Schönheit verbindet. Hier liegt Tschirkaßien, die Mutter der Schönheit; zur andern Seite des Kaspischen Meers wohnen Tatarische Stämme, die sich in ihrem schönen Kli- ma auch schon zur Wohlgestalt gebildet und häufig hinabge- breitet haben. Zur Rechten liegt Jndien und sowohl aus ihm als aus Tschirkaßien haben erkaufte Mädchen das Ge- blüt der Perser verschönet. Jhre Gemüthsart ist diesem Veredlungsplatz des menschlichen Geschlechts gemäß worden: denn jener leichte und durchdringende Verstand, jene frucht- bare und lebhafte Einbildungskraft der Perser, sammt ihrem biegsamen höflichen Wesen, ihrem Hange zur Eitelkeit, zur Pracht und zur Freude, ja zur romantischen Liebe sind vielleicht die erle- sensten Eigenschaften zum Gleichgewicht der Neigungen und Zü- ge. Statt jener barbarischen Zierrathen, mit denen ungestalte Nationen die Ungestalt ihres Körpers bedecken wollten und ver- mehrten, kamen hier schönere Gewohnheiten auf, die Wohlgestalt des Körpers zu erheben. Der Wasserlose Mogole muste unrein leben; der weiche Jndier badet; der wohllüstige Perser salbet. Der Mogole klebte auf seinen Fersen oder hing auf seinem Pferde; der sanfte Jndier ruhet; der romantische Perser theilt seine Zeit in Ergötzungen und Spiele. Er färbt sein Augenbran: er kleidet sich in eine den Wuchs erhebende Klei- dung. Schöne Wohlgestalt! sanftes Gleichgewicht der Nei-
gungen
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Schoͤnheit verbindet. Hier liegt Tſchirkaßien, die Mutter der Schoͤnheit; zur andern Seite des Kaſpiſchen Meers wohnen Tatariſche Staͤmme, die ſich in ihrem ſchoͤnen Kli- ma auch ſchon zur Wohlgeſtalt gebildet und haͤufig hinabge- breitet haben. Zur Rechten liegt Jndien und ſowohl aus ihm als aus Tſchirkaßien haben erkaufte Maͤdchen das Ge- bluͤt der Perſer verſchoͤnet. Jhre Gemuͤthsart iſt dieſem Veredlungsplatz des menſchlichen Geſchlechts gemaͤß worden: denn jener leichte und durchdringende Verſtand, jene frucht- bare und lebhafte Einbildungskraft der Perſer, ſammt ihrem biegſamen hoͤflichen Weſen, ihrem Hange zur Eitelkeit, zur Pracht und zur Freude, ja zur romantiſchen Liebe ſind vielleicht die erle- ſenſten Eigenſchaften zum Gleichgewicht der Neigungen und Zuͤ- ge. Statt jener barbariſchen Zierrathen, mit denen ungeſtalte Nationen die Ungeſtalt ihres Koͤrpers bedecken wollten und ver- mehrten, kamen hier ſchoͤnere Gewohnheiten auf, die Wohlgeſtalt des Koͤrpers zu erheben. Der Waſſerloſe Mogole muſte unrein leben; der weiche Jndier badet; der wohlluͤſtige Perſer ſalbet. Der Mogole klebte auf ſeinen Ferſen oder hing auf ſeinem Pferde; der ſanfte Jndier ruhet; der romantiſche Perſer theilt ſeine Zeit in Ergoͤtzungen und Spiele. Er faͤrbt ſein Augenbran: er kleidet ſich in eine den Wuchs erhebende Klei- dung. Schoͤne Wohlgeſtalt! ſanftes Gleichgewicht der Nei-
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Schoͤnheit verbindet. Hier liegt Tſchirkaßien, die Mutter
der Schoͤnheit; zur andern Seite des Kaſpiſchen Meers
wohnen Tatariſche Staͤmme, die ſich in ihrem ſchoͤnen Kli-
ma auch ſchon zur Wohlgeſtalt gebildet und haͤufig hinabge-
breitet haben. Zur Rechten liegt Jndien und ſowohl aus
ihm als aus Tſchirkaßien haben erkaufte Maͤdchen das Ge-
bluͤt der Perſer verſchoͤnet. Jhre Gemuͤthsart iſt dieſem
Veredlungsplatz des menſchlichen Geſchlechts gemaͤß worden:
denn jener leichte und durchdringende Verſtand, jene frucht-
bare und lebhafte Einbildungskraft der Perſer, ſammt ihrem
biegſamen hoͤflichen Weſen, ihrem Hange zur Eitelkeit, zur Pracht
und zur Freude, ja zur romantiſchen Liebe ſind vielleicht die erle-
ſenſten Eigenſchaften zum Gleichgewicht der Neigungen und Zuͤ-
ge. Statt jener barbariſchen Zierrathen, mit denen ungeſtalte
Nationen die Ungeſtalt ihres Koͤrpers bedecken wollten und ver-
mehrten, kamen hier ſchoͤnere Gewohnheiten auf, die Wohlgeſtalt
des Koͤrpers zu erheben. Der Waſſerloſe Mogole muſte unrein
leben; der weiche Jndier badet; der wohlluͤſtige Perſer ſalbet.
Der Mogole klebte auf ſeinen Ferſen oder hing auf ſeinem
Pferde; der ſanfte Jndier ruhet; der romantiſche Perſer
theilt ſeine Zeit in Ergoͤtzungen und Spiele. Er faͤrbt ſein
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/39>, abgerufen am 26.04.2024.
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