großer Mann in Deutſchland,
der Morgenlaͤndiſche Philologie und dichte-
riſchen Geſchmack genug beſitzt, um hievon
zu urtheilen, in einigen Stuͤcken oͤffentlich
Bahn gebrochen hat.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/39>, abgerufen am 16.07.2024.
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