wusstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei- ben muss.
Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich verworrene Vorstellungen heissen, in Ansehung des nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre- ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe- niger sollen wir anerkennen, dass auch die deutlichen Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge- gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich zum Bewusstseyn gebracht wird, sich aus dem Schoosse jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln müssen *).
Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit, wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor- dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor- auszusetzen.
§. 123.
In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen angefangen von der Betrachtung der Frage**); indem die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile von einander scheidet: so dass man gleich mit der Ein- theilung anheben müsste, wenn man nicht dasjenige Bey- sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,
*) Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im §. 147. Man vergleiche auch den §. 139.
**) Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten Abschnitte, §. 52. 53.
wuſstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei- ben muſs.
Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich verworrene Vorstellungen heiſsen, in Ansehung des nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre- ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe- niger sollen wir anerkennen, daſs auch die deutlichen Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge- gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich zum Bewuſstseyn gebracht wird, sich aus dem Schooſse jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln müssen *).
Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit, wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor- dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor- auszusetzen.
§. 123.
In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen angefangen von der Betrachtung der Frage**); indem die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile von einander scheidet: so daſs man gleich mit der Ein- theilung anheben müſste, wenn man nicht dasjenige Bey- sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,
*) Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im §. 147. Man vergleiche auch den §. 139.
**) Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten Abschnitte, §. 52. 53.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0220"n="185"/>
wuſstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können<lb/>
wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es<lb/>
bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei-<lb/>
ben muſs.</p><lb/><p>Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich<lb/><hirendition="#g">verworrene</hi> Vorstellungen heiſsen, in Ansehung des<lb/>
nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was<lb/>
sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen<lb/>
Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre-<lb/>
ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre<lb/>
beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe-<lb/>
niger sollen wir anerkennen, daſs auch die deutlichen<lb/>
Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge-<lb/>
gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich<lb/>
zum Bewuſstseyn gebracht wird, sich aus dem Schooſse<lb/>
jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln<lb/>
müssen <noteplace="foot"n="*)">Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im<lb/>
§. 147. Man vergleiche auch den §. 139.</note>.</p><lb/><p>Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit,<lb/>
wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen<lb/>
und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit<lb/>
wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor-<lb/>
dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor-<lb/>
auszusetzen.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 123.</head><lb/><p>In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen<lb/>
angefangen von der Betrachtung der <hirendition="#g">Frage</hi><noteplace="foot"n="**)">Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten<lb/>
Abschnitte, §. 52. 53.</note>; indem<lb/>
die Bejahung <hirendition="#g">oder</hi> Verneinung, welche das Wesentliche<lb/>
jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile<lb/>
von einander scheidet: so daſs man gleich mit der Ein-<lb/>
theilung anheben müſste, wenn man nicht dasjenige Bey-<lb/>
sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen<lb/>
wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[185/0220]
wuſstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können
wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es
bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei-
ben muſs.
Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich
verworrene Vorstellungen heiſsen, in Ansehung des
nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was
sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen
Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre-
ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre
beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe-
niger sollen wir anerkennen, daſs auch die deutlichen
Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge-
gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich
zum Bewuſstseyn gebracht wird, sich aus dem Schooſse
jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln
müssen *).
Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit,
wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen
und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit
wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor-
dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor-
auszusetzen.
§. 123.
In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen
angefangen von der Betrachtung der Frage **); indem
die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche
jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile
von einander scheidet: so daſs man gleich mit der Ein-
theilung anheben müſste, wenn man nicht dasjenige Bey-
sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen
wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet,
*) Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im
§. 147. Man vergleiche auch den §. 139.
**) Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten
Abschnitte, §. 52. 53.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/220>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.