Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
V.
Deutsche Geschichte.*)


Die Geschichte von Deutschland hat mei-
nes Ermessens eine ganz neue Wendung
zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigen-
thümer, als die wahren Bestandtheile der Na-
tion durch alle ihre Veränderungen verfolgen;
aus ihnen den Körper bilden und die grossen
und kleinen Bediente dieser Nation als böse
oder gute Zufälle des Körpers betrachten.
Wir können sodenn dieser Geschichte nicht al-
lein die Einheit, den Gang und die Macht
der Epopee geben, worinn die Territorialho-
heit und der Despotismus zuletzt die Stelle
einer glücklichen oder unglücklichen Auflö-
sung vertritt; sondern auch den Ursprung,
den Fortgang und das unterschiedliche Ver-
hältniß des Nationalcharakters unter allen
Beränderungen mit weit mehrerer Ordnung
und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir
blos das Leben und die Bemühungen der
Aerzte beschreiben, ohne des Kranken Kör-
pers zu gedenken. Der Einfluß, welchen
Gesetze und Gewohnheiten, Tugenden und

Feh-
*) Vom Herrn Justitzrath Möser.
L 3
V.
Deutſche Geſchichte.*)


Die Geſchichte von Deutſchland hat mei-
nes Ermeſſens eine ganz neue Wendung
zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigen-
thuͤmer, als die wahren Beſtandtheile der Na-
tion durch alle ihre Veraͤnderungen verfolgen;
aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſſen
und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe
oder gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten.
Wir koͤnnen ſodenn dieſer Geſchichte nicht al-
lein die Einheit, den Gang und die Macht
der Epopee geben, worinn die Territorialho-
heit und der Deſpotismus zuletzt die Stelle
einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤ-
ſung vertritt; ſondern auch den Urſprung,
den Fortgang und das unterſchiedliche Ver-
haͤltniß des Nationalcharakters unter allen
Beraͤnderungen mit weit mehrerer Ordnung
und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir
blos das Leben und die Bemuͤhungen der
Aerzte beſchreiben, ohne des Kranken Koͤr-
pers zu gedenken. Der Einfluß, welchen
Geſetze und Gewohnheiten, Tugenden und

Feh-
*) Vom Herrn Juſtitzrath Moͤſer.
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0169" n="165"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi><lb/>
Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte.<note place="foot" n="*)">Vom Herrn Ju&#x017F;titzrath Mo&#x0364;&#x017F;er.</note></hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Ge&#x017F;chichte von Deut&#x017F;chland hat mei-<lb/>
nes Erme&#x017F;&#x017F;ens eine ganz neue Wendung<lb/>
zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigen-<lb/>
thu&#x0364;mer, als die wahren Be&#x017F;tandtheile der Na-<lb/>
tion durch alle ihre Vera&#x0364;nderungen verfolgen;<lb/>
aus ihnen den Ko&#x0364;rper bilden und die gro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und kleinen Bediente die&#x017F;er Nation als bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
oder gute Zufa&#x0364;lle des Ko&#x0364;rpers betrachten.<lb/>
Wir ko&#x0364;nnen &#x017F;odenn die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte nicht al-<lb/>
lein die Einheit, den Gang und die Macht<lb/>
der Epopee geben, worinn die Territorialho-<lb/>
heit und der De&#x017F;potismus zuletzt die Stelle<lb/>
einer glu&#x0364;cklichen oder unglu&#x0364;cklichen Auflo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ung vertritt; &#x017F;ondern auch den Ur&#x017F;prung,<lb/>
den Fortgang und das unter&#x017F;chiedliche Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß des Nationalcharakters unter allen<lb/>
Bera&#x0364;nderungen mit weit mehrerer Ordnung<lb/>
und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir<lb/>
blos das Leben und die Bemu&#x0364;hungen der<lb/>
Aerzte be&#x017F;chreiben, ohne des Kranken Ko&#x0364;r-<lb/>
pers zu gedenken. Der Einfluß, welchen<lb/>
Ge&#x017F;etze und Gewohnheiten, Tugenden und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Feh-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0169] V. Deutſche Geſchichte. *) Die Geſchichte von Deutſchland hat mei- nes Ermeſſens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigen- thuͤmer, als die wahren Beſtandtheile der Na- tion durch alle ihre Veraͤnderungen verfolgen; aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſſen und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe oder gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten. Wir koͤnnen ſodenn dieſer Geſchichte nicht al- lein die Einheit, den Gang und die Macht der Epopee geben, worinn die Territorialho- heit und der Deſpotismus zuletzt die Stelle einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤ- ſung vertritt; ſondern auch den Urſprung, den Fortgang und das unterſchiedliche Ver- haͤltniß des Nationalcharakters unter allen Beraͤnderungen mit weit mehrerer Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir blos das Leben und die Bemuͤhungen der Aerzte beſchreiben, ohne des Kranken Koͤr- pers zu gedenken. Der Einfluß, welchen Geſetze und Gewohnheiten, Tugenden und Feh- *) Vom Herrn Juſtitzrath Moͤſer. L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/169
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/169>, abgerufen am 21.12.2024.