Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
blos "Eigenschaft des Geschmacks in der und jener
"Schule" und also eine Kakozelie seyn, an der es
den Griechen bei ihrem Pauson und Pyreicus auch
nicht fehlte? die Frage wird sich im folgenden mehr
ergeben. "Wenn man in einzelnen Fällen den
"Maler und Dichter (und also auch die Kunst
"zwoer Zeiten) mit einander vergleichen will, so
"muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie
"beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie oh-
"ne allen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer
"Kunst haben arbeiten können a)." Und wer hat
hier in einer freiern Luft geathmet?

7.

"Ein äußerlicher Zwang war bei dem alten
"Künstler öfters die Religion." Bacchus mit
Hörnern ist Lessingen b) hier das erste Beispiel, das
ihn auch scheint auf diese so wahre Ausnahme ge-
bracht zu haben. "Bacchus mit Hörnern! in der
"That sagt Hr. L. sind solche natürliche Hörner eine
"Schändung der menschlichen Gestalt, und können
"nur Wesen geziemen, denen man eine Art von
"Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ertheil-
"te." Und sorgfältiger kann nicht ein Freund be-
dacht seyn, seinem Freunde die Hörner von der
Stirne wegzuschaffen, als Hr. L. für seinen schö-
nen Bacchus besorgt ist.

Er
a) p. 162.
b) Laok. p. 103.

Erſtes Waͤldchen.
blos „Eigenſchaft des Geſchmacks in der und jener
„Schule„ und alſo eine Kakozelie ſeyn, an der es
den Griechen bei ihrem Pauſon und Pyreicus auch
nicht fehlte? die Frage wird ſich im folgenden mehr
ergeben. „Wenn man in einzelnen Faͤllen den
„Maler und Dichter (und alſo auch die Kunſt
„zwoer Zeiten) mit einander vergleichen will, ſo
„muß man vor allen Dingen wohl zuſehen, ob ſie
„beide ihre voͤllige Freiheit gehabt haben, ob ſie oh-
„ne allen Zwang auf die hoͤchſte Wirkung ihrer
„Kunſt haben arbeiten koͤnnen a).„ Und wer hat
hier in einer freiern Luft geathmet?

7.

„Ein aͤußerlicher Zwang war bei dem alten
„Kuͤnſtler oͤfters die Religion.„ Bacchus mit
Hoͤrnern iſt Leſſingen b) hier das erſte Beiſpiel, das
ihn auch ſcheint auf dieſe ſo wahre Ausnahme ge-
bracht zu haben. „Bacchus mit Hoͤrnern! in der
„That ſagt Hr. L. ſind ſolche natuͤrliche Hoͤrner eine
„Schaͤndung der menſchlichen Geſtalt, und koͤnnen
„nur Weſen geziemen, denen man eine Art von
„Mittelgeſtalt zwiſchen Menſchen und Thier ertheil-
„te.„ Und ſorgfaͤltiger kann nicht ein Freund be-
dacht ſeyn, ſeinem Freunde die Hoͤrner von der
Stirne wegzuſchaffen, als Hr. L. fuͤr ſeinen ſchoͤ-
nen Bacchus beſorgt iſt.

