Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wollen, als er sich selbst verstand, so ist sehr leicht anzuge-
ben, was Kant eigentlich wollte. Die Zurechnung sollte
gesichert seyn. Das ist sie ohne alle Freyheits-Lehre. Man
sehe die Anmerkung zu 118. Um also in praktischer Hin-
sicht das Wesentliche der Kantischen Ansicht zu erreichen,
braucht man keine Metaphysik, keine speculative Psychologie,
und eben so wenig eine Vernunftkritik, sondern nur: auf
der einen Seite, unbefangenen Blick für Thatsachen; auf
der andern, eine richtige Vorstellungsart von der praktischen
Philosophie.

Allein es ist sehr wichtig, hierüber, hinauszugehn, um
die Kraft näher kennen zu lernen, mit welcher der Mensch
oftmals, und mit großem Erfolge, an sich selbst, ja wider
sich selbst arbeitet. Besonders wichtig ist dies in dem Alter, da
man zwischen der eben geendigten Erziehung und dem bevor-
stehenden Eintritt in den künftigen Stand in der Mitte steht.
Um diese Zeit kann die Selbstbestimmung größer, wenig-
stens folgenreicher seyn, als vorher und nachher. Jm drit-
ten Theile wird sich darüber einige Aufklärung finden.



Viertes Capitel.
Von den anomalen Zuständen.

142. Am meisten niedergedrückt erblickt man den Men-
schen in seinen anomalen Zuständen; von denen der Traum
auch dem Gesunden bekannt ist, der angeborne Blödsinn
aber sich ohne bestimmte Gränze in Einfalt und Mittelmä-
ßigkeit der Anlage verliert. Auch in den andern Arten der
Geisteszerrüttung findet sich manche, eben so auffallende als
traurige Aehnlichkeit mit Jrrthümern, Affecten und Leiden-

wollen, als er sich selbst verstand, so ist sehr leicht anzuge-
ben, was Kant eigentlich wollte. Die Zurechnung sollte
gesichert seyn. Das ist sie ohne alle Freyheits-Lehre. Man
sehe die Anmerkung zu 118. Um also in praktischer Hin-
sicht das Wesentliche der Kantischen Ansicht zu erreichen,
braucht man keine Metaphysik, keine speculative Psychologie,
und eben so wenig eine Vernunftkritik, sondern nur: auf
der einen Seite, unbefangenen Blick für Thatsachen; auf
der andern, eine richtige Vorstellungsart von der praktischen
Philosophie.

Allein es ist sehr wichtig, hierüber, hinauszugehn, um
die Kraft näher kennen zu lernen, mit welcher der Mensch
oftmals, und mit großem Erfolge, an sich selbst, ja wider
sich selbst arbeitet. Besonders wichtig ist dies in dem Alter, da
man zwischen der eben geendigten Erziehung und dem bevor-
stehenden Eintritt in den künftigen Stand in der Mitte steht.
Um diese Zeit kann die Selbstbestimmung größer, wenig-
stens folgenreicher seyn, als vorher und nachher. Jm drit-
ten Theile wird sich darüber einige Aufklärung finden.



Viertes Capitel.
Von den anomalen Zuständen.

