Erstes Capitel. Ueber die Verbindung der sogenannten drey Hauptvermögen der Seele.
§. 103.
Vorstellen, Fühlen, und Begehren, sind bekanntlich die drey obersten Klassenbegriffe, durch deren Zusam- menfassung man das geistige Leben, ohne Rücksicht auf den Unterschied zwischen dem Menschen und den Thie- ren (welchen wir in diesem ersten Abschnitte noch bey Seite setzen,) glaubt bezeichnen zu können. Allein, wie man sie zusammenfassen müsse, um die Einheit des gei- stigen Lebens richtig zu erkennen? Das ist die Frage, welche man aus blosser Erfahrung nicht beantworten konnte; und woran wir nun zuerst uns wagen wollen, um zu sehen, ob unsre synthetischen Untersuchungen etwas Brauchbares zur Verzeichnung der äussersten Umrisse der Psychologie geleistet haben? Denn hoffentlich wird für jetzt noch Niemand verlangen, dass wir den Faden der Nachforschung über das Selbstbewusstseyn, schon hier wieder aufnehmen sollten; die ausserordentlich gro- ssen Schwierigkeiten dieses Gegenstandes, (den wir dem folgenden Abschnitte vorbehalten,) werden in frischem Andenken seyn; und es will sich noch nicht zeigen, dass
Erster Abschnitt. Vom geistigen Leben überhaupt.
Erstes Capitel. Ueber die Verbindung der sogenannten drey Hauptvermögen der Seele.
§. 103.
Vorstellen, Fühlen, und Begehren, sind bekanntlich die drey obersten Klassenbegriffe, durch deren Zusam- menfassung man das geistige Leben, ohne Rücksicht auf den Unterschied zwischen dem Menschen und den Thie- ren (welchen wir in diesem ersten Abschnitte noch bey Seite setzen,) glaubt bezeichnen zu können. Allein, wie man sie zusammenfassen müsse, um die Einheit des gei- stigen Lebens richtig zu erkennen? Das ist die Frage, welche man aus bloſser Erfahrung nicht beantworten konnte; und woran wir nun zuerst uns wagen wollen, um zu sehen, ob unsre synthetischen Untersuchungen etwas Brauchbares zur Verzeichnung der äuſsersten Umrisse der Psychologie geleistet haben? Denn hoffentlich wird für jetzt noch Niemand verlangen, daſs wir den Faden der Nachforschung über das Selbstbewuſstseyn, schon hier wieder aufnehmen sollten; die auſserordentlich gro- ſsen Schwierigkeiten dieses Gegenstandes, (den wir dem folgenden Abschnitte vorbehalten,) werden in frischem Andenken seyn; und es will sich noch nicht zeigen, daſs
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[[63]/0098]
Erster Abschnitt.
Vom geistigen Leben überhaupt.
Erstes Capitel.
Ueber die Verbindung der sogenannten drey
Hauptvermögen der Seele.
§. 103.
Vorstellen, Fühlen, und Begehren, sind bekanntlich
die drey obersten Klassenbegriffe, durch deren Zusam-
menfassung man das geistige Leben, ohne Rücksicht auf
den Unterschied zwischen dem Menschen und den Thie-
ren (welchen wir in diesem ersten Abschnitte noch bey
Seite setzen,) glaubt bezeichnen zu können. Allein, wie
man sie zusammenfassen müsse, um die Einheit des gei-
stigen Lebens richtig zu erkennen? Das ist die Frage,
welche man aus bloſser Erfahrung nicht beantworten
konnte; und woran wir nun zuerst uns wagen wollen, um
zu sehen, ob unsre synthetischen Untersuchungen etwas
Brauchbares zur Verzeichnung der äuſsersten Umrisse
der Psychologie geleistet haben? Denn hoffentlich wird
für jetzt noch Niemand verlangen, daſs wir den Faden
der Nachforschung über das Selbstbewuſstseyn, schon
hier wieder aufnehmen sollten; die auſserordentlich gro-
ſsen Schwierigkeiten dieses Gegenstandes, (den wir dem
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. [63]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/98>, abgerufen am 21.11.2024.
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