Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

wusstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können
wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es
bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei-
ben muss.

Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich
verworrene Vorstellungen heissen, in Ansehung des
nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was
sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen
Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre-
ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre
beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe-
niger sollen wir anerkennen, dass auch die deutlichen
Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge-
gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich
zum Bewusstseyn gebracht wird, sich aus dem Schoosse
jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln
müssen *).

Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit,
wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen
und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit
wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor-
dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor-
auszusetzen.

§. 123.

In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen
angefangen von der Betrachtung der Frage **); indem
die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche
jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile
von einander scheidet: so dass man gleich mit der Ein-
theilung anheben müsste, wenn man nicht dasjenige Bey-
sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen
wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,

*) Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im
§. 147. Man vergleiche auch den §. 139.
**) Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten
Abschnitte, §. 52. 53.

wuſstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können
wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es
bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei-
ben muſs.

Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich
verworrene Vorstellungen heiſsen, in Ansehung des
nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was
sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen
Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre-
ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre
beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe-
niger sollen wir anerkennen, daſs auch die deutlichen
Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge-
gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich
zum Bewuſstseyn gebracht wird, sich aus dem Schooſse
jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln
müssen *).

Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit,
wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen
und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit
wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor-
dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor-
auszusetzen.

§. 123.

In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen
angefangen von der Betrachtung der Frage **); indem
die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche
jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile
von einander scheidet: so daſs man gleich mit der Ein-
theilung anheben müſste, wenn man nicht dasjenige Bey-
sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen
wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,

*) Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im
§. 147. Man vergleiche auch den §. 139.
**) Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten
Abschnitte, §. 52. 53.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0220" n="185"/>
wu&#x017F;stseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können<lb/>
wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es<lb/>
bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei-<lb/>
ben mu&#x017F;s.</p><lb/>
              <p>Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich<lb/><hi rendition="#g">verworrene</hi> Vorstellungen hei&#x017F;sen, in Ansehung des<lb/>
nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was<lb/>
sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen<lb/>
Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre-<lb/>
ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre<lb/>
beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe-<lb/>
niger sollen wir anerkennen, da&#x017F;s auch die deutlichen<lb/>
Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge-<lb/>
gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich<lb/>
zum Bewu&#x017F;stseyn gebracht wird, sich aus dem Schoo&#x017F;se<lb/>
jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln<lb/>
müssen <note place="foot" n="*)">Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im<lb/>
§. 147. Man vergleiche auch den §. 139.</note>.</p><lb/>
              <p>Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit,<lb/>
wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen<lb/>
und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit<lb/>
wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor-<lb/>
dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor-<lb/>
auszusetzen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 123.</head><lb/>
              <p>In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen<lb/>
angefangen von der Betrachtung der <hi rendition="#g">Frage</hi> <note place="foot" n="**)">Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten<lb/>
Abschnitte, §. 52. 53.</note>; indem<lb/>
die Bejahung <hi rendition="#g">oder</hi> Verneinung, welche das Wesentliche<lb/>
jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile<lb/>
von einander scheidet: so da&#x017F;s man gleich mit der Ein-<lb/>
theilung anheben mü&#x017F;ste, wenn man nicht dasjenige Bey-<lb/>
sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen<lb/>
wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0220] wuſstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei- ben muſs. Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich verworrene Vorstellungen heiſsen, in Ansehung des nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre- ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe- niger sollen wir anerkennen, daſs auch die deutlichen Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge- gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich zum Bewuſstseyn gebracht wird, sich aus dem Schooſse jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln müssen *). Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit, wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor- dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor- auszusetzen. §. 123. In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen angefangen von der Betrachtung der Frage **); indem die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile von einander scheidet: so daſs man gleich mit der Ein- theilung anheben müſste, wenn man nicht dasjenige Bey- sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet, *) Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im §. 147. Man vergleiche auch den §. 139. **) Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten Abschnitte, §. 52. 53.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/220
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/220>, abgerufen am 22.12.2024.