142. Am meisten niedergedrückt erblickt man den Men-
schen in seinen anomalen Zuständen; von denen der Traum
auch dem Gesunden bekannt ist, der angeborne Blödsinn
aber sich ohne bestimmte Gränze in Einfalt und Mittelmä-
ßigkeit der Anlage verliert. Auch in den andern Arten der
Geisteszerrüttung findet sich manche, eben so auffallende als
traurige Aehnlichkeit mit Jrrthümern, Affecten und Leiden-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0118" n="110"/>
wollen, als er sich selbst verstand, so ist sehr leicht anzuge-<lb/>
ben, was Kant
               eigentlich wollte. Die Zurechnung sollte<lb/>
gesichert seyn. Das ist sie ohne alle
               Freyheits-Lehre. Man<lb/>
sehe die Anmerkung zu 118. Um also in praktischer Hin-<lb/>
sicht das Wesentliche der Kantischen Ansicht zu erreichen,<lb/>
braucht man keine
               Metaphysik, keine speculative Psychologie,<lb/>
und eben so wenig eine
               Vernunftkritik, sondern nur: auf<lb/>
der einen Seite, unbefangenen Blick für
               Thatsachen; auf<lb/>
der andern, eine richtige Vorstellungsart von der praktischen<lb/>
Philosophie.</p><lb/>
            <p>Allein es ist sehr wichtig, hierüber, hinauszugehn, um<lb/>
die Kraft näher kennen
               zu lernen, mit welcher der Mensch<lb/>
oftmals, und mit großem Erfolge, an sich
               selbst, ja wider<lb/>
sich selbst arbeitet. Besonders wichtig ist dies in dem Alter,
               da<lb/>
man zwischen der eben geendigten Erziehung und dem bevor-<lb/>
stehenden
               Eintritt in den künftigen Stand in der Mitte steht.<lb/>
Um diese Zeit kann die
               Selbstbestimmung größer, wenig-<lb/>
stens folgenreicher seyn, als vorher und nachher.
               Jm drit-<lb/>
ten Theile wird sich darüber einige Aufklärung finden.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g"><hi rendition="#b">Viertes Capitel.</hi><lb/>
Von den anomalen
                 Zuständen.</hi> </head><lb/>
            <p>142. Am meisten niedergedrückt erblickt man den Men-<lb/>
schen in seinen anomalen
               Zuständen; von denen der Traum<lb/>
auch dem Gesunden bekannt ist, der angeborne
               Blödsinn<lb/>
aber sich ohne bestimmte Gränze in Einfalt und Mittelmä-<lb/>
ßigkeit
               der Anlage verliert. Auch in den andern Arten der<lb/>
Geisteszerrüttung findet sich
               manche, eben so auffallende als<lb/>
traurige Aehnlichkeit mit Jrrthümern, Affecten
               und Leiden-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0118] wollen, als er sich selbst verstand, so ist sehr leicht anzuge- ben, was Kant eigentlich wollte. Die Zurechnung sollte gesichert seyn. Das ist sie ohne alle Freyheits-Lehre. Man sehe die Anmerkung zu 118. Um also in praktischer Hin- sicht das Wesentliche der Kantischen Ansicht zu erreichen, braucht man keine Metaphysik, keine speculative Psychologie, und eben so wenig eine Vernunftkritik, sondern nur: auf der einen Seite, unbefangenen Blick für Thatsachen; auf der andern, eine richtige Vorstellungsart von der praktischen Philosophie. Allein es ist sehr wichtig, hierüber, hinauszugehn, um die Kraft näher kennen zu lernen, mit welcher der Mensch oftmals, und mit großem Erfolge, an sich selbst, ja wider sich selbst arbeitet. Besonders wichtig ist dies in dem Alter, da man zwischen der eben geendigten Erziehung und dem bevor- stehenden Eintritt in den künftigen Stand in der Mitte steht. Um diese Zeit kann die Selbstbestimmung größer, wenig- stens folgenreicher seyn, als vorher und nachher. Jm drit- ten Theile wird sich darüber einige Aufklärung finden. Viertes Capitel. Von den anomalen Zuständen. 142. Am meisten niedergedrückt erblickt man den Men- schen in seinen anomalen Zuständen; von denen der Traum auch dem Gesunden bekannt ist, der angeborne Blödsinn aber sich ohne bestimmte Gränze in Einfalt und Mittelmä- ßigkeit der Anlage verliert. Auch in den andern Arten der Geisteszerrüttung findet sich manche, eben so auffallende als traurige Aehnlichkeit mit Jrrthümern, Affecten und Leiden-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/118
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/118>, abgerufen am 22.12.2024.