Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
10.

Und nun die Uebersezzer aus dem Lateini-
schen!
Eine nützliche Bemerkung schreibe ich
her, * über die Verschiedenheit des Lateini-
schen und Deutschen Perioden.

"Jm Deutschen ist ein Stil schon Perio-
"disch, wenn auch die Bindewörter der La-
"teiner nicht so genau dazwischen gestellet,
"und die Absäzze so an einander gekettet sind.
"Die Römer musten dieses, wegen der Kürze
"ihrer Worte thun, wenn sie nicht in den
"abgeschnittenen Stil verfallen wollten. Oh-
"ne Artikel, ohne Hülfswörter, reich an Par-
"ticipien, fügte sich ihre Sprache so an einan-
"der, daß immer ein Satz in wenigen Worten
"da stand. Weil die Seele also wenige Zei-
"chen zu fassen hatte: so konnten auch die
"folgenden Begriffe eher angehängt werden,
"wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung
"den Autor zwang, lieber dem Geiste viel
"Ruhepläzze zu verschaffen, als das Ohr zu
"füllen. Jm Deutschen aber, welcher Un-

"ter-
* Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130.
F
10.

Und nun die Ueberſezzer aus dem Lateini-
ſchen!
Eine nuͤtzliche Bemerkung ſchreibe ich
her, * uͤber die Verſchiedenheit des Lateini-
ſchen und Deutſchen Perioden.

„Jm Deutſchen iſt ein Stil ſchon Perio-
„diſch, wenn auch die Bindewoͤrter der La-
„teiner nicht ſo genau dazwiſchen geſtellet,
„und die Abſaͤzze ſo an einander gekettet ſind.
„Die Roͤmer muſten dieſes, wegen der Kuͤrze
„ihrer Worte thun, wenn ſie nicht in den
„abgeſchnittenen Stil verfallen wollten. Oh-
„ne Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Par-
„ticipien, fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einan-
„der, daß immer ein Satz in wenigen Worten
„da ſtand. Weil die Seele alſo wenige Zei-
„chen zu faſſen hatte: ſo konnten auch die
„folgenden Begriffe eher angehaͤngt werden,
„wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung
„den Autor zwang, lieber dem Geiſte viel
„Ruheplaͤzze zu verſchaffen, als das Ohr zu
„fuͤllen. Jm Deutſchen aber, welcher Un-

„ter-
* Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130.
F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0085" n="81"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">10.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">U</hi>nd nun die Ueber&#x017F;ezzer aus dem <hi rendition="#fr">Lateini-<lb/>
&#x017F;chen!</hi> Eine nu&#x0364;tzliche Bemerkung &#x017F;chreibe ich<lb/>
her, <note place="foot" n="*">Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130.</note> u&#x0364;ber die Ver&#x017F;chiedenheit des Lateini-<lb/>
&#x017F;chen und Deut&#x017F;chen Perioden.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jm Deut&#x017F;chen i&#x017F;t ein Stil &#x017F;chon Perio-<lb/>
&#x201E;di&#x017F;ch, wenn auch die Bindewo&#x0364;rter der La-<lb/>
&#x201E;teiner nicht &#x017F;o genau dazwi&#x017F;chen ge&#x017F;tellet,<lb/>
&#x201E;und die Ab&#x017F;a&#x0364;zze &#x017F;o an einander gekettet &#x017F;ind.<lb/>
&#x201E;Die Ro&#x0364;mer mu&#x017F;ten die&#x017F;es, wegen der Ku&#x0364;rze<lb/>
&#x201E;ihrer Worte thun, wenn &#x017F;ie nicht in den<lb/>
&#x201E;abge&#x017F;chnittenen Stil verfallen wollten. Oh-<lb/>
&#x201E;ne Artikel, ohne Hu&#x0364;lfswo&#x0364;rter, reich an Par-<lb/>
&#x201E;ticipien, fu&#x0364;gte &#x017F;ich ihre Sprache &#x017F;o an einan-<lb/>
&#x201E;der, daß immer ein Satz in wenigen Worten<lb/>
&#x201E;da &#x017F;tand. Weil die Seele al&#x017F;o wenige Zei-<lb/>
&#x201E;chen zu fa&#x017F;&#x017F;en hatte: &#x017F;o konnten auch die<lb/>
&#x201E;folgenden Begriffe eher angeha&#x0364;ngt werden,<lb/>
&#x201E;wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung<lb/>
&#x201E;den Autor zwang, lieber dem Gei&#x017F;te viel<lb/>
&#x201E;Ruhepla&#x0364;zze zu ver&#x017F;chaffen, als das Ohr zu<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;llen. Jm Deut&#x017F;chen aber, welcher Un-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ter-</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0085] 10. Und nun die Ueberſezzer aus dem Lateini- ſchen! Eine nuͤtzliche Bemerkung ſchreibe ich her, * uͤber die Verſchiedenheit des Lateini- ſchen und Deutſchen Perioden. „Jm Deutſchen iſt ein Stil ſchon Perio- „diſch, wenn auch die Bindewoͤrter der La- „teiner nicht ſo genau dazwiſchen geſtellet, „und die Abſaͤzze ſo an einander gekettet ſind. „Die Roͤmer muſten dieſes, wegen der Kuͤrze „ihrer Worte thun, wenn ſie nicht in den „abgeſchnittenen Stil verfallen wollten. Oh- „ne Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Par- „ticipien, fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einan- „der, daß immer ein Satz in wenigen Worten „da ſtand. Weil die Seele alſo wenige Zei- „chen zu faſſen hatte: ſo konnten auch die „folgenden Begriffe eher angehaͤngt werden, „wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung „den Autor zwang, lieber dem Geiſte viel „Ruheplaͤzze zu verſchaffen, als das Ohr zu „fuͤllen. Jm Deutſchen aber, welcher Un- „ter- * Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/85
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/85>, abgerufen am 30.12.2024.