Er
a) p. 162.
b) Laok. p. 103.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="91"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
blos &#x201E;Eigen&#x017F;chaft des Ge&#x017F;chmacks in der und jener<lb/>
&#x201E;Schule&#x201E; und al&#x017F;o eine Kakozelie &#x017F;eyn, an der es<lb/>
den Griechen bei ihrem Pau&#x017F;on und Pyreicus auch<lb/>
nicht fehlte? die Frage wird &#x017F;ich im folgenden mehr<lb/>
ergeben. &#x201E;Wenn man in einzelnen Fa&#x0364;llen den<lb/>
&#x201E;Maler und Dichter (und al&#x017F;o auch die Kun&#x017F;t<lb/>
&#x201E;zwoer Zeiten) mit einander vergleichen will, &#x017F;o<lb/>
&#x201E;muß man vor allen Dingen wohl zu&#x017F;ehen, ob &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;beide ihre vo&#x0364;llige Freiheit gehabt haben, ob &#x017F;ie oh-<lb/>
&#x201E;ne allen Zwang auf die ho&#x0364;ch&#x017F;te Wirkung ihrer<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t haben arbeiten ko&#x0364;nnen <note place="foot" n="a)">p. 162.</note>.&#x201E; Und wer hat<lb/>
hier in einer freiern Luft geathmet?</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>7.</head><lb/>
          <p>&#x201E;Ein a&#x0364;ußerlicher Zwang war bei dem alten<lb/>
&#x201E;Ku&#x0364;n&#x017F;tler o&#x0364;fters die Religion.&#x201E; Bacchus mit<lb/>
Ho&#x0364;rnern i&#x017F;t Le&#x017F;&#x017F;ingen <note place="foot" n="b)">Laok. p. 103.</note> hier das er&#x017F;te Bei&#x017F;piel, das<lb/>
ihn auch &#x017F;cheint auf die&#x017F;e &#x017F;o wahre Ausnahme ge-<lb/>
bracht zu haben. &#x201E;Bacchus mit Ho&#x0364;rnern! in der<lb/>
&#x201E;That &#x017F;agt Hr. L. &#x017F;ind &#x017F;olche natu&#x0364;rliche Ho&#x0364;rner eine<lb/>
&#x201E;Scha&#x0364;ndung der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;talt, und ko&#x0364;nnen<lb/>
&#x201E;nur We&#x017F;en geziemen, denen man eine Art von<lb/>
&#x201E;Mittelge&#x017F;talt zwi&#x017F;chen Men&#x017F;chen und Thier ertheil-<lb/>
&#x201E;te.&#x201E; Und &#x017F;orgfa&#x0364;ltiger kann nicht ein Freund be-<lb/>
dacht &#x017F;eyn, &#x017F;einem Freunde die Ho&#x0364;rner von der<lb/>
Stirne wegzu&#x017F;chaffen, als Hr. L. fu&#x0364;r &#x017F;einen &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Bacchus be&#x017F;orgt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Er</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0097] Erſtes Waͤldchen. blos „Eigenſchaft des Geſchmacks in der und jener „Schule„ und alſo eine Kakozelie ſeyn, an der es den Griechen bei ihrem Pauſon und Pyreicus auch nicht fehlte? die Frage wird ſich im folgenden mehr ergeben. „Wenn man in einzelnen Faͤllen den „Maler und Dichter (und alſo auch die Kunſt „zwoer Zeiten) mit einander vergleichen will, ſo „muß man vor allen Dingen wohl zuſehen, ob ſie „beide ihre voͤllige Freiheit gehabt haben, ob ſie oh- „ne allen Zwang auf die hoͤchſte Wirkung ihrer „Kunſt haben arbeiten koͤnnen a).„ Und wer hat hier in einer freiern Luft geathmet? 7. „Ein aͤußerlicher Zwang war bei dem alten „Kuͤnſtler oͤfters die Religion.„ Bacchus mit Hoͤrnern iſt Leſſingen b) hier das erſte Beiſpiel, das ihn auch ſcheint auf dieſe ſo wahre Ausnahme ge- bracht zu haben. „Bacchus mit Hoͤrnern! in der „That ſagt Hr. L. ſind ſolche natuͤrliche Hoͤrner eine „Schaͤndung der menſchlichen Geſtalt, und koͤnnen „nur Weſen geziemen, denen man eine Art von „Mittelgeſtalt zwiſchen Menſchen und Thier ertheil- „te.„ Und ſorgfaͤltiger kann nicht ein Freund be- dacht ſeyn, ſeinem Freunde die Hoͤrner von der Stirne wegzuſchaffen, als Hr. L. fuͤr ſeinen ſchoͤ- nen Bacchus beſorgt iſt. Er a) p. 162. b) Laok. p. 103.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/97
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/97>, abgerufen am 21.12.2024.