"Leser unwillig, verdrüßlich: man muß Stellen, "Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone seines "Gedichts zu bleiben." O göttlicher Sänger! wenn du auflebest, so gieb doch erst deinen Lesern Ohr: gieb ihnen Musik der Seele!
Die Kritik über den ehrwürdig lächerlichen Pa- ter Ceva mit seinem Jesuskindlein a) kann ich über- gehen; sie gehört nicht hieher, denn Ceva wollte schon so ein heroischkomisches Gedicht, oder lieber ein Nar- rengemische, schreiben: und welche Ehre! wenn ein Ceva zwischen Homer und Lope di Vega und Milton stehet! -- So kann ich auch die lange Schuldeklamation wider die geschmacklosen Ken- ner der Alten b) überschlagen: die Gelegenheit, die sie an diesen Ort gebracht, scheint sie -- -- doch wer will deuten? -- Ein Glück ists, in einem Buche, wie die homerischen Briefe, wieder zwölf Seiten weg schlagen können; und siehe! es war Nichts! Nichts für Homer; für Wissenschaft, für Geschmack Nichts! --
5.
Statt uns homerische Betrachtungen mitzu- theilen, schüttet Hr. Kl. einen locum communem aus seinem Collektaneenbuche: ob es uns frei stehe, heidnische Mythologien in Gedichten zu adopti-
ren
a)p. 36. &c.
b)p. 44-55.
Kritiſche Waͤlder.
„Leſer unwillig, verdruͤßlich: man muß Stellen, „Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone ſeines „Gedichts zu bleiben.„ O goͤttlicher Saͤnger! wenn du auflebeſt, ſo gieb doch erſt deinen Leſern Ohr: gieb ihnen Muſik der Seele!
Die Kritik uͤber den ehrwuͤrdig laͤcherlichen Pa- ter Ceva mit ſeinem Jeſuskindlein a) kann ich uͤber- gehen; ſie gehoͤrt nicht hieher, denn Ceva wollte ſchon ſo ein heroiſchkomiſches Gedicht, oder lieber ein Nar- rengemiſche, ſchreiben: und welche Ehre! wenn ein Ceva zwiſchen Homer und Lope di Vega und Milton ſtehet! — So kann ich auch die lange Schuldeklamation wider die geſchmackloſen Ken- ner der Alten b) uͤberſchlagen: die Gelegenheit, die ſie an dieſen Ort gebracht, ſcheint ſie — — doch wer will deuten? — Ein Gluͤck iſts, in einem Buche, wie die homeriſchen Briefe, wieder zwoͤlf Seiten weg ſchlagen koͤnnen; und ſiehe! es war Nichts! Nichts fuͤr Homer; fuͤr Wiſſenſchaft, fuͤr Geſchmack Nichts! —
5.
Statt uns homeriſche Betrachtungen mitzu- theilen, ſchuͤttet Hr. Kl. einen locum communem aus ſeinem Collektaneenbuche: ob es uns frei ſtehe, heidniſche Mythologien in Gedichten zu adopti-
ren
a)p. 36. &c.
b)p. 44-55.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0060"n="54"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/>„Leſer unwillig, verdruͤßlich: man muß Stellen,<lb/>„Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone ſeines<lb/>„Gedichts zu bleiben.„ O goͤttlicher Saͤnger!<lb/>
wenn du auflebeſt, ſo gieb doch erſt deinen Leſern<lb/>
Ohr: gieb ihnen Muſik der Seele!</p><lb/><p>Die Kritik uͤber den ehrwuͤrdig laͤcherlichen Pa-<lb/>
ter Ceva mit ſeinem Jeſuskindlein <noteplace="foot"n="a)"><hirendition="#aq">p.</hi> 36. &c.</note> kann ich uͤber-<lb/>
gehen; ſie gehoͤrt nicht hieher, denn Ceva wollte ſchon<lb/>ſo ein heroiſchkomiſches Gedicht, oder lieber ein Nar-<lb/>
rengemiſche, ſchreiben: und welche Ehre! wenn ein<lb/>
Ceva zwiſchen <hirendition="#fr">Homer</hi> und <hirendition="#fr">Lope</hi> di <hirendition="#fr">Vega</hi> und<lb/><hirendition="#fr">Milton</hi>ſtehet! — So kann ich auch die lange<lb/>
Schuldeklamation wider die geſchmackloſen Ken-<lb/>
ner der Alten <noteplace="foot"n="b)"><hirendition="#aq">p.</hi> 44-55.</note> uͤberſchlagen: die Gelegenheit, die<lb/>ſie an dieſen Ort gebracht, ſcheint ſie —— doch<lb/>
wer will deuten? — Ein Gluͤck iſts, in einem<lb/>
Buche, wie die homeriſchen Briefe, wieder zwoͤlf<lb/>
Seiten weg ſchlagen koͤnnen; und ſiehe! es war<lb/>
Nichts! Nichts fuͤr Homer; fuͤr Wiſſenſchaft, fuͤr<lb/>
Geſchmack Nichts! —</p></div><lb/><divn="2"><head>5.</head><lb/><p>Statt uns homeriſche Betrachtungen mitzu-<lb/>
theilen, ſchuͤttet Hr. Kl. einen <hirendition="#aq">locum communem</hi><lb/>
aus ſeinem Collektaneenbuche: ob es uns frei ſtehe,<lb/>
heidniſche Mythologien in Gedichten zu adopti-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ren</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[54/0060]
Kritiſche Waͤlder.
„Leſer unwillig, verdruͤßlich: man muß Stellen,
„Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone ſeines
„Gedichts zu bleiben.„ O goͤttlicher Saͤnger!
wenn du auflebeſt, ſo gieb doch erſt deinen Leſern
Ohr: gieb ihnen Muſik der Seele!
Die Kritik uͤber den ehrwuͤrdig laͤcherlichen Pa-
ter Ceva mit ſeinem Jeſuskindlein a) kann ich uͤber-
gehen; ſie gehoͤrt nicht hieher, denn Ceva wollte ſchon
ſo ein heroiſchkomiſches Gedicht, oder lieber ein Nar-
rengemiſche, ſchreiben: und welche Ehre! wenn ein
Ceva zwiſchen Homer und Lope di Vega und
Milton ſtehet! — So kann ich auch die lange
Schuldeklamation wider die geſchmackloſen Ken-
ner der Alten b) uͤberſchlagen: die Gelegenheit, die
ſie an dieſen Ort gebracht, ſcheint ſie — — doch
wer will deuten? — Ein Gluͤck iſts, in einem
Buche, wie die homeriſchen Briefe, wieder zwoͤlf
Seiten weg ſchlagen koͤnnen; und ſiehe! es war
Nichts! Nichts fuͤr Homer; fuͤr Wiſſenſchaft, fuͤr
Geſchmack Nichts! —
5.
Statt uns homeriſche Betrachtungen mitzu-
theilen, ſchuͤttet Hr. Kl. einen locum communem
aus ſeinem Collektaneenbuche: ob es uns frei ſtehe,
heidniſche Mythologien in Gedichten zu adopti-
ren
a) p. 36. &c.
b) p. 44-55.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/60>